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| Impressum 27. Juni 2011, von Michael Schöfer Widersprüchliche Haltung Weil er die Verbindungsdaten von fast einer Million Bürger speichern und auswerten ließ, hat der Dresdner Polizeipräsident Dieter Hanitsch jetzt seinen Stuhl räumen müssen. Bei einer Funkzellenauswertung sind "von allen Handy-Besitzern", die sich am 19. Juni 2011 in der Dresdner Südvorstadt aufgehalten haben, "sämtliche eingehende und ausgehende Anrufe und SMS sowie die jeweilige Position erfasst worden". "Ursprünglich habe die Funkzellenauswertung nur zur Aufklärung eines schweren Landfriedensbruchs dienen sollen, hieß es. Die gesammelten Daten wurden dann aber auch bei Ermittlungen gegen andere Menschen verwendet, denen lediglich die Störung der angemeldeten Nazi-Demonstration vorgeworfen wurde." [1] Andere Blätter sprechen sogar von mehr als einer Million Datensätzen. [2] Die Staatsanwaltschaft in Dresden bezeichnet dieses Vorgehen mittlerweile als juristisch nicht haltbar. Genau davor haben die Menschen Angst, und genau deshalb wehren sie sich gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten. Dresden ist nicht der erste Fall, bei dem Daten in rechtswidriger Art und Weise für andere als die ursprünglich vorgesehenen Zwecke gesammelt und ausgewertet wurden. Viele nennen das - offenbar zu Recht - Datensammelwut. Orwell lässt grüßen. Der Bürger werde, sofern man ohne konkreten Anlass alle anfallenden Daten ein halbes Jahr lang speichere, einem unzulässigen Generalverdacht ausgesetzt, sagen sie. Und man könne sich nicht auf gesetzliche Schranken verlassen, denn einmal vorhandene Daten würden zu ihrem Missbrauch geradezu einladen. Jedenfalls gibt es unstreitig entsprechende Wünsche. So hat beispielsweise der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm im Jahr 2006 die Freigabe der Maut-Daten zu Fahndungszwecken gefordert, obgleich diese laut Mautgesetz ausschließlich zur Abrechnung vorgesehen sind. [3] "Diese Daten dürfen ausschließlich zum Zweck der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes verarbeitet und genutzt werden. Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig", heißt es dort in § 7 Abs. 2. Bei der Polizei hat man dafür freilich wenig Verständnis. Die Vorratsdatenspeicherung sei zur Aufklärung schwerer Verbrechen unbedingt notwendig. "Tatsache ist, dass die Polizei Internet-Verbindungsdaten und Verkehrsdaten der Telekommunikation braucht, um wichtige Informationen zum Täterverhalten, Tatstrukturen und möglichen Komplizen zu erhalten", behauptet etwa die Deutsche Polizeigewerkschaft. [4] Den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung wirft die Berufsvertretung der Polizisten das Festhalten an "ideologisch motivierten Auffassungen" vor. Szenenwechsel: Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, "eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei sog. 'Großlagen'" einzuführen. [5] Hintergrund sind wohl Fälle wie diese:
Da begegnet er uns wieder, der Terminus "Generalverdacht". Bloß diesmal in einem ganz anderen Kontext. Wenn Telekommunikationsdaten ein halbes Jahr lang gespeichert werden sollen, ist der Generalverdacht, dem der Bürger dadurch ausgesetzt ist, nach Meinung der DPolG irrelevant. Man brauche das eben zur Aufklärung. Wenn allerdings Polizisten anonym gekennzeichnet werden sollen, ist das ein vollkommen inakzeptabler Generalverdacht. Hier ist kurioserweise die Aufklärung nebensächlich. Merke: Das "kollektiv-politische Misstrauen gegen die Rechtmäßigkeit der Polizei" ist abzulehnen, das "kollektiv-politische Misstrauen gegen die Rechtmäßigkeit des Bürgers" jedoch gerechtfertigt. Ist diese Haltung nicht ein bisschen widersprüchlich? ---------- [1] Spiegel-Online vom 27.06.2011 [2] FAZ.NET vom 27.06.2011 [3] Heise-Online vom 27.01.2006 [4] DPolG vom 10.06.2011 [5] Bündnis 90/Die Grünen BW, Koalitionsvertrag "Der Wechsel beginnt", Seite 67, PDF-Datei mit 883 kb [6] Süddeutsche vom 25.02.2011 [7] Amnesty International, Täter unbekannt, Seite 75f, PDF-Datei mit 1,7 MB [8] DPolG BW, Der Informationsdienst der DPolG Baden-Württemberg vom 26.06.2011, Seite 7, PDF-Datei mit 342 kb [9] Stuttgarter Zeitung vom 23.06.2011 |