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01. Juni 2011, von Michael Schöfer
Kachelmann-Prozess: Urteil ist nachvollziehbar


Dass das Urteil im Kachelmann-Prozess Proteste hervorrufen würde, egal wie es ausfällt, war von vornherein klar. Doch nach allem, was man darüber weiß (bekanntlich wurde die Öffentlichkeit mehrfach ausgeschlossen), ist der Urteilsspruch des Mannheimer Landgerichts aus rechtsstaatlicher Sicht kaum zu kritisieren: "Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz 'in dubio pro reo' freizusprechen", begründeten die Richter ihre Entscheidung.

Und sie sparten nicht mit Medienkritik. Übrigens vollkommen zu Recht: "Angeblich Sachkundige konnten nicht der Versuchung widerstehen, ohne Aktenkenntnis und ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben, häufig aber auf der Grundlage unvollständiger und fehlerhafter Medienberichte per Ferndiagnose ihre persönliche Meinung zum Besten zu geben, die in der Regel nichts mit sachlicher Kritik zu tun hatte, sondern häufig nur Klischees bediente." [1] Nach Ansicht des Gerichts hätten beide Beteiligte, der Angeklagte und die Nebenklägerin, "in Teilbereichen nachweisbar die Unwahrheit gesagt". Objektive Beweise, die ein anderes Urteil gestützt hätten, lagen allerdings nicht vor.

Opferverbände beanstanden, das Urteil könne bei Vergewaltigungsopfern "Unsicherheit und Bitterkeit" hervorrufen. "Damit bestätigt sich die schlimmste Befürchtung von Frauen. Die Angst, dass man ihnen eine Vergewaltigung nicht glaubt", sagt Gudrun Wörsdörfer, Sprecherin des Bundesverbandes deutscher Frauennotrufe. [2] Es gebe "kein eindeutiges Signal aus der Gesellschaft, dass Vergewaltigung in keinem Fall geduldet wird", beklagt sie andernorts. "Dieses Gefühl hat der Kachelmann-Prozess jetzt noch einmal verstärkt." [3]

Gewiss, Vergewaltigungen werden zum Teil bagatellisiert. Von den mutmaßlichen Tätern sowieso, aber auch von der Presse. Das haben wir gerade erst im Fall von Dominique Strauss-Kahn miterleben müssen. "Seitenlang wird darüber spekuliert, warum es Männern wie Strauss-Kahn immer wieder passieren kann, dass sie ihre Lust 'nicht recht im Griff' haben. Statt 'Vergewaltiger' zu sagen und damit klar einen Begriff zu verwenden, der in einer feministischen Tradition steht, spricht man lieber von 'Lustmolchen' und 'notorischen Schwerenötern'. Große deutsche Tageszeitungen schreiben sogar vom 'Schwachpunkt Genitalbereich' oder darüber, dass Strauss-Kahn letztlich sogar über 'seine Geilheit stolpern könne', dass er 'sich von seinen Hormonen die Karriere vermasseln lässt'. (...) Wer vom Lustmolch spricht und davon, dass Strauss-Kahn sich von seinen Hormonen die Karriere vermasseln lässt, der zeigt, dass er oder sie bereit ist, die Perspektive des Täters einzunehmen. Die Nähe, die Empathie, das Hineinfühlenwollen wird dem Vergewaltiger geschenkt. Nicht der Frau, die während ihrer Arbeit vergewaltigt wurde", kritisiert Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, in einem bemerkenswerten Kommentar. [4]

Ungeachtet dessen gelten aber auch bei einer Vergewaltigung, die zweifellos ein schlimmes Verbrechen und für das Opfer ein traumatisches Erlebnis ist, die üblichen rechtsstaatlichen Standards. Und die lauten nun mal, dass man dem mutmaßlichen Täter die Tat nachweisen muss. Das ist bei Sexualdelikten fraglos schwierig, weil häufig nur Aussage gegen Aussage steht. Umso wichtiger sind deshalb objektive Beweise - aber gerade diese haben ja im Fall Kachelmann gefehlt. Die Einwände der Opferverbände sind hoffentlich nicht so zu verstehen, dass man den Angeklagten unabhängig von der konkreten Beweislage hätte verurteilen müssen, bloß um "Bitterkeit bei Vergewaltigungsopfern" zu vermeiden. Das wäre schließlich gleichbedeutend damit, dass es in solchen Fällen auf die Beweisbarkeit gar nicht mehr ankommt und die Schuld des Angeklagten a priori feststeht. Darauf kann und darf sich kein Rechtsstaat einlassen.

Alice Schwarzer hält die starke Stellung des Angeklagten im deutschen Recht für problematisch, denn die gehe "in einem solchen Fall auf Kosten der (mutmaßlichen) Opfer." [5] Das muss sich ändern, fordert sie - und landet letztlich bei der Glaubwürdigkeit, was aber am Ende auch nicht weiterhilft, wenn die Glaubwürdigkeitsfrage nicht zu klären ist. Schwarzer mag Kachelmann menschlich gesehen für ein mieses Schwein halten, doch das ist, selbst wenn ihre Einschätzung zuträfe, zum Glück nicht strafbar. Denn es geht nicht um Moralurteile, sondern ausschließlich um das Strafrecht. Wer indes an der angeblich starken Stellung des Angeklagten drehen möchte, öffnet die Büchse der Pandora. Man mag es lauthals beklagen, aber es gibt eben kein perfektes Rechtssystem ohne unbefriedigende Urteile.

Ob man jetzt, wie von Rechtspolitikern der Union gefordert, "die Berichterstattung über Vergewaltigungsprozesse beschränken" und "notfalls gesetzlich regeln" soll, ist trotz der medialen Auswüchse, die der Kachelmann-Prozess angenommen hat, ebenfalls äußerst kritisch zu hinterfragen. Die Pressefreiheit einzuschränken ist nämlich immer in hohem Maße bedenklich. Wenn Ex-Freundinnen, die später vor Gericht als Zeugen aussagen, ihre intimen Erfahrungsberichte noch vor Beginn des Prozesses für ein Honorar von bis zu 50.000 Euro an Illustrierte verkaufen, ist das zwar anrüchig, aber juristisch kaum zu fassen. Der Vorgang belegt höchstens, mit welch obskurem Personenkreis sich das Mannheimer Landgericht herumschlagen musste.

Resümee: Der Fall Kachelmann fand naturgemäß viel Aufmerksamkeit. Die Schuld wurde nicht zweifelsfrei festgestellt, was unbefriedigend ist, aber logischerweise in einen Freispruch münden musste. Die Rechtsfindung ist weiterhin allein Aufgabe der dafür zuständigen Gerichte. Und das ist gut so. Die Begleitumstände waren zwar unappetitlich, doch für gesetzgeberische Schnellschüsse gibt es überhaupt keinen Anlass.

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[1] Landgericht Mannheim, Pressemitteilung vom 31.05.2011 - Freispruch für Jörg Kachelmann
[2] Süddeutsche vom 31.05.2011
[3] Frankfurter Rundschau vom 01.06.2011
[4] taz vom 19.05.2011
[5] Alice Schwarzer, Ein Freispruch dritter Klasse und seine Folgen