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11. September 2011, von Michael Schöfer
CSU fordert Rauswurf Griechenlands


Da dieser Artikel die aktuelle Kapriole der CSU behandelt, möchte ich hier eingangs ausnahmsweise einen Theologen zitieren, schließlich geht es um eine christliche Partei: "Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." (Reinhold Niebuhr, 1892-1971, deutsch-amerikanischer Theologe) Hätte die CSU danach gehandelt, hätte sie nicht erneut mit billigem Populismus geglänzt. In einem Leitantrag, den der Parteivorstand kommende Woche beschließen will, droht die CSU notorischen Defizitsündern erstmals mit dem Ausschluss aus der Euro-Zone. "Euro-Staaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln der Haushaltsdisziplin halten und dadurch sich und die Währungsunion in Schwierigkeiten bringen, müssen damit rechnen, die Währungsunion verlassen zu müssen." [1] Das ist auf Griechenland gemünzt. Maßgeblich verfasst wurde der Antrag von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der ja allseits als scharfsinniger Denker bekannt ist. (Achtung: Ironie!)

Angesichts des von der EU verordneten rigiden Sparkurses bricht in Griechenland die Wirtschaft ein. Etwas, worauf Kritiker von Anfang an hingewiesen haben. Die Griechen sparen sich buchstäblich zu Tode. Finanzminister Evangelos Venizelos zufolge wird das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr voraussichtlich um mehr als fünf Prozent einbrechen. Damit wird Athen die anvisierte Defizitquote von 7,4 Prozent kaum erreichen, Venizelos befürchtet offenbar einen Anstieg auf 8,8 Prozent. [2] Die Verschuldung sei außer Kontrolle geraten, heißt es mittlerweile. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellt demgegenüber lakonisch fest: "Griechenland habe die Voraussetzungen für die Auszahlung der nächsten Hilfstranche bisher nicht erfüllt." [3] Da macht er es sich wohl zu einfach. "Im Athener Zentrum musste bereits jedes vierte Geschäft schließen, weil die Leute wegen der Krise Einkommenseinschnitte hinnehmen müssen und kein Geld mehr zum Einkaufen haben." [4] 2010 sind die Konsumausgaben stark zurückgegangen. Das setzt sich 2011 fort: Im ersten Quartal 2011 sanken die realen Konsumausgaben der privaten Haushalte gegenüber dem Vorjahresquartal um 7,9 Prozent, im zweiten Quartal um 6,14 Prozent. [5] Woher die wirtschaftlichen Impulse kommen sollen, wenn die Kaufkraft einbricht, ist unklar. Auch Schäuble bietet dafür keine Lösung an. Kommt es jedoch nicht zur Auszahlung der nächsten Hilfstranche, ist die Pleite Griechenlands vorprogrammiert.

Und in einer solch prekären Situation kommen die Schlaumeier von der CSU gerade recht. Die CSU bedient zwar mit ihrer Ausschlussdrohung wie gewohnt den Boulevard und die Stammtische, ihr Vorhaben entbehrt jedoch jeder sachlichen Grundlage. Zunächst: Ein Ausschluss ist rechtlich gar nicht möglich, weil er im aktuellen EU-Vertrag schlicht und ergreifend nicht vorgesehen ist. Nach Artikel 50 Abs. 1 des EU-Vertrags können Mitgliedstaaten beschließen, aus der EU auszutreten. Einen Ausschluss kennt der EU-Vertrag dagegen nicht. Im Gegenteil: Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) ist laut Deutscher Bundesbank eine "nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft", die als "als unwiderrufliche Rechtsgemeinschaft auf Dauer angelegt" ist. [6] Überdies sieht Artikel 3 Abs. 3 des EU-Vertrages vor: Die Union "fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten." Und Solidarität braucht man bekanntlich gerade dann, wenn es einem schlecht geht.

Doch nehmen wir an, der Ausschluss wäre möglich: Was würde passieren? Die Griechen würden wieder die Drachme einführen, die dann sogleich drastisch abwerten müsste. Oberflächlich betrachtet könnte das den Griechen gut tun, weil es der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft einen Schub geben könnte. Stichwort: Exporte. Griechenland hatte 2010 ein Bruttoinlandsprodukt von 230,2 Mrd. Euro, die Exporte beliefen sich allerdings auf lediglich 16,2 Mrd. Euro, das sind magere sieben Prozent. [7] Die Abwertung könnte den Export tatsächlich beleben, aber die Ausgangsbasis ist recht dünn, eine gesamtwirtschaftliche Erholung dürfte somit länger auf sich warten lassen. Schade, dass die Abwertung der Drachme unterdessen den griechischen Finanzsektor und etliche Unternehmen in den Bankrott treibt. Da alle Schulden in Euro ausgestellt sind, würden sich diese durch eine Abwertung der Drachme vervielfachen. Athen bliebe überdies bestimmt auf den neuen Drachme-Anleihen sitzen. Ob sich der Ägäis-Staat nach dem Ausschluss am Kapitalmarkt refinanzieren kann, ist mehr als fraglich. Folge: Staatsbankrott, Kollaps der Wirtschaft.

Hinzu kommen die Abschreibungen, die deutsche Banken und Versicherungen angesichts des Ausfalles ihrer Griechenlandforderungen vornehmen müssten. Deutsche Banken hielten Anfang des Jahres Griechenland-Anleihen in Höhe von 10,3 Mrd. Euro. [8] Andere Quellen sprechen von "mindestens 18 Milliarden Euro". [9] Das war schon mal dramatischer, die Banken haben - entgegen ihren Zusagen - inzwischen einiges davon abgestoßen. Die Versicherer sollen auf griechischen Papieren im Wert von 2,8 Mrd. Euro sitzen. [10] Isoliert betrachtet mag das vom Volumen her als durchaus verkraftbar erscheinen. Doch wenn es tatsächlich zum befürchteten Dominoeffekt kommt, könnte sich das schnell ändern. Man darf nicht bloß auf die Staatsanleihen starren. Wenn der griechische Staat Insolvenz anmeldet, gehen auch die griechischen Banken pleite, die halten nämlich ein Fünftel der Athener Staatsanleihen. Wenn die griechischen Banken kollabieren, reißen sie auch viele Unternehmen mit in den Orkus. Und jetzt stellen Sie sich vor, das Ganze passiert ist allen PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) gleichzeitig. Da kommen Riesensummen zusammen. Aktuelle Zahlen habe ich nicht gefunden, aber Anfang letztes Jahr besaßen die deutschen Banken PIIGS-Papiere im Wert von 522,4 Mrd. Euro. [11] Außerdem: Laut Angaben der Aufsichtsbehörde BaFin liegen immerhin 8,9 Prozent der Kapitalanlagen der deutschen Lebensversicherer in Anleihen der PIIGS-Staaten (Stand: Oktober 2010). [12]

Risiko EZB: "Insgesamt hat die EZB seit Mai 2010 Griechenland-Anleihen in Höhe von 50 Milliarden Euro gekauft, schätzen Experten. Zudem sind offenbar über so genannte Tendergeschäfte weitere Staatsanleihen im Wert von 60 bis 90 Milliarden Euro von griechischen Geschäftsbanken als Sicherheit bei der EZB und den europäischen Notenbanken für aufgenommene Kredite hinterlegt." [13] Nimmt man die Staatsanleihen von Portugal, Irland, Italien und Spanien dazu, soll die EZB auf Staatsanleihen in Höhe von 130 Mrd. Euro sitzen, deren Rückzahlung durch die sich wieder verschärfende Krise gefährdet ist. [14] Hätte die EZB freilich auf den ihr eigentlich verbotenen Kauf von Staatsanleihen verzichtet, wäre die Euro-Zone wahrscheinlich längst geplatzt.

Aber das kann hier nicht genauer erörtert werden. Das oben geschilderte Geflecht soll nur klar machen, vor welchem Hintergrund die CSU-Schlaumeier mit ihrer Forderung nach dem Ausschluss Griechenlands agieren. Und wenn man sich dann die Folgen eines Ausschlusses vergegenwärtigt, wird einem klar, welch riskanten Kurs die CSU dem Boulevard und den Stammtischen zuliebe fährt. Populismus pur, der ordentlich nach hinten losgehen könnte. In meinen Augen ein unverantwortliches Spiel.

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[1] Reuters vom 10.09.2011
[2] n-tv vom 02.09.2011
[3] Reuters vom 10.09.2011
[4] taz vom 30.08.2011
[5] Querschüsse vom 08.09.2011
[6] DekaBank, Volkswirtschaft Spezial, Austritte aus der EWU: Was passiert, wenn…, Nr. 7/2010 vom 13. Juli 2010, PDF-Datei mit 176 kb
[7] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, iXPOS Länderdossier Griechenland
[8] Financial Times Deutschland vom 09.06.2011
[9] Die Welt vom 24.06.2011
[10] Handelsblatt vom 09.06.2011
[11] manager-magazin vom 21.02.2010
[12] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Jahresbericht 2010, Seite 114, PDF-Datei mit 2,9 MB
[13] tagesschau.de vom 16.06.2011
[14] FAZ.NET vom 10.09.2011