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15. März 2011, von Michael Schöfer
Wendehälse


Gestern waren sie noch glühende Befürworter der Kernenergie, heute tragen sie fast schon den Sticker "Atomkraft? Nein danke!" am Revers. Man könnte über die schwarz-gelben Wendehälse milde lächeln, wenn die aktuellen Ereignisse in Japan nicht so ernst wären. Zitieren wir die jeglicher Gegnerschaft zur Kernenergie unverdächtige Welt aus noch viel unverdächtigeren Zeiten: "Mappus plädierte erneut für eine deutliche Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke: 'Wir brauchen 15 plus x Jahre Laufzeitverlängerung. 15, 16, 17 Jahre halte ich für sinnvoll.'" [1] Unverhohlen forderte Stefan Mappus (CDU) im Mai 2010 sogar den Rücktritt von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), weil der in puncto Laufzeitverlängerung angeblich nicht engagiert genug war.

Jetzt, nach dem GAU in Japan, rudert der baden-württembergische Ministerpräsident zurück: "Das schwere Unglück im Hochtechnologieland Japan bedeutet eine schwere Zäsur, auch wenn wir eine andere Geologie haben und auch nicht von Tsunamis bedroht sind. Da können wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Jetzt reicht es nicht mehr aus, zu sagen: Die Kernkraftwerke sind sicher. Es stellen sich völlig neue Fragen. Deshalb ist die Aussetzung der Laufzeitverlängerung das absolut richtige Signal. Die Kanzlerin und ich ziehen an einem Strang." [2] Warum er zurückrudert, ist evident: in 14 Tagen ist Landtagswahl. Und Atomfreund Mappus fürchtet eine herbe Wahlschlappe.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen kündigt eine grundlegende Neubewertung der Atomsicherheit in Deutschland an. Doch bei der Kernenergie ist eine Neubewertung der Sicherheit gar nicht notwendig, deren Risiken stehen nämlich schon jahrzehntelang fest. Das ist alles bereits bis in die feinsten Verästelungen hinein erforscht. Welche "völlig neuen Fragen" (Mappus) sollen denn geklärt werden? Reine Augenwischerei. Es ist lediglich das eingetreten, wovor Kritiker seit mindestens 30 Jahren gewarnt haben, das hat Schwarz-Gelb bislang bloß nicht interessiert. Aber selbst in dieser prekären Lage versuchen die Parteistrategen noch zu tricksen: Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet ein "dreimonatiges Moratorium", die sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland sollen vorübergehend (!) abgeschaltet werden. Merkel schließt nicht aus, dass einige davon nach dem Moratorium wieder ans Netz gehen. [3] Immer in der Hoffnung, irgendwie die kommenden Landtagswahlen zu überstehen, danach kann man ja die Maske der Nachdenklichkeit wieder fallen lassen. Ich bin gespannt, ob sie mit ihren dreisten Lügen wirklich durchkommen.

Die Wählerinnen und Wähler sollten stets daran denken, wer uns den ganzen Schlamassel eingebrockt hat. Die Grünen waren es jedenfalls nicht, denn die wurden bekanntlich als Anti-Atom-Partei gegründet.

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[1] Die Welt vom 12.07.2010
[2] BILD vom 14.03.2011
[3] n-tv vom 15.03.2011