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25. Februar 2011, von Michael Schöfer
Größtenteils Blendwerk


Die Parteien rühmen sich wegen ihrer Einigung über die Hartz IV-Reform. So sagt etwa Bundessozialministerin Ursula von der Leyen: "Die ganz großen Gewinner dieser Reform sind die Kinder und die Kommunen." Es sei "sozialpolitische Geschichte" geschrieben worden. [1] Und die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), behauptet, der Kompromiss "könne sich sehen lassen". [2]

Damit stehen einem alleinstehenden erwachsenen Empfänger von Arbeitslosengeld II ab dem 1. Januar 2011 monatlich 364 Euro zu, darin sind beispielsweise 128,46 Euro für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke enthalten. Das sind pro Tag lediglich 4,22 Euro. Kinder bekommen, gestaffelt nach Alter, noch weniger Geld für Essen und Getränke ausgezahlt. Ob das vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird, muss sich erst noch zeigen.

Gewiss, der Kompromiss war eine schwere Geburt. Was aber kaum aufgefallen ist, weil es beim Vermittlungsausschuss gar nicht zur Debatte stand: Arbeitslose landen jetzt viel schneller auf Hartz IV-Niveau. Um Langzeitarbeitslosen den Übergang in die Grundsicherung zu erleichtern, gab es nämlich gemäß § 24 Sozialgesetzbuch II für erwerbsfähige Hilfebedürftige nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes einen befristeten Zuschlag. Im ersten Jahr höchstens 160 Euro, und im zweiten Jahr die Hälfte.

Dieser Zuschuss wurde bereits im letzten Jahr mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 ersatzlos gestrichen. Das HBeglG ist seit dem 14.12.2010 rechtskräftig, es tritt am 1. Januar 2011 in Kraft. Dort heißt es lapidar in Artikel 15 (Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch): "Die Angabe zu § 24 wird wie folgt gefasst: '§ 24 (weggefallen)'." [3]

Ebenfalls mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 beschlossen wurde: Wer Arbeitslosengeld II bezieht, erhält kein Elterngeld mehr, es wird - analog zum Kindergeld - künftig bedarfsmindernd als Einkommen angerechnet (Artikel 14, Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes). Laut Bundesregierung spart die Staatskasse dadurch jährlich 400 Mio. Euro [4]. Das ist genau die Summe, die der Bund dem Hartz IV-Kompromiss zufolge im Rahmen des Bildungspaktes den Kommunen für das Mittagessen von Kindern in Hortbetreuung und für Schulsozialarbeit zur Verfügung stellt. [5]

Mit anderen Worten: Erst wird gestrichen, was man später unter großem Brimborium in anderer Form wieder gewährt. Ein Nullsummenspiel. Verbessert hat sich die Lage der Kinder dadurch aber nicht.

Die ganz großen Gewinner dieser Reform sind die Kinder? Eher nicht. Der Hartz IV-Kompromiss ist vielmehr ein echter Guttenberg: Größtenteils Blendwerk.

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[1] CDU vom 22.02.2011
[2] SPD vom 21. Februar 2011
[3] Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2010 Teil I Nr. 63, PDF-Datei mit 106 kb
[4] Tagesschau.de vom 07.06.2010
[5] Bundesministerium für Arbeit uns Soziales vom 21.02.2011