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| Impressum 16. Januar 2011, von Michael Schöfer Alte Weisheit: Es kommt auf die Dosis an "All Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, das ein Ding kein Gift ist", lehrte Paracelsus (1493-1541). Verständlicher ausgedrückt: Allein die Menge macht das Gift. So ist Salz, in Maßen genossen, lebensnotwendig. Nimmt man jedoch zu viel davon ein, wirkt es toxisch. Dieser Grundsatz gilt auch auf dem Gebiet der Ökonomie. Doch nicht alle sehen das ein. "Subventionen schaden Ihren Kindern", behauptet die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) am Wochenende in einer großformatigen Anzeige in der Süddeutschen Zeitung. Und nicht von ungefähr sieht sie aus wie die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln. "Subventionen sind schädlich. (...) Der Staat nimmt (...) über verschiedene Steuern allen Steuerzahlern Einkommen weg, um es einigen wenigen als Subventionen auszuzahlen. Hier tauchen die Probleme auf. Denn wo steht geschrieben, dass das, was der Staat fördert, sinnvoll ist? Dies müsste ja deutlich sinnvoller sein als das, was die Menschen auch ohne die staatliche Förderung machen würden. (...) In der Sozialen Marktwirtschaft gilt das Prinzip, dass nicht der Staat entscheidet, sondern jeder Einzelne für sich selbst. Eigene Interessen, Wünsche und Bedürftigkeiten führen zu einer individuellen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Aus einem freien Angebot und einer freien Nachfrage entsteht ein Preis. Es entstehen Märkte. Es entstehen Innovationen und neue Produkte. Weil sich die Bedürfnisse der Menschen aber mit der Zeit ändern, passen sich die Märkte an: Einige Produkte werden günstiger, andere verschwinden wieder. Neue Ideen kommen auf den Markt. So ist es möglich, in einer komplexen (Wirtschafts-)Welt die Bedürfnisse der Menschen zu decken, ganz ohne staatliche Lenkung. (...) Alle negativen Wirkungen [der Subventionen] führen gemeinsam dazu, dass Ressourcen wie Arbeit und Kapital nicht optimal eingesetzt werden. Somit bremsen Subventionen das Wirtschaftswachstum, vernichten Wohlstand und Arbeitsplätze. Sie kosten viel Geld, das den Menschen nicht mehr zur freien Verfügung steht, sondern vom Staat ausgegeben wird. Werden Subventionen hingegen gekürzt oder abgeschafft, werden bisher gebremste Marktkräfte freigesetzt und tragen zu einem insgesamt höheren Wohlstand bei", schreibt die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanzierte "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" in der Broschüre "Subventionsabbau in Deutschland". Dem Ganzen liegt ein Gutachten des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW) zugrunde, das die INSM dort in Auftrag gegeben hat. Auf 163,6 Mrd. Euro beziffern die Kieler Wissenschaftler das Ausmaß der Subventionen in Deutschland (51,76 Mrd. Steuervergünstigungen, 111,86 Mrd. Finanzhilfen). Wobei das IfW nur Finanzhilfen des Bundes berücksichtigt hat. "Die INSM sagt: Subventionen sind Gift." Der Abbau von Subventionen anhand einer Streichliste sei aber nicht praktikabel. Ökonomisch sei es nicht machbar, einzelnen Subventionen auszuwählen. "Eine Einteilung in 'gute' oder 'schlechte', in 'schädliche' oder 'weniger schädliche' Subventionen ist nicht möglich", behauptet sie. Hinzu käme der politische Widerstand der bislang Begünstigten, der jeden gezielten Subventionsabbau verhindern würde. "Das IfW empfiehlt, den Subventionsabbau zeitlich gestreckt und angekündigt mit der sogenannten 'Rasenmähermethode' zu realisieren. Das heißt: Das gesamte Kürzungsvolumen wird in gleichmäßigen Schritten über einen Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren komplett abgetragen. Die Finanzhilfen reduzieren sich Jahr für Jahr. Und auch die Steuerermäßigungen werden Schritt für Schritt reduziert." So gewinne man neuen finanzpolitischen Spielraum, den man für Steuersenkungen und Schuldenabbau verwenden sollte. Meines Erachtens ist das die falsche Methode, denn wie bei Paracelsus kommt es auch bei den Subventionen auf die Menge an. Es gibt segensreich wirkende und zugegebenermaßen sogar giftige Subventionen. Wir sollten uns einmal kurz ins Gedächtnis rufen, was passiert wäre, hätte es in Deutschland nie Subventionen gegeben. So gäbe es hierzulande ohne staatliche Unterstützung (EEG-Förderung) keine florierende Windkraftindustrie. Immerhin entstanden dadurch viele Arbeitsplätze: "Innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette mit Vorleistungen, Installation, Service und Betrieb rechnet man für die Windbranche in Deutschland mit 100.000 Beschäftigten. Mit einer Exportquote von durchschnittlich 75 Prozent und einem Umsatzanteil deutscher Windanlagenhersteller am Weltmarkt von 17,5 Prozent im Jahr 2009 konnte die deutsche Windindustrie ihre internationale Spitzenposition behaupten." [1] Die Zahl der Arbeitsplätze in einer Zukunftsindustrie ist sicherlich noch ausbaufähig. Wäre das Entstehen der Windkraftindustrie tatsächlich, wie die INSM suggeriert, "ganz ohne staatliche Lenkung" möglich gewesen? Wohl kaum. Ohne die Anschubfinanzierung des Staates gäbe es bestimmt auch keine europäische Flugzeugindustrie. Airbus mit seinen heute 52.000 Mitarbeitern hätte sich nie erfolgreich als Konkurrent von Boeing auf dem Weltmarkt etablieren können. In einer Studie für die Umweltorganisation Greenpeace über die Subventionen für die Atomindustrie kommen die Gutachter zu folgendem Ergebnis: Danach hat die Atomindustrie im Zeitraum 1950 bis 2010 rund 82,4 Mrd. Euro Finanzhilfen und 112,5 Mrd. Euro Steuervergünstigungen erhalten. Hinzu kamen 8,7 Mrd. Euro Förderwert der emissionshandelsbedingten Strompreiserhöhung, insgesamt also 203,7 Mrd. Euro (alle Werte in Preisen 2010). [2] Mit anderen Worten: Wie immer man zu ihr stehen mag, ohne Subventionen gäbe es jedenfalls auch keine Atomindustrie. Die generelle Aussage "Subventionen schaden Ihren Kindern" ist, wie man sieht, absolut unzutreffend. Ohne Subventionen wäre Deutschland ein Land ohne Eisenbahn, ohne gut ausgebaute Verkehrswege, ohne Telekommunikation, Post und Energieversorgung. Alles Dinge, die zumindest ursprünglich mit Hilfe des Staates realisiert wurden. Ohne Subventionen wären wir vielleicht bloß ein Agrarstaat, aber nicht eine der führenden Industrienationen der Welt. Unsere Kinder würden sich gewiss bedanken. (Achtung: Ironie!) Die INSM macht es sich folglich viel zu einfach, sie malt ein Schreckgespenst an die Wand, dessen Grundlage bei genauem Hinsehen wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Es gibt noch ein anderes gewichtiges Argument: Die lenkende Wirkung durch die Politik. Mit dem Rückzug des Staates auf eine Nachtwächterposition gäbe die Bevölkerung jeden Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen preis, dessen Gestaltung bliebe danach allein den privaten Interessen vorbehalten. Mit Demokratie hätte das freilich nichts mehr zu tun. Und mit "Sozialer Marktwirtschaft" ebenso wenig. Bekanntlich sind die bestehenden Ausgangsbedingungen sowie die Möglichkeiten der ökonomischen Gestaltung höchst ungleich verteilt. Dass der Markt sozial und ökologisch blind ist, sollten wir doch inzwischen gelernt haben. Die Politik muss in der Lage sein, 'gute' oder 'schlechte' bzw. 'schädliche' oder 'weniger schädliche' Subventionen voneinander zu unterscheiden. Täte sie es nicht, verlöre sie jegliche Legitimität und könnte im Endeffekt gleich abdanken. Wozu bräuchten wir eine Regierung, die nicht regiert? (Regierung: von althochdeutsch "ragin" = der Rat, der Beschluss; lateinisch: "regere" = führen, leiten) Die Behauptung der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", "Subventionen schaden Ihren Kindern", ist genauso falsch wie der Anspruch der INSM selbst. Mit "Sozialer Marktwirtschaft" hat ihr Wirken nämlich überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, meines Erachtens verbirgt sich hinter der INSM ein vordemokratisches Konzept. Ich will damit nicht behaupten, der Staat mache alles besser. Sicherlich nicht. Aber der Umkehrschluss, dass der Privatsektor a priori alles besser mache als der Staat, ist ebenfalls unzutreffend. Immerhin musste der Staat gerade den Finanzsektor vor dem Kollaps bewahren. Hätte er der INSM zuliebe darauf verzichten sollen? Vielmehr ist in meinen Augen nach wie vor der Mittelweg richtig: "So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig." (Karl Schiller, Bundeswirtschaftsminister 1966-1972) Das ist das wahre Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft", nicht der weitgehende Rückzug des Staates. Oder wie es Paracelsus formulierte: Allein die Menge macht das Gift. ---------- [1] Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 21.09.2010 [2] Greenpeace, Staatliche Förderungen der Atomenergie, Seite 3, PDF-Datei mit 4 MB |