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06. September 2011, von Michael Schöfer
Schweizer Warnsignal für Deutschland


In der Krise wachsen die Sehnsüchte nach der vermeintlich guten alten Zeit, deshalb hat auch die Finanz-und Wirtschaftskrise bei den Deutschen entsprechende Wünsche geweckt: Ein erklecklicher Teil hätte nämlich gerne die D-Mark zurück. 37 Prozent der Deutschen glauben, "dass Deutschland mit einer Wiedereinführung der D-Mark besser dastünde." [1] Anderen Umfragen zufolge wollen sogar 44 Prozent die D-Mark zurückhaben. Hintergrund ist die Vertrauenskrise des Euro: "76 Prozent der Befragten hätten (…) kaum oder kein Vertrauen mehr in den Euro." [2] Mit anderen Worten: Es ist die Angst vor dem Kollaps, die die Deutschen zur eigenen Währung zurücktreibt. Ein Kollaps, in den uns andere (Merkel: die faulen Griechen) angeblich unvermeidbar hineinziehen.

Dabei geht es Deutschland - volkswirtschaftlich gesehen - vergleichsweise gut. Die Bundesrepublik ist bislang der eindeutige Gewinner des Euro. Die Rahmendaten könnten angesichts des schwierigen ökonomischen Umfelds eigentlich nicht besser sein: Das Staatsdefizit sank im ersten Halbjahr 2011 auf gerade mal 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, wie das Statistische Bundesamt vor kurzem bekanntgab. [3] Die Zahl der Erwerbstätigen ist "mit gut 41 Millionen Personen um über eine halbe Million höher als noch vor einem Jahr", die Zahl der Erwerbslosen liegt dagegen um rund 300.000 niedriger. [4] Das Bruttoinlandsprodukt wuchs zwar im zweiten Quartal 2011 nur um 0,1 Prozent, im ersten Quartal waren es jedoch 1,3 Prozent. Und 2010 stolze 3,7 Prozent. [5]

Oberflächlich betrachtet könnte jede Regierung mit einer solchen Bilanz protzen. Doch die Bürger spüren, dass es unter der glänzenden Fassade ganz anders aussieht: Die Zahl der Erwerbstätigen wächst hauptsächlich bei den prekären Beschäftigungsverhältnissen, insbesondere im Zeitarbeitssektor. [6] Das Wachstum der Wirtschaft ist wie gehabt den Exporterfolgen zu verdanken, ob es angesichts der herben Einschnitte bei unseren Abnehmerländern gehalten werden kann, indes mehr als fraglich. Beim Verarbeitenden Gewerbe sind die Auftragseingänge im Juli 2011 gegenüber dem Vormonat um 2,8 Prozent zurückgegangen. [7] Die Bremsspuren sind unübersehbar. Und weil das Durchschnittseinkommen in den letzten 10 Jahren gesunken ist, haben die meisten Menschen deutlich weniger in der Tasche. [8] An der chronischen Flaute auf dem Binnenmarkt wird sich daher kaum etwas ändern. Kein Wunder, wenn Schwarz-Gelb eine Wahl nach der anderen verliert. Nicht zuletzt auch wegen des chaotisch erscheinenden Krisenmanagements.



Zweifelhafte Währungsnostalgie: die D-Mark
[Quelle: Wikipedia, Bild ist public domain, Urheber: lordnikon / Fotowerkstatt]

Wäre durch die Rückkehr zur D-Mark wirklich alles besser? Schließlich könnte uns ja dann das Schicksal der PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) egal sein, meinen viele. Wir behalten unser Geld, die anderen ihre Schulden. Nach der Wiedereinführung der D-Mark würde diese aber unweigerlich drastisch aufwerten, die deutschen Produkte wären folglich im Ausland viel teurer als heute. Der Schweiz passiert momentan genau das Gleiche: Aufgrund von starken Kapitalzuflüssen ist der Kurs des Franken enorm gestiegen: "Seit Anfang 2009 hat er um 21 Prozent gegenüber dem Euro und 26 Prozent gegenüber dem Dollar aufgewertet." Das hat die Exportindustrie der Schweiz schwer getroffen. "Im Juni sanken die Exporte in die EU - dem mit Abstand wichtigsten Handelspartner der Schweiz - um 14,6 Prozent." [9]

Nun hat unser südlicher Nachbar die Reißleine gezogen: Käufer Schweizer Staatsanleihen müssen zur Zeit Negativzinsen von bis zu einem Prozent bezahlen. Das heißt: Wer für 100 Millionen Franken Staatsanleihen kauft, bekommt am Ende der Laufzeit nur 99 Millionen zurück. Für die Schweiz ein gutes Geschäft. Eigentlich sind Negativzinsen für Kapitalanleger absolut unattraktiv, sie könnten sich aber bei einem weiterhin starken Kursanstieg des Franken dennoch lohnen, sofern der Kursanstieg die Negativzinsen übersteigt. Doch auch hier greift die Schweiz hart durch, sie hat jetzt nämlich einen Mindestkurs des Franken gegenüber dem Euro festgelegt. Die Schweizer Notenbank (SNB) hat angekündigt, "den Kurs mit 'unbegrenzten Devisenkäufen' nicht unter 1,20 Franken fallen [zu] lassen. Das heißt, sie verkauft Franken und kauft dafür Euro." [10] Um diese Verteidigungslinie zu halten, kann sie schlicht so viel Geld drucken, wie sie dazu braucht. Doch bei den Spekulanten werden womöglich bereits die Messer gewetzt. Sie testen vielleicht, ob die SNB ihr Versprechen wirklich wahr macht. Das Image der Schweiz als "sicherer Hafen" tut gewiss ein Übriges. Schau'n mer 'mal

Wenn die SNB Geld druckt, steigt die Geldmenge. Und eine Ausweitung der Geldmenge könnte die Inflation anheizen, das postulieren zumindest diverse Wirtschaftstheorien. Allerdings wäre Nichtstun, so die Einschätzung der Schweizer Notenbank, mit größeren Gefahren verbunden: "Die gegenwärtig massive Überbewertung des Schweizer Frankens stellt eine akute Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft dar und birgt das Risiko einer deflationären Entwicklung", erläutert die SNB ihr Handeln. [11] Eine echte Zwickmühle, sozusagen die Wahl zwischen Pest und Cholera. In der Schweiz beträgt die aktuelle Inflationsrate derzeit 0,472 Prozent (Stand: Juli 2011) [12], von daher ist eine maßvolle Inflation sogar willkommen, das Schreckgespenst der Deflation dadurch vorerst beseitigt. Was sich daraus langfristig entwickelt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Man wird sehen.

Jedenfalls zeigt dieses Beispiel, was Deutschland nach der Wiedereinführung der D-Mark blühen könnte: massive Probleme beim Export, die aus der Aufwertung der D-Mark resultieren. Im ersten Quartal 2011 gingen 60,5 Prozent unserer Exporte in die die Mitgliedstaaten der EU, 40,9 Prozent in die Euro-Zone. [13] Was eine starke Aufwertung unserer (dann wieder nationalen) Währung anrichten würde, kann man sich leicht ausmalen - ein Desaster. Nichts wäre gewonnen, vieles verloren, Europa um Jahrzehnte zurückgeworfen. Und da hierzulande die - ein bisschen neurotische - Inflationsangst durch unsere geschichtliche Erfahrung geprägt ist (Hyperinflation in der Weimarer Republik), möchte ich nicht Volkes Stimme hören, wenn die Deutsche Bundesbank das Anwerfen der Druckerpresse auch nur in Erwägung ziehen würde. Uns könnte das gleiche Dilemma plagen, vor dem heute die Schweizer stehen: Die Entscheidung zwischen Deflation und Inflation.

Angesichts dessen ist die behutsame Sanierung der Euro-Zone wahrscheinlich der wesentlich bessere Weg. Es geht folglich nicht um das Ob, sondern um das Wie. Eine Rückkehr zur D-Mark droht nicht nur die ganze EU sprengen, sondern wäre auch ökonomisch kontraproduktiv. Deutsche Währungsnostalgie ist deshalb eine höchst zweifelhafte Handlungsstrategie. Das Gebot der Stunde lautet vielmehr: Integration anstatt Spaltung. Und das Ziel: die Vereinigten Staaten von Europa.

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[1] RP-Online vom 19.08.2011
[2] Die Welt-Online vom 31.08.2011
[3] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 315 vom 01.09.2011
[4] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 311 vom 31.08.2011
[5] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 297 vom 16.08.2011
[6] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 270 vom 19.07.2011
[7] Spiegel-Online vom 06.09.2011
[8] Berliner Zeitung vom 19.07.2011
[9] Focus-Money vom 06.09.2011
[10] Focus-Money vom 06.09.2011
[11] Schweizerische Nationalbank vom 06.09.2011, PDF-Datei mit 56 kb
[12] gobal-rates.com
[13] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 208 vom 01.06.2011