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12. Januar 2012, von Michael Schöfer
Kurios und rechtlich fragwürdig


Die Sicherheit der Bürger vor Gewalttaten ist gewissermaßen ein Dauerbrenner. Spektakuläre Fälle, wie etwa die Berliner U-Bahn-Schläger [1] oder die Münchner S-Bahn-Schläger [2], bei denen Menschen schwer zu Schaden kamen oder gar getötet wurden, beunruhigen die Öffentlichkeit. Zu Recht, denn die Brutalität der Angriffe ist in der Tat beängstigend. Wenngleich die Fälle der Gewaltkriminalität zuletzt gesunken sind (von 217.923 im Jahr 2007 auf 201.243 im Jahr 2010) [3], ist das Niveau dennoch ziemlich hoch.

Was tun? Manche plädieren ja dafür, private Sicherheitsdienste mit der Wahrnehmung der öffentlichen Ordnung zu beauftragen. Auch in Mannheim wird derzeit über einen solchen Vorschlag diskutiert: Nach Ansicht des CDU-Stadtrats Nikolas Löbel müsse die Stadtverwaltung "die nötigen rechtlichen Voraussetzungen schaffen - damit die privaten Dienste auf der Straße letztlich eine Art Hausrecht ausüben könnten und so handlungsfähig seien." [4] Mich hat das ehrlich gesagt verwundert, denn Nikolas Löbel studiert nach eigener Aussage seit 2006 an der Mannheimer Universität Jura. [5] Und einem angehenden Juristen müssten eigentlich die juristischen Probleme von privaten Sicherheitsdiensten (Schwarze Sheriffs) bekannt sein.

"Art. 11 Abs. 1 GG gewährleistet die Freizügigkeit 'im ganzen Bundesgebiet'. (…) Das Grundrecht der Freizügigkeit darf nur unter bestimmten in Art. 11 Abs. 2 GG einzeln aufgeführten Voraussetzungen gesetzlich eingeschränkt werden", hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1957 festgestellt. [6] Tangiert von einem "Hausrecht im öffentlichen Raum" wäre u.a. auch die Allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz. Hohe Rechtsgüter, in die ein privater Sicherheitsdienst gar nicht eingreifen darf, denn Eingriffe in Grundrechte sind nur Trägern hoheitlicher Aufgaben erlaubt (Polizei, Kommunale Ordnungsdienste). "Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen", sagt dazu Artikel 33 Absatz 4 Grundgesetz. Staatliches Handeln unterliegt zudem der Grundrechtsbindung: "Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt." [7]

Normen, die den Einsatz privater Sicherheitsdienste in hohem Maße problematisch und teilweise sogar rechtswidrig machen. "Nun sind private Sicherheitsdienste nicht durch ein Gesetz mit ihren Aufgaben betraut. Grundlage ihrer Tätigkeit sind private Verträge. Mitarbeiter privater Sicherheitsunternehmen können daher nur von den Vorschriften der Notwehr bzw. Nothilfe (§ 32 StGB und § 227 BGB), der Selbsthilfe (§ 229 BGB), des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) sowie vom Festnahmerecht nach § 127 StPO Gebrauch machen. Liegen die entsprechenden Voraussetzungen nicht vor, scheiden Zwangsmaßnahmen von Mitarbeitern privater Sicherheitsunternehmen aus. Ihnen obliegt nicht die Möglichkeit der Personenkontrolle, des Platzverweises, oder der Beschlagnahme/Sicherstellung wie sie z.B. dem PVD [Polizeivollzugsdienst, Anm. d. Verf.] oder dem GVD [Gemeindevollzugsdienst, Anm. d. Verf.] aufgrund des Polizeigesetzes zustehen. Schon eine lapidare Befragung oder Personalienerhebung nach § 20 PolG ist ihnen verwehrt", stellt Andreas Böser, der 2. Landesvorsitzender des Verbandes der Gemeindevollzugsbeamten Baden-Württemberg, fest. [8] Private Sicherheitsdienste seien daher im öffentlichen Raum "entweder wirkungslos oder immer am Rande der Legalität unterwegs", mahnt Böser. Auch seien schon "Straftaten wie Nötigung, Amtsanmaßung, Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen" bekannt geworden. Wohlgemerkt: Straftaten durch die sogenannten "Schwarzen Sheriffs".

Der gute Leumund der Mitarbeiter des privaten Sicherheitsgewerbes ist in der Öffentlichkeit nicht unumstritten. Seit 1. Juni 2011 gilt für die rund 170.000 Beschäftigte im Wach- und Sicherheitsgewerbe ein gesetzlicher Mindestlohn. In Baden-Württemberg ist er auf 8,60 Euro festgelegt worden, damit kommt man bei einer 40-Stunden-Woche auf ein Monatsgehalt von knapp 1.500 Euro. Brutto, versteht sich. Netto verbleiben einem Ledigen (Steuerklasse I) 1.075 Euro, einem Verheirateten ohne Kinder (Steuerklasse III) 1.189 Euro. Entsprechend ihrem kargen Einkommen dürfte es um die Qualität der "Schwarzen Sheriffs" bestellt sein. Im Niedriglohnsektor ist eben bestenfalls nur Schmalspursicherheit zu bekommen. Und wenn es schlecht läuft, siehe Andreas Böser, handelt man sich damit noch zusätzliche Probleme ein.

Deshalb verwundert es umso mehr, wenn ein juristisch vorgebildeter CDU-Nachwuchspolitiker trotzdem den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten in Mannheim fordert. Schon allein ob die Stadtverwaltung überhaupt "die nötigen rechtlichen Voraussetzungen" schaffen kann, damit die privaten Dienste auf der Straße "eine Art Hausrecht" ausüben dürfen, ist fraglich, denn dazu fehlt ihr wohl die notwendige rechtliche Grundlage. Eingriffe in Grundrechte stehen nämlich - siehe Bundesverfassungsgericht - nur dem Gesetzgeber zu. Und Kommunen sind keine Gesetzgeber, das sind in Deutschland nur der Bundestag, der Bundesrat und die Landesparlamente. Doch selbst wenn, stünde dem Ansinnen Löbels Artikel 33 Absatz 4 Grundgesetz entgegen, die Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf private Sicherheitsdienste ist und bleibt rechtswidrig.

Falls es Defizite in puncto Sicherheit gibt, sind diese durch die vom Gesetzgeber dafür vorgesehenen Sicherheitsbehörden zu bewältigen. Und natürlich sind die Behörden dann auch in finanzieller und personeller Hinsicht entsprechend auszustatten, damit sie den ihnen übertragenen Aufgaben gerecht werden können. Es ist geradezu ein politischer Treppenwitz, bei den Trägern des staatlichen Gewaltmonopols Haushaltsmittel einzusparen [9], um juristisch problematische Grundrechtseingriffe durch private Sicherheitsdienste zu ermöglichen, die dann auch noch durch eine "Umlage der Betreiber von Bars, Clubs und Diskotheken" finanziert werden sollen. Eine reichlich kuriose Forderung also.

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[1] Die Welt-Online vom 21.12.2011
[2] Die Welt-Online vom 13.09.2009
[3] Bundeskriminalamt, PKS-Zeitreihen 1987 bis 2010, Grundtabelle 01 mit Häufigkeitszahl aber ohne Tatortgrößenklassen, Seite 210, PDF-Datei mit 803 kb
[4] Mannheimer Morgen vom 12.01.2012
[5] Website von Nikolas Löbel, Lebenslauf
[6] Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 16. Januar 1957, Az. 1 BvR 253/56
[7] Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 22. Februar 2011, Az. 1 BvR 699/06
[8] DPolG Mannheim, Standpunkt Nr. 38 / 2011, Seite 6, PDF-Datei mit 1,3 MB
[9] Wirtschaft und Gesellschaft vom 11.01.2012, Dass nichts bleibt wie es war – Zur Situation im Öffentlichen Dienst