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06. April 2011, von Michael Schöfer
Drei Fälle...


...die gar nichts miteinander zu tun haben. Oder doch?

In China ist der Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei von der Staatsmacht verhaftet worden. Bislang gibt es weder Erkenntnisse über den Grund der Verhaftung noch über Ais Aufenthaltsort. Das ist selbst nach chinesischen Gesetzen illegal: "Obwohl das chinesische Gesetz vorschreibt, dass Angehörige von Verhafteten innerhalb von 24 Stunden über Anklage und Aufenthaltsort informiert werden, fehlt von Ai bisher jede Spur." [1] Es ist zu befürchten, dass Ai das Schicksal des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo teilt, der Mitbegründer der "Charta 08" [2] ist bekanntlich wegen seines Eintretens für die Demokratie zu elf Jahren Haft verurteilt worden.

Der Palästinenser Dirar Abu Sisi wurde am 18. Februar 2011 in der Ukraine während einer Eisenbahnfahrt vom israelischen Geheimdienst Mossad gekidnappt und tauchte später in einem israelischen Gefängnis wieder auf. Inzwischen hat man ihn wegen mehrfachem Mord angeklagt, er soll "die Kampfausbildung der Hamas geleitet und Raketen für die Terrororganisation hergestellt" haben. [3] "Israels Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, Abu-Sisis Festnahme sei gerechtfertigt, weil er über wichtige Informationen verfüge, die die nationale Sicherheit Israel gefährden könnten. Auch Premier Benjamin Netanjahu sagte, der Gefangene sei Hamas-Mitglied, weshalb seine Festnahme berechtigt gewesen sei." [4] Das Verhalten des Mossad ist rechtswidrig. Juristisch korrekt wäre allein die Ausstellung eines internationalen Haftbefehls und im Falle der Festnahme durch die ukrainische Polizei die Bitte um Auslieferung gewesen.

Khalid Sheikh Mohammed, einer der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001, kommt jetzt doch im US-Gefangenenlager Guantanamo vor ein Militärgericht. Nach den ursprünglichen Plänen von US-Präsident Barack Obama sollten Mohammed und vier weitere Verdächtige in New York vor ein Zivilgericht kommen. Vor dem Militärtribunal hingegen haben die Angeklagten nur eingeschränkte Rechte. Außerdem sind sie nachweislich gefoltert worden, weshalb ein Zivilgericht zunächst geprüft hätte, ob ihre Aussagen überhaupt verwertbar sind. Veröffentlichten CIA-Papieren zufolge wurde Mohammed "allein im März 2003 183 Mal dem Waterboarding unterzogen (...), im Schnitt acht mal pro Tag." [5] Nach dem "Gesetz über Militärkommissionen" (Military Commissions Act) ist "eine unbegrenzte Haftdauer ohne Anklageerhebung oder Prozess möglich. (…) Insbesondere steht den Angeklagten nur ein beschränktes Recht auf Vertretung durch einen Rechtsanwalt zu, und das Beweismaterial der Anklage braucht nur in Auszügen offengelegt und durch die Verteidigung geprüft werden. Das Unmittelbarkeitsgebot der Beweisführung ist ebenfalls eingeschränkt durch die unbedingte Zulassung auch von einem Beweis vom Hörensagen. (…) Nach Ansicht einer Vielzahl von Kritikern steht das Gesetz im Widerspruch zur amerikanischen Verfassung, da es unter anderem das verfassungsmäßige Grundrecht des Einzelnen auf Schutz vor ungerechtfertigter Beschuldigung durch den Staat (Habeas Corpus) außer Kraft setzt." [6]

Drei unterschiedliche Fälle, drei unterschiedliche Betroffene - und dennoch haben sie eines gemeinsam: Der jeweilige Staat (China, Israel, USA) handelt illegal und bricht nationales sowie internationales Recht. Mit anderen Worten: Es herrscht Willkür. Die Verhaftung von Ai Weiwei ist daher genauso zu verurteilen wie die Entführung von Dirar Abu Sisi und der Prozess gegen Khalid Sheikh Mohammed. Unabhängig davon, was jemand getan haben mag, er hat zumindest das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden." Artikel 9: "Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden." Artikel 10: "Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Beschuldigung in voller Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht."

Es geht folglich um die Einhaltung der Menschenrechte. Und die stehen jedem zu, unabhängig von seiner Person und den ihm zur Last gelegten Taten. Die Missachtung der Menschenrechte durch China verwundert kaum, aber die Missachtung der Menschenrechte durch die USA und Israel ist in hohem Maße besorgniserregend. Wenn sich sogar Demokratien von den eigenen Prinzipien verabschieden, und sei es auch nur partiell, steht die Demokratie ("Die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk", Abraham Lincoln in seiner berühmten Gettysburg-Rede) als Ganzes auf dem Prüfstand. Denn wer einmal anfängt, willkürlich zu handeln, hört damit erfahrungsgemäß nie wieder auf. Höchstens, man klopft ihm gleich zu Beginn ordentlich auf die Finger. Im Fall von Ai Weiwei hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) den chinesischen Botschafter einbestellt. Völlig zu Recht. In Bezug auf Dirar Abu Sisi und Khalid Sheikh Mohammed glänzt Westerwelle allerdings durch Schweigen. In seinen Sonntagsreden verkündet er dagegen: Der Schutz der Menschenrechte ist ein "Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik", diese sind "universell, unveräußerlich und unteilbar". [7] Schöne Worte, gewiss, aber offenbar welche mit wenig Substanz. Denn wenn Menschenrechte, wovon ich überzeugt bin, tatsächlich "universell, unveräußerlich und unteilbar" sind, muss man sie auch ohne Ausnahme in allen Fällen einfordern.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 05.04.2011
[2] aus dem Chinesischen von Dr. Jörg-M. Rudolph, Ostasieninstitut, Fachhochschule Ludwigshafen, mit freundlicher Genehmigung des Übersetzers, PDF-Datei mit 160 kb
[3] Spiegel-Online vom 04.04.2011
[4] Ria Novosti vom 06.04.2011
[5] Wikipedia, Chalid Scheich Mohammed, Festnahme und Geständnisse
[6] Wikipedia, Military Commissions Act
[7] FDP