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05. März 2012, von Michael Schöfer
Warum keine Chinesen?


Die radikale Privatisierung, in Großbritannien seinerzeit durch die "Eiserne Lady" Maggie Thatcher forciert, treibt immer buntere Blüten. Nach einem Bericht des Guardian soll dort nämlich auch die Polizei privatisiert werden. [1] Das, was in Kriegen längst üblich ist, die Privatisierung staatlicher Gewalt (Stichwort "Blackwater"), macht sich jetzt offenbar im Inland breit. "Private Unternehmen sollen nach der Ausschreibung Verbrechen verfolgen, Streife gehen oder Verdächtige festnehmen, auch forensische Aufgaben, die Verwaltung der Fahrzeuge oder Personal- und Finanzangelegenheiten sollen privatisiert werden. Alles halt, was irgend legal möglich ist." [2] Und Vorsicht: Was andernorts vorexerziert wird, könnte schon bald nach Deutschland kommen.

Wie sich im Irak gezeigt hat, neigen private Unternehmen, denen hoheitliche Aufgaben übertragen wurden, dazu, ein fast unkontrollierbares Eigenleben zu entwickeln. Gewissermaßen ein Staat im Staate, weitgehend von demokratischer Kontrolle durch die Volksvertreter enthoben. Doch ob ein frei von den Fesseln des Rechtsstaats agierendes Sicherheitsunternehmen von der Bevölkerung noch befürwortet wird, sobald es um die Verhältnisse im Inland geht, ist fraglich. Wenn Firmen wie Blackwater im Irak Menschen niedermetzeln, stößt das vielleicht auf allgemeines Desinteresse, aber Verhaftungen der eigenen Bürger durch "Schwarze Sheriffs" sind etwas ganz anderes, hier regt sich hoffentlich gleich zu Beginn Widerstand.

Darüber, ob die Demokratie durch al-Qaida oder die Taliban wirklich gefährdet ist, herrscht Uneinigkeit. Meiner Ansicht nach sind sie ungefährlicher, als gemeinhin angenommen. Terroranschläge können zwar eine Demokratie piesacken, aber im Grunde nie in ihrer Substanz treffen und damit ihr Überleben infrage stellen (es sei denn, Terroristen hätten Massenvernichtungswaffen). Die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben ist in dieser Hinsicht ein viel riskanteres Vorhaben. Wir erleben ja gerade, Stichwort "Finanzsektor", wie schwer private Interessen, einmal außer Rand und Band geraten, zu kontrollieren sind. Zumindest, wenn sie eine bestimmte Größenordnung erreichen (Stichwort "too big to fail"). Man hat sogar den Eindruck, dass Partikularinteressen alles dominieren und die Gesellschaft sich dem wohl oder übel fügen muss. Private Interessen, die auch noch über privatisierte staatliche Gewalt verfügen, wären brandgefährlich, denn hier läge der Missbrauch förmlich in der Luft.

Wenn es den Privatisierungsfanatikern bloß ums Geld geht, könnte man überspitzt formuliert fragen: Warum keine chinesischen Polizisten? Die sind erstens preiswert und haben zweitens in der Unterdrückung aufmüpfiger Subjekte jede Menge Erfahrung. Wie die mit den Demonstranten bei den Montags-Demos gegen "Stuttgart 21" umgesprungen wären, kann man sich denken. Wutbürger? Denen hätten die Chinesen eins übergebraten, dagegen wäre der sogenannte "Schwarze Donnerstag" (30. September 2010) geradezu ein Kaffeekränzchen gewesen. Was die Informationsgewinnung angeht, wäre auch die Anwerbung von syrischen Geheimdienstlern zu überlegen. Garantiert frei von allen Skrupeln, aber eben konkurrenzlos billig.

Übertrieben? Vielleicht. Doch die aus ideologischen Gründen forcierte Privatisierung breitet sich aus wie ein Krebsgeschwür: Post, Bahn, Energieversorger, Wasserversorgung, Krankenhäuser, Airlines, Flugsicherung, Flug- und Seehäfen - alles längst vollzogen. Selbst privat betriebene psychiatrische Kliniken, in denen psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht sind, Stichwort "Maßregelvollzug", sind inzwischen Realität. Da ist der Schritt zu komplett privatisierten Gefängnissen und zu privaten Polizisten nicht mehr allzu weit. Das träfe freilich die Demokratie bis ins Mark und würde sie radikal infrage stellen. Womöglich mehr, als durch ein paar Terroristen. Der Staat ist kein Unternehmen, folglich kann man ihn auch nicht wie ein solches führen. Sich dem "Terror der Ökonomie" (Viviane Forrester) zu beugen, ist deshalb die eigentliche Gefahr.

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[1] Guardian vom 02.03.2012, Revealed: government plans for police privatisation
[2] Telepolis vom 03.03.2012