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01. März 2014, von Michael Schöfer
Wann stürzt Merkel?
Politiker gehen selten freiwillig, sie müssen vielmehr gehen.
Jedenfalls in den meisten Fällen. Wenn sie nicht vom Tod aus
dem Amt gerissen werden, wie weiland Franz Josef Strauß,
verlieren sie ihr Amt aufgrund von Intrigen der
"Parteifreunde", privaten, geschäftlichen oder politischen
Affären sowie blamablen Wahlniederlagen gegen beliebtere
Kontrahenten. Beschränken wir uns der Einfachheit halber auf
die Bundeskanzler, sonst ufert die Diskussion noch schier
endlos aus:
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Konrad Adenauer (Bundeskanzler von 1949 bis 1963) verlor
bei der Bundestagswahl 1961 die absolute Mehrheit für die
Union (-4,9 %) und versprach, rechtzeitig vor der nächsten
Wahl zurückzutreten. Nachdem er sich lange weigerte, einen
konkreten Rücktrittstermin zu nennen, schied er unter dem
Eindruck der Spiegel-Affäre im Oktober 1963 aus dem Amt.
-
Ludwig Erhard (1963-1966) hatte es von vornherein schwer,
weil ihn viele für das Amt des Bundeskanzlers als
ungeeignet ansahen. Er galt deshalb als Übergangskanzler.
Deutschland erlebte während der Amtszeit Erhards einen
schweren Konjunktureinbruch mit einem signifikanten
Anstieg der Arbeitslosigkeit, weshalb die CDU etliche
Landtagswahlen verlor. Nachdem die FDP aus der Regierung
ausschied, wählte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion - welch
ein Affront - Kurt Georg Kiesinger zum Kanzlerkandidaten,
der - damals ein Novum - mit der SPD eine große Koalition
vereinbarte. Erhard trat am 1. Dezember 1966 gedemütigt
zurück.
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Kurt Georg Kiesinger (1966-1969) büßte 1969 bei der
Bundestagswahl die Regierungsmehrheit ein und musste der
sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt weichen.
-
Willy Brandt (1969-1974) wiederum, bis heute eine Ikone
der Sozialdemokratie, stürzte über die Guillaume-Affäre.
Die DDR hatte einen Spion im Kanzleramt installiert, also
im engsten Umfeld des Regierungschefs. Für den Sturz
Brandts sollen aber auch Intrigen Herbert Wehners,
seinerzeit Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, und
Helmut Schmidts verantwortlich gewesen sein.
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Helmut Schmidt verlor sein Amt als Bundeskanzler am 1.
Oktober 1982, nachdem die FDP die Regierung verlassen
hatte und ihn zusammen mit der Union durch das
konstruktive Misstrauensvotum (Grundgesetz, Artikel 67)
stürzte.
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Helmut Kohl (1982-1998) ist zwar der Kanzler mit der
bislang längsten Amtszeit, wurde aber dennoch (oder gerade
deshalb) 1998 bei der Bundestagswahl klar und deutlich
abgewählt (-6,3 % für die Union). Erstmals in der
Geschichte der Bundesrepublik hatten die Wählerinnen und
Wähler eine Regierung vollständig ausgewechselt.
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Gerhard Schröder (1998-2005) verlor wegen dem von ihm
betriebenen Umbau des Sozialstaats (Agenda 2010)
zahlreiche Landtagswahlen und seine Partei viele
Mitglieder, so dass er 2005 entnervt vorgezogene Neuwahlen
auf Bundesebene ausrief, die er dann prompt verlor (-4,3 %
für die SPD).
Tja, und
seitdem wird Deutschland von Angela Merkel regiert. Zunächst
stand sie der zweiten großen Koalition mit der SPD vor, durfte
anschließend vier Jahre lang das Zusammensein mit der FDP
genießen und fand sich schließlich nach der Bundestagswahl
2013 erneut in den Armen der SPD wieder. Merkel ist derzeit im
Zenit ihrer Macht, ihre Stellung wird ihr weder vom Wahlvolk
noch von Parteifreunden ernsthaft streitig gemacht (obgleich
es paradoxerweise im Bundestag eine rot-rot-grüne Mehrheit
gäbe). Aber genauso wie alle Menschen sterblich sind, müssen
auch Bundeskanzler(innen) zwangsläufig irgendwann einmal
aufhören - freiwillig oder, wie oben beschrieben,
unfreiwillig.
"Ich habe keinen Zweifel, dass Angela Merkel 2017 noch mal
antreten wird." Sie sei "eine sehr starke Kanzlerin", sagt
CSU-Chef Horst Seehofer. Merkel werde "noch lange regieren und
noch mehrere Amtszeiten haben". [1] Das ist, dreieinhalb Jahre
vor der nächsten regulären Bundestagswahl (Herbst 2017), eine
bemerkenswerte Äußerung. Trifft Seehofers Prognose von
"mehreren Amtszeiten" tatsächlich zu, wäre Merkel länger im
Amt als ehedem Helmut Kohl.
Die Bundeskanzlerin, die für ihre unprätentiöse Art bekannt
ist, dürfte sich vielleicht ebenfalls schon Gedanken über das
Ende ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin gemacht haben. Dazu
ist sie eine viel zu gewiefte Politikerin. Sie hat selbst
hautnah miterlebt, dass die Bürgerinnen und Bürger Helmut Kohl
nach 16 Jahren Regierungszeit gründlich satt hatten, sie waren
seiner schlicht und ergreifend überdrüssig. Ob Merkel den
gleichen Fehler begehen wird, zu lange an der Macht
festzuhalten? Hätte Kohl zwei Jahre vor der fatalen
Wahlniederlage sein Amt Wolfgang Schäuble übergeben, wäre die
Union 1998 an der Macht geblieben. Behaupten zumindest kundige
Beobachter des Politikgeschehens. Wird Merkel also frühzeitig
und vor allem freiwillig zurücktreten, um ihrer Partei einen
letzten Dienst zu erweisen (die reibungslose Übergabe der
Stafette)? Oder klammert sie sich, wie alle anderen Kanzler
vor ihr auch, krampfhaft an ihrem Amt fest, bis sie
schlussendlich doch irgendwann durch irgendwelche Ereignisse
aus dem Kanzleramt gefegt wird?
Angela Merkel schweigt sich darüber verständlicherweise aus,
denn solche Gedanken trägt man nicht vorzeitig in die
Öffentlichkeit. Vielleicht ist sie aber auch noch nicht zu
einem abschließenden Ergebnis gekommen. Wie dem auch sei,
eines ist jedenfalls sicher: Sogar Angela Merkel wird
irgendwann gehen oder gegangen werden. Das ist, um es mit der
Diktion der Kanzlerin zu sagen, "ohne Alternative". Sie
genießt derzeit bloß den Vorteil, die genauen Umstände noch
selbst in der Hand zu haben. Die Betonung liegt auf "noch". Da
bislang kein einziger Kanzler freiwillig aus dem Amt schied,
ist es Merkel durchaus zuzutrauen, diesbezüglich neue Maßstäbe
zu setzen. Ähnlich wie Joseph Aloisius Ratzinger alias
Benedikt XVI. hätte sie allein dadurch ihren Platz in der
Geschichte sicher. Na, wenn das kein Anreiz ist...
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[1] Süddeutsche vom 28.02.2014
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