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| Leserbriefe | Impressum 04. September 2011, von Michael Schöfer Differenzen bei den Statistiken In meinem Artikel "Hilfe für die Banken?" vom 1. September stützte ich mich bei der Auflistung der Schuldenquote (Staatsverschuldung in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt) auf Zahlen, die ich bei Wikipedia gefunden habe, und die wiederum auf Daten des IWF (Internationaler Währungsfonds) beruhen. Am gleichen Tag hat Jens Berger auf den NachDenkSeiten den Artikel "Die Eurokrise in Zahlen (I) – Wie Musterschüler zu Problemkindern wurden" veröffentlicht, in dem er sich u.a. ebenfalls mit der Schuldenquote beschäftigt. Berger stützte sich dabei auf Daten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Nun sind Statistiken für die Beurteilung der Lage unentbehrlich. Dumm ist bloß, wenn sie unterschiedliche Aussagen machen. So auch hier bei der Schuldenquote. Der IWF präsentiert uns nämlich andere Zahlen als die OECD. Und um den Kohl fett zu machen: Auch Eurostat, das Statistische Amt der Europäischen Union, bietet eigene Daten über die Schuldenquote an, die aber teilweise ebenfalls anders ausfallen. Eine kleine Übersicht mit ausgewählten Staaten:
Zumindest eine Differenz ist relativ leicht aufzuklären: Die Daten der OECD beziehen sich auf die Schulden der Zentralregierung (Central Government debt), die Daten von IWF und Eurostat hingegen auf alle öffentlichen Schulden (General Government debt), in Deutschland sind darin also auch die der Bundesländer enthalten. Eigentlich müssten daher die Angaben von IWF und Eurostat übereinstimmen, doch das tun sie nur partiell: bei Italien, Irland, Griechenland und Spanien. Zwischen den Angaben für Portugal klafft immerhin eine Lücke von 10 Prozentpunkten. Laut IWF hat Portugal Schulden in Höhe von 144 Mrd. Euro, laut Eurostat sollen es dagegen 160,47 Mrd. Euro sein - ein Unterschied von satten 16,47 Mrd. Euro. "Deutschland, Du hast es besser, bei Dir stimmen die Angaben wenigstens überein. Deutsche Gründlichkeit eben." Pustekuchen! Auch hierzulande trifft man, je nachdem wo man sucht, auf abweichende Angaben. Laut Bundesbank lag die Schuldenquote Deutschlands im vergangenen Jahr bei 69,9 Prozent. [1] Laut Statistischem Bundesamt sind es freilich 81,9 Prozent. [2] Es ist zum Verzweifeln, welcher Laie blickt da noch durch? Das Statistische Bundesamt bezieht bei der Ermittlung des Schuldenstandes staatliche und kommunale Extrahaushalte mit ein. Ob die auch in die Statistiken der Bundesbank, von Eurostat und des IWF einfließen? Keine Ahnung. Und wenn ja, warum kommt dann jeder auf ein anderes Ergebnis? Das macht Vergleiche extrem schwer. Am besten ist wohl, man bezieht sich in einem Artikel immer auf die gleiche Statistik. Es kann dann aber durchaus vorkommen, dass man später in einem anderen Artikel mit einer davon abweichenden Statistik hantieren muss. So kommt es zu scheinbaren Widersprüchen respektive Unsauberkeiten, die aber lediglich auf einem Mangel an detaillierten Informationen beruhen. Die Hinweise, wie sich die Statistiken genau zusammensetzen, sind bei den diversen Institutionen sicherlich irgendwo zu finden. Es ist allerdings nicht jedermanns Sache, einen mehrere hundert Seiten langen - womöglich auch noch fremdsprachigen - Text zu durchforsten, nur weil man mal auf die Schnelle eine Zahl braucht. Das Internet ist toll, früher war man auf Druckwerke angewiesen, die man kaufen oder - falls überhaupt vorhanden - bei einer Bibliothek ausleihen musste. Jetzt genügen wenige Mausklicks. Das Leben ist aber dadurch nicht unbedingt leichter geworden, denn nun stößt man auf die besagten Differenzen, die vor dem Internetzeitalter vielleicht gar nicht aufgefallen wären. Hat man früher zu wenig Daten gefunden, sind es heute viel zu viele, d.h. man ist permanent überlastet, weil man bei der Suche nach einer Zahl im Grunde auch noch eine Fülle von anderen Angaben lesen müsste (was zeitlich nur geht, wenn man beim Lotto den Jackpot abgeräumt hat und den Job kündigen kann). Ganz böse: Institutionen ändern zuweilen die Zusammensetzung ihrer Statistiken. Ob die Daten des Jahres 2010 mit denen von 1970 vergleichbar sind, ist nicht immer sicher. Bei statistischen Änderungen ersparen sich nämlich die Statistiker häufig die lästige retrograde Neuberechnung, sie fügen dann einfach eine Fußnote bei, die darüber informiert, dass sich die Statistik zu einem bestimmten Zeitpunkt geändert hat. Das mag arbeitsökonomisch sein, bringt aber zusätzlichen Verdruss. Um mit Jens Berger zu sprechen: Es gibt nicht nur eine "Eurokrise in Zahlen", sondern auch eine Krise der Zahlen selbst. Was hat Churchill angeblich gesagt: "Vertraue keiner Statistik..." Deshalb: Bitte üben Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein bisschen Nachsicht. ---------- [1] Deutsche Bundesbank, Excel-Datei mit 51 kb [2] Statistisches Bundesamt, BIP: 2.476,80 Mrd. Euro, Excel-Datei mit 262 kb; Schuldenstand: 2.028,2 Mrd. Euro |