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21. April 2011, von Michael Schöfer
Norbert Walter enttäuscht


Man ist immer wieder überrascht, wie uninspiriert selbst gemeinhin als intelligent geltende Zeitgenossen auf den bevorstehenden Atomausstieg reagieren. Da werden Zusammenhänge konstruiert, die im Grunde hanebüchener Unsinn sind. Sogar Professoren verkennen mitunter einfachste Sachverhalte. Spielt ihnen da vielleicht die Ideologie einen Streich? Leugnen sie die Fakten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf?

Professor Norbert Walter etwa, früher Chefvolkswirt der Deutschen Bank, beglückte uns in seiner Kolumne "Energie wird sich teurer" mit der Erkenntnis: "Unglücklicherweise bleibt die Bereitschaft der Bürger zur Erhöhung der Energieeffizienz erschreckend schwach ausgeprägt. Deutsche fahren ihre alten Spritfresser, solange sie können. Nur mit einer Abwrackprämie konnte man das etwas mildern." [1]

Der DAT-Report bietet hierzulande in Bezug auf das Kfz-Gewerbe die gründlichste Datenbasis. Und danach gibt es, wenig überraschend, eine Korrelation zwischen Einkommen und Neuwagenkauf:

Einkommen Neuwagen-Käufer
unter 500 € 1 %
500 bis 749 € 0 %
750 bis 999 € 1 %
1.000 bis 1.249 € 2 %
1.250 bis 1.499 € 4 %
1.500 bis 1.749 € 4 %
1.750 bis 1.999 € 6 %
2.000 bis 2.499 € 13 %
2.500 bis 2.999 € 14 %
3.000 bis 3.499 € 13 %
3.500 bis 3.999 € 10 %
4.000 € bis 4.499 € 9 %
4.500 € bis 4.999 € 5 %
5.000 € und mehr 11 %
keine Angaben
7 %

Je höher das Einkommen, desto höher ist die Bereitschaft, sich einen Neuwagen zuzulegen.

Diese Korrelation findet sich logischerweise auch in Bezug auf das Alter der gefahrenen Fahrzeuge: "Über das Fahrzeugalter kann man auf das Einkommen der Halter schließen. Denn während die Halter von unter zwei Jahre alten Fahrzeugen über monatlich 2.857 Euro verfügen, liegt das Einkommen von Haltern wenigstens acht Jahre alter Pkw bei nur 2.406 Euro. Man kann aber auch über das Einkommen der Halter auf das Fahrzeugalter schließen: Lag das Einkommen der Halter unter 1.000 Euro, dann war ihr Fahrzeug im Schnitt 8,8 Jahre alt. Nur 6,4 Jahre alt waren dagegen im Mittel die Fahrzeuge der Halter, die monatlich über 2.500 Euro und mehr verfügen konnten." [2]

Nun sind die Nettorealverdienste der Arbeitnehmer seit der Jahrtausendwende im Schnitt von 17.494 Euro auf 16.699 Euro im Jahr 2009 gesunken. [3] Es verwundert von daher kaum, wenn die Arbeitnehmer bei sinkenden Reallöhnen den Neuwagenkauf so lange wie möglich aufschieben. Dass die Deutschen an ihren alten Spritfressern festhalten, hat demzufolge - anders als Walter suggeriert - weniger mit Uneinsichtigkeit zu tun, sondern vielmehr mit der erodierenden Einkommensbasis der Beschäftigten. Sie wollen gar nicht an ihren alten Fahrzeugen festhalten, aber mangels ausreichendem Einkommen müssen sie es häufig.

"Die Entscheidung, die alten deutschen Kernkraftwerke abzuschalten, sorgt nicht dafür, dass wirklich die gefährlichsten Meiler vom Netz genommen werden. Von Erdbeben deutlich stärker bedroht sind Meiler in Japan, China, den USA oder Pakistan. Viele Kraftwerke in den USA und Frankreich sind beträchtlich älter als die abgeschalteten deutschen Meiler. Aber abwägende Argumente sind der Deutschen Sache nicht", schreibt Kolumnist Walter.

Eine seltsame Logik. Einmal angenommen, wir würden die vor Fukushima in Betrieb gewesenen 17 deutschen Atommeiler weiterlaufen lassen, tangiert das dann irgendwie die Sicherheit der Meiler in den USA, China, Frankreich oder Tschechien? Natürlich nicht, denn das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Kernkraftwerke jenseits unserer Grenzen werden, egal was wir tun, dadurch weder sicherer noch unsicherer. Also schadet der Atomausstieg auch nicht.

Doch wenn wir die 17 deutschen Atommeiler sukzessive stilllegen, haben wir zumindest 17 untragbare Risiken weniger. Im Dezember 2010 waren in 30 Ländern 443 Kernkraftwerke in Betrieb. [4] 443 untragbare Risiken minus 17 untragbare Risiken = 426 untragbare Risiken. Immerhin ein Anfang. Und dass andere Risiken vorerst weiterexistieren ist doch kein Grund, selbst ein Risiko beizubehalten. Außerdem wird die Wirtschaft, die als erste verstärkt auf regenerative Energiearten setzt, künftig enorme Exporterfolge erzielen, denn der Trend weg von der Atomenergie wird auch andernorts zunehmen.

Norbert Walter enttäuscht, weil er die platten Argumente der Atomkraftbefürworter übernimmt.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 21.04.2011
[2] DAT-Report 2011, Seite 47, PDF-Datei mit 5,1 MB
[3] Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Statistisches Taschenbuch 2009, Tabelle 1.15
[4] Kernenergie.de