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05. Oktober 2011, von Michael Schöfer
Die Krise der repräsentativen Demokratie


Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) wird vorgeworfen, in seiner Zeit als als Infrastrukturminister Inserate bei einflussreichen Zeitungen ("Krone", "Heute" und "Österreich") geschaltet zu haben. Die Rechnung beglichen staatseigene Unternehmen (ÖBB, ASFINAG), das Ganze fand also letztlich auf Kosten des Steuerzahlers statt. Faymann habe sich dadurch eine positive Berichterstattung erkauft, heißt es. [1] Einer von insgesamt sechs Vorwürfen gegen diverse Politiker, denen demnächst ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nachgehen wird. [2] Auch der Skandal um die berühmt-berüchtigte Kärntner Bank "Hypo Alpe Adria" ist noch lange nicht ausgestanden. Im Dunstkreis des verstorbenen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider ging es offenbar drunter und drüber. [3] Kein Wunder, wenn 82 Prozent der Österreicher kaum mehr Vertrauen in ihre Politiker haben. [4]

Die zahlreichen Affären des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi sind legendär. In Frankreich sollen Politiker jahrelang Aktenkoffer voller Geld von afrikanischen Machthabern erhalten haben. Das Geld sei zu Wahlkampfzwecken verwendet worden. [5] Ebenso ungeklärt ist bislang, wie tief der britische Premier David Cameron in den Abhörskandal um das inzwischen eingestellte Boulevard-Blatt "News of the World" verstrickt ist. Und spätestens seit der Finanzkrise ist klar, dass die Politiker am Gängelband der Investoren hängen. Der Einfluss der Lobbyisten auf die Gesetzgebung ist stärker als der Einfluss der Bürger - dem eigentlichen Souverän der Demokratie. Einerseits werden Banken mit Hilfe von Steuergeldern gerettet, andererseits gibt man Millionen Menschen der Armut preis.

Kein Zweifel, die repräsentative Demokratie befindet sich in einer schweren Krise. Was tun? Was ist die Alternative? Kommt der Kollaps mit unabsehbaren politischen Konsequenzen? Wird man die Krise doch irgendwie überwinden und danach lediglich business as usual betreiben? Oder kann sich unsere Gesellschaft reformieren und die Demokratie neu beleben? Viele Fragen, wenig Antworten.

Mehr direkte Demokratie könnte jedenfalls eine Antwort sein. Allerdings hat auch die ihre Tücken, besonders in einer so komplexen Angelegenheit wie der Finanzkrise. So hielten etwa beim ZDF-Politbarometer nur 19 Prozent der Befragten die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms für richtig, 75 Prozent bezeichneten diese Maßnahme als nicht richtig. Demgegenüber antworteten 50 Prozent auf die Frage "Sollte die EU den Bankrott Griechenlands zulassen?" mit nein, 41 Prozent mit ja. [6] Ziemlich widersprüchlich, denn die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms soll ja gerade die Staatspleite Griechenlands abwenden. Der Ärger der Menschen über das miserable Krisenmanagement ist verständlich. Die Weisheit des Volkes, wie die Krise zu bewältigen sei, lässt freilich zumindest in dieser Frage ebenfalls sehr zu wünschen übrig. Direkte Demokratie will gelernt sein, denn falsche Entscheidungen haben nicht selten fatale Folgen. Dieser Hinweis sollte keinesfalls als Plädoyer gegen mehr Einflussmöglichkeiten des Bürgers missverstanden werden. Wer darin jedoch ein Allheilmittel sieht, könnte durchaus böse Überraschungen erleben.

Mehr direkte Demokratie ist bloß ein Element von vielen. Dazu gehört auch mehr Demokratie in den Unternehmen. Und warum kann das Volk nicht einfach Neuwahlen beschließen, um eine unfähige Regierungskoalition wieder loszuwerden? Schwarz-Gelb wäre längst abgewählt worden. Nein, der Souverän hat gefälligst die Chaostruppe über eine ganze Legislaturperiode hinweg auszuhalten - es sei denn, Schwarz-Gelb wirft selbst vorzeitig das Handtuch. Macht braucht Kontrolle, sonst neigt sie zu Machtmissbrauch. Das ist notwendiger denn je. Wenn die Piratenpartei aktuellen Umfragen zufolge bundesweit bereits 8 Prozent erreicht, spricht das weniger für die Piraten, sondern vielmehr gegen den vorherrschenden Politikbetrieb. Der Bedarf nach Neuem ist evident. Und wenn die Demokratie wirklich die beste Staatsform ist, wovon ich zutiefst überzeugt bin, wird sie diese neuen Elemente auch peu à peu integrieren.

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[1] Der Standard vom 25.09.2011
[2] Der Standard vom 30.09.2011
[3] Salzburger Nachrichten vom 03.10.2011
[4] Der Standard vom 30.09.2011
[5] Stern.de vom 12.09.2011
[6] ZDF-Politbarometer vom 23.09.2011