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15. Februar 2011, von Michael Schöfer
Immer die gleichen Rituale


Es ist Wahlkampf. Und im Wahlkampf versuchen die Parteien krampfhaft, Aufmerksamkeit zu erregen. Deshalb lud die SPD zu einer Betriebsräte- und Gewerkschaftskonferenz in das Mannheimer Kongresszentrum "Rosengarten" ein. Der baden-württembergische SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid erinnerte das Publikum in seiner Begrüßungsrede an den Parteitag von 1906, der ebenfalls am gleichen Ort stattfand. Der Rosengarten sei folglich für die Sozialdemokraten ein historischer Ort. Der geneigte Zuhörer denkt vielleicht auch an 1995, denn beim legendären Parteitag im Mannheimer Rosengarten wurde zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik ein SPD-Vorsitzender abgewählt: Oskar Lafontaine ersetzte damals den glücklosen Rudolf Scharping. Aber an Lafontaine wollte Nils Schmid verständlicherweise nicht erinnern.

Als 50-Jähriger senkt man den Altersdurchschnitt auf so einer Betriebsräte- und Gewerkschaftskonferenz deutlich, das sagt schon viel über den heutigen Zustand der SPD aus. Jüngere waren rar, das Gros der Teilnehmer näherte sich augenscheinlich dem Rentenalter. Etliche waren bestimmt schon im Ruhestand. Wer das für die nächsten 20 Jahre hochrechnet, sieht für die Sozialdemokraten schwarz. Nicht umsonst kommen sie momentan im Ländle bei Umfragen hinter der CDU und den Grünen bloß auf den dritten Platz.

Es war von vornherein klar, dass es sich bei der Betriebsräte- und Gewerkschaftskonferenz um eine reine Wahlkampfveranstaltung handelt. Die CDU bekam natürlich wie erwartet ihr Fett weg. Fehlte lediglich der Schlachtruf: "Mubarak ist fort, wann stürzt Mappus?" Dazu verstiegen sich die Sozis glücklicherweise nicht. Dennoch, es sind stets die gleichen Rituale: Nils Schmid lobt Kurt Beck. Sigmar Gabriel lobt Nils Schmid. Und Kurt Beck lobt Gabriel und Schmid. Friede, Freude, Eierkuchen. Platz für Diskussionen war ohnehin kaum vorgesehen, die Teilnehmer sollten sich geduldig die mehr oder minder langatmigen Reden anhören und gefälligst an den richtigen Stellen Beifall klatschen. Einzig SPD-Chef Gabriel spielte von der rhetorischen Qualität her erkennbar in der Bundesliga, andere hatten demgegenüber bestenfalls Zweitligaformat. Gabriels Rede war engagiert und gelungen, ihm zuzuhören hat Spaß gemacht.

Allerdings waren die Beiträge inhaltlich zum Teil eine Zumutung. Beispiel: Nils Schmid leugnete keineswegs, dass sich Deutschland im Aufschwung befindet. Den Aufschwung schrieb er jedoch nicht der schwarz-gelben Bundesregierung zu, die bekanntlich erst seit dem 28. Oktober 2009 im Amt ist, sondern führte ihn auf die gute Regierungsarbeit von Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück zurück. Fazit für Nils Schmid: "Das ist unser Aufschwung." Diese Sicht mag man teilen oder nicht. Sigmar Gabriel beklagte indes keine 10 Minuten danach die immer tiefer werdende soziale Kluft. Dafür sind aber weder Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier noch Peer Steinbrück verantwortlich, sondern allein Union und Liberale.

Merke: Die SPD war von 1998 bis 2009 an der Bundesregierung beteiligt. Die Politik dieser Kabinette (Rot-Grün 1998-2005, Schwarz-Rot 2005-2009) hat positive und negative Auswirkungen gehabt. Für die positiven (Aufschwung) sind allein Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück verantwortlich. Für die negativen (soziale Spaltung) hingegen Angela Merkel und Guido Westerwelle. Logisch ist das nicht. Man braucht wahrlich kein Freund von Schwarz-Gelb zu sein, um über derart plumpe Argumente verständnislos den Kopf zu schütteln. Sie sind geradezu eine intellektuelle Beleidigung. Immerhin hat Rot-Grün "Hartz IV" verbrochen, was die soziale Spaltung Deutschlands zweifellos enorm vertieft hat. Vom "Genosse der Bosse", dem Cohiba rauchenden und Brioni-Anzüge tragenden Bundeskanzler, der Gerechtigkeit nach seinem Amtsantritt plötzlich anders definierte, ganz zu schweigen: "In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt." (Schröder-Blair-Papier vom 08.06.1999)

Ein weiteres Beispiel: Peer Steinbrück habe bei der Finanzkrise eine segensreiche Rolle gespielt, behauptet die SPD dreist. Geflissentlich übergangen wird, dass er sich in seiner Amtszeit als Ministerpräsident und Finanzminister für eine stärkere Deregulierung der Finanzmärkte eingesetzt hat. Übrigens ebenso wie sein Vorgänger Hans Eichel. Mit anderen Worten: Steinbrück hat kräftig dabei mitgeholfen, uns die Suppe überhaupt erst einzubrocken, die wir nun mühsam auslöffeln müssen. Die internationale Finanztransaktionssteuer (Tobin-Tax) diffamierte er seinerzeit als "Ungeheuer von Loch Ness", inzwischen ist aber genau das eine zentrale Forderung der SPD, wenn es um die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise geht. Dessen ungeachtet beruft sie sich nach wie vor auf Steinbrück. So, als gäbe es hier eine Kontinuität. Ebenfalls alles andere als logisch.

Mit solchen Ritualen (Selbstbeweihräucherung, Geschichtsklitterung) gewinnt man keinen Blumentopf, insbesondere nicht bei der jüngeren Generation. Dass sich die Rituale bei der SPD in den letzten dreißig Jahren kaum verändert haben, spricht nicht gerade für ihre Innovationsfähigkeit. Eigentlich hätte sie längst umdenken müssen. Doch anstatt zuzugeben "Wir haben Scheiß gebaut", werden die Altvorderen über den grünen Klee gelobt, unabhängig davon was sie tatsächlich getan haben. Das wirkt unehrlich. Nein, das ist unehrlich. Und äußerst peinlich. Auf der Schleimspur wird man es zu nichts bringen. Um nicht ungerecht zu sein: Die Sozialdemokraten fordern seit langem und durchaus glaubwürdig den gesetzlichen Mindestlohn. Zumindest etwas. Aber schon beim Thema "Stuttgart 21" eiern sie wieder mächtig herum.

Der "Tanker SPD" (Peter Glotz) dümpelt nach wie vor antriebslos dahin. Ob es Sigmar Gabriel gelingt, den rostigen Kahn wieder flott zu machen, ist fraglich. Was ich auf der Betriebsräte- und Gewerkschaftskonferenz gesehen und gehört habe, lässt mich daran zweifeln.