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08. Mai 2011, von Michael Schöfer
Beamte und das Streikrecht


Dem, der die Beamtenschaft erfunden hat, müsste man eigentlich, sofern das ginge, im Nachhinein den höchsten Orden verleihen, denn das System der Beamtenschaft ist ziemlich ausgeklügelt. Weil sich die meisten bis kurz vor ihrer Pensionierung Hoffnung auf eine ruhegehaltfähige Beförderung machen dürfen, sind sie 40 Jahre lang still und angepasst. (Erläuterung: Das Ruhegehalt der Beamten errechnet sich, im Gegensatz zu den Rentnern, aus der zuletzt erreichten Besoldungsstufe.) Proteste, Aufbegehren und Widerstand - das gehört zweifelsohne nicht zum Wesen eines Beamten. Schon von jeher.

Bequem für den Staat, aber fatal, wenn Diktatoren die Macht ergreifen. 1933 haben, aus bekannten Gründen mit Ausnahme der Juden, fast alle Staatsdiener nahtlos den Weg von der demokratischen Weimarer Republik zum Nationalsozialismus gefunden. Massenhaftes Insistieren auf Rechtstreue ist jedenfalls nicht überliefert. Bei den Beamten ist die Angst, bei Vorgesetzten durch eine eigene Meinung negativ aufzufallen, selbst heute, 62 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, weit verbreitet. Wie gesagt, ein ausgeklügeltes und damit höchst effektives Herrschaftssystem.

Die Berufsvertretung der Beamten bemängelt allerdings deren Besoldung: "Der Staat schafft mit gesetzlich bindenden Ankündigungen zunächst Vertrauen gegenüber seinen Beamtinnen und Beamten, die ihm Tag und Nacht in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis zur Verfügung stehen, und mutet den Kolleginnen und Kollegen ein Sonderopfer zu, indem er diese Ankündigungen dann wieder zurücknimmt", beklagt Beamtenbund-Chef Peter Heesen. [1] Das riecht nach großer Empörung. Beamte monieren ohnehin ständig, dass sie "Sonderopfer" bringen müssen. Außerdem: "Die öffentlichen Arbeitgeber sind bald nicht mehr konkurrenzfähig", meint Heesen. Die Bezahlung der Beamten sei nämlich "in Relation zur Privatwirtschaft" zu niedrig. [2] Kurzum, den Staatsdienern gehe es schlecht.

Wer jetzt glaubt, Beamte würden sich diesen Missständen endlich mit allen Mitteln entgegenstemmen, irrt gewaltig. Der 2. Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (dbb), Frank Stöhr, lehnt das Streikrecht für Beamte kategorisch ab. "Die Sachlage ist klar: Beamte dürfen nicht streiken, und dazu stehe ich auch. (…) Bestimmte Grundregeln - das Alimentationsprinzip, die Versorgung aus dem letzten Amt - werden von Beamten erdient durch bestimmte Rechte, die ihnen vorenthalten werden - wie das Streikrecht. Das ist ein Tauschgeschäft. Wenn ein Beamter alle Rechte hat, dann würde sich sofort die Frage stellen: Wieso gilt noch der Alimentationsgrundsatz? Dann können sich Beamten ihre Tarifergebnisse auch im Arbeitskampf erstreiten." [3]

Zur logischen Konsequenz, dass es, wenn Beamte streiken dürften, mit den angeblichen Sonderopfern und dem Rückstand gegenüber der Privatwirtschaft vorbei wäre, kann sich Stöhr nicht durchringen. Einerseits beklagen Beamte die gegenwärtige Situation, sind andererseits aber offenbar heilfroh, nichts dagegen ausrichten zu können: Unmutsäußerungen ja, Streiks nein. Paradox: Beamte sind die einzige Berufsgruppe, die freudestrahlend ihre eingeschränkten Rechte begrüßt und sogar aktiv verteidigt. Heinrich Manns Untertan lebt. Normalerweise kämpfen Beschäftigte für mehr, nicht für weniger Rechte. Wie gesagt, Aufbegehren ist Beamten wesensfremd, darauf sind sie nicht konditioniert.

Es kann natürlich auch sein, dass Beamte gar nicht so benachteiligt sind, wie sie immer behaupten. Das wird beispielsweise beim Vergleich von Renten und Pensionen deutlich. "Das Ruhegehalt beträgt mindestens 35 Prozent der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge (§ 19). An die Stelle des Ruhegehalts nach Satz 1 treten, wenn dies günstiger ist, 61,4 Prozent der jeweils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 5", sagt § 27 des Landesbeamtenversorgungsgesetzes in Baden-Württemberg (LBeamtVGBW). [4] Im Klartext: Es gibt bei der Beamtenpension eine Mindestversorgung (= Mindesthöhe), eben die besagten "61,4 Prozent der jeweils ruhegehaltfähigen Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 5".

Um die Mindestversorgung zu bekommen, muss ein Beamter fünf Dienstjahre absolviert haben. Die Höhe der Mindestversorgungsbezüge, die ein Beamter in Baden-Württemberg (nach, wohlgemerkt, lediglich fünf Dienstjahren) sicher hat, beläuft sich ab dem 1. März 2010 bei einem Ledigen auf 1.371,59 Euro und bei einem Verheirateten auf 1.446,52 Euro. [5]

Zum Vergleich: Die Standardrente, also die Rente, die ein Durchschnittsverdiener nach 45 Versicherungsjahren erhält, beträgt 2011 in Westdeutschland 1.224,00 Euro. In Ostdeutschland sind es 1.085,85 Euro. [6] Ein Beamter in Baden-Württemberg hat somit bereits nach fünf Dienstjahren ein höheres Ruhegehalt erworben, als der sogenannte "Eckrentner" nach 45 Arbeitsjahren - ein krasses Missverhältnis. Kann es sein, dass Beamte in Wahrheit privilegiert sind und deshalb so großzügig aufs Streikrecht verzichten?

Mindesthöhe der Beamtenpension in BW
nach 5 Dienstjahren (Lediger)
Standardrente in Westdeutschland
nach 45 Versicherungsjahren
1.371,59 Euro 1.224,00 Euro

Die Beamtenpensionen werden sich in Zukunft mehr und mehr als drückende Last für die öffentlichen Haushalte bemerkbar machen: "2009 hatte Baden-Württemberg 96.000 Pensionäre, 2020 werden es 143.000 sein, 2030 sogar 156.000. Die Kosten klettern von jetzt rund 3 auf 7,7 Milliarden Euro jährlich." [7] Fakten, an denen keiner vorbeikommt. Und es ist noch völlig unklar, wie das Problem gelöst werden soll. Den Beamten ist natürlich kaum vorzuwerfen, dass ihr Dienstherr die notwendigen Pensions-Rücklagen unterließ. Aber das Kind liegt nun mal im Brunnen, Wehklagen über vergangene Versäumnisse helfen da nicht weiter.

Fazit: Die Beamten werden es vielleicht noch bereuen, generös auf das Streikrecht verzichtet zu haben.

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[1] dbb-aktuell Nr. 47/2010 vom 01.12.2010
[2] Süddeutsche vom 11.10.2007
[3] dbb, Interview des 2. Vorsitzenden des dbb beamtenbund und tarifunion, Frank Stöhr, mit Neues Deutschland vom 14.01.2011
[4] Landesamt für Besoldung und Versorgung BW, PDF-Datei mit 291 kb
[5] Landesamt für Besoldung und Versorgung BW, PDF-Datei mit 9 kb
[6] Arbeitnehmerkammer Bremen, Rechengrößen der Sozialversicherung 2011, Seite 5, PDF-Datei mit 816 kb
[7] Berliner Zeitung vom 05.04.2011