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15. September 2011, von Michael Schöfer
iCensor


Früher, Anfang der neunziger Jahre, hatte ich einmal einen Apple-Rechner. Damals waren die Kisten aus Cupertino zwar etwas teurer als die Konkurrenz, bestachen aber durch ihre Qualität. Insbesondere das Macintosh-Betriebssystem zeigte sich dem Produkt aus Redmond (Windows) deutlich überlegen. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Was sich allerdings drastisch geändert hat, ist das Image des Konzerns. Einst galt Microsoft als böser Bube, der Mitbewerber mit unfairen Methoden auf Distanz hielt. Inzwischen hat diesbezüglich Apple einen unrühmlichen Spitzenplatz erklommen, die Firma des legendären Steve Jobs (Spitzname: iGod) geriert sich nämlich derzeit als "iCensor".

Aus Apples "App Store", dem Verkaufsportal für Computeranwendungen, wurden bereits in der Vergangenheit Programme mit Bildern von Frauen in Unterwäsche und Bikinis verbannt. Das hätte man noch milde lächelnd mit der irrationalen Prüderie in Amerika abtun können. Fakt ist dennoch, dass hier ein Computer- und Softwarehersteller eindeutig Zensur ausübt. Es ist schließlich ein Unding, dass das Programmangebot für Apple-Hardware von der fragwürdigen moralischen Einstellung der Konzern-Führung abhängt. Solange die Software nicht gegen Gesetze verstößt, darf das eigentlich nicht passieren. Apple maßt sich hingegen selbstherrlich die Entscheidung darüber an, was für die Verbraucher gut oder schlecht ist. Die Kunden werden wie kleine Kinder bevormundet. Programme vom Konkurrent Google hat Apple ebenfalls schon einmal blockiert. Hinzu kam die Speicherung von Bewegungsprofilen beim iPhone und iPad, mit der das Unternehmen Anfang des Jahres in Verruf geriet.

Ziemlich absurd finden viele auch die Klage gegen Samsung, dessen "Galaxy Tab 10.1" angeblich gegen das Geschmacksmuster der Apfel-Firma verstößt. Es sei dem iPad zu ähnlich, argumentiert Cupertino. "Apple hat das iPad mit folgenden Merkmalen beschrieben und verlangt markenrechtlichen Schutz dafür. Es handle sich um 'ein rechteckiges Produkt mit vier gleichmäßig abgerundeten Ecken'. Dieses besitze 'eine flache, klare Oberfläche, welche die Vorderseite des Produkts bedeckt' und wenn man es einschalte, würden sich 'farbige Icons innerhalb des Displays' befinden. Erwähnt wird auch das 'ungewöhnlich schlanke Profil' des iPad 2." [1] Das trifft genauso auf jedes andere Tablet zu. Wenn Apple damit wirklich durchkommt, kann man mit einer Geschmacksmuster-Klage fast alles verbieten lassen, zum Beispiel ein "kastenförmiges Produkt mit vier Rädern, an dem vorne und hinten Beleuchtungskörper sowie im Innenraum ein rundes Lenkrad angebracht sind".

Nun hat die Zensur von Apple eine neue Qualität erreicht. Die App "Phone Story" wurde aus dem App Store entfernt. Offizieller Grund: Das Spiel habe gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen. "So seien Inhalte verboten, die 'Gewalt oder den Missbrauch von Kindern' sowie 'falsche, betrügerische oder irreführende Darstellungen' zeigen." Der wahre Grund ist wohl darin zu finden: Phone Story "will dem Smartphone-Besitzer vor Augen führen, unter welchen Arbeitsbedingungen sein Handy produziert wurde. Im ersten Level muss der Spieler Kinder in den Minen von Kongo zur Arbeit antreiben, die das Erz Coltan schürfen. Danach geht es in Anspielung auf die Suizid-Serie bei Foxconn weiter nach China, wo der Spieler selbstmordgefährdete Arbeiter beim Sprung aus einem Fabrikgebäude auffangen muss. Der zynische Kommentar erklärt, dass die Firma nicht etwa die unmenschlichen Arbeitsbedingungen verbessert, sondern Auffangnetze installiert hätte, damit die Arbeiter nicht mehr vom Firmengebäude springen." [2]

Bei Foxconn, einem taiwanesischen Auftragshersteller, der in China für Apple u.a. das iPhone produziert, gab es im vorigen Jahr eine Selbstmord-Serie. Arbeiter warfen dem Unternehmen unerträgliche Arbeitsbedingungen vor (lange Arbeitszeiten, hohen Druck, niedrige Bezahlung, strenge Disziplin und schlechte Behandlung durch Vorgesetzte). [3] Schon vorher ist Foxconn negativ aufgefallen: "2006 wurden von der englischen Zeitung Mail on Sunday schwere Vorwürfe gegenüber Foxconn erhoben. So sollen bei der Fertigung des iPod unmenschliche Arbeitsbedingungen herrschen. Es wird von 15-stündigen Arbeitstagen und Monatslöhnen von 40 Euro berichtet, die deutlich unterhalb des regionalen Mindestlohns von 80 Euro liegen. Laut Spiegel Online seien 80, statt der arbeitsrechtlich erlaubten 36 Überstunden üblich, was gegen den Verhaltenskodex der Apple-Zulieferer verstoße." [4] Doch erst als es aufgrund der Selbstmord-Serie weltweit schlechte Schlagzeilen hagelte und zum Boykott des iPhones aufgerufen wurde, reagierte Apple. Es ist bezeichnend, dass Apple sich zwar an der negativen Berichterstattung über die Zustände in den Fabriken seines Auftragsherstellers zu stören scheint, die tatsächlichen Arbeitsbedingungen jedoch lange Zeit tatenlos hingenommen oder schlicht übersehen hat. Mit anderen Worten: Apple hat offenbar Probleme mit der Meinungsfreiheit.

Anderen ihre Vorstellungen aufzuzwingen, darin sind amerikanische Unternehmen ohnehin unübertroffen. Und Apple ist beileibe nicht das einzige Negativbeispiel. So hat beispielsweise die Ebay-Tochter Paypal deutsche Online-Händler, die kubanische Produkte verkaufen und über Paypal abrechnen, aufgefordert, diese Artikel aus ihrem Angebot zu entfernen. Der Verkauf würde gegen das US-amerikanische Embargo gegen Kuba verstoßen. Die Drogeriekette Rossmann, die in ihrem Online-Shop kubanische Zigarren anbietet, hat daraufhin ihre Zusammenarbeit mit Paypal eingestellt. "Paypal forderte Rossmann mit einem ruppigen Schreiben zu einem Delisting der Produkte innerhalb von drei Tagen auf, andernfalls werde die Zusammenarbeit aufgekündigt. Rossmann hätte die Zigarren komplett aus dem Online-Shop nehmen müssen, eine bloße Deaktivierung der Paypal-Zahlungsoption für diese Produkte wäre nicht ausreichend gewesen." [5] Gesetzliche Bestimmungen der USA werden von Paypal kurzerhand auf Deutschland übertragen, so als ob sie hier gültig wären.

Die Arroganz, mit der Apple & Co. auftreten, ist unerträglich. Sie könnte sich zudem bitter rächen. Microsoft hat das zu spüren bekommen und sein Verhalten wenigstens zum Teil geändert. Das anmaßende Verhalten von Apple wird sich hoffentlich ebenso wenig auszahlen. Je schlechter das Image des Konzerns wird, desto eher könnte es zu einem Rückgang der Verkaufszahlen kommen. Die Produkte aus Cupertino sind zweifellos chic, aber längst nicht alternativlos. Die Attraktivität des Unternehmens mit dem Logo eines angebissenen Apfels lässt vielleicht rasch nach, wenn es sich als intoleranter Kontrolleur seiner Kundschaft und nervtötender Prozesshansel entpuppt. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.

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[1] Die Presse.com vom 09.09.2011
[2] heise-online vom 15.09.2011
[3] Spiegel-Online vom 25.05.2010
[4] Wikipedia, Foxconn, Kritik
[5] heise-online vom 09.09.2011