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| Impressum 06. März 2012, von Michael Schöfer Selten dämlich ist stark untertrieben Wenn ich ausnahmsweise mal lobend unsere Bundeskanzlerin zitieren darf: "Wir verdrängen, was mitten unter uns geschieht; vielleicht, weil wir zu beschäftigt sind mit anderem; vielleicht auch, weil wir uns ohnmächtig fühlen gegenüber dem, was um uns geschieht. (...) Oder auch aus Gleichgültigkeit? Gleichgültigkeit - sie hat eine schleichende, aber verheerende Wirkung. Sie treibt Risse mitten durch unsere Gesellschaft. (...) Der Kampf gegen Vorurteile, Verachtung und Ausgrenzung muss täglich geführt werden - in Elternhäusern, in der Nachbarschaft, in Schulen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, in religiösen Gemeinden, in Betrieben. Überall sollten wir ein feines Gehör und Gespür für die kleinen Bemerkungen, die hingeworfenen Sätze entwickeln. So manche Bemerkung nimmt man schnell mal auf die leichte Schulter - nach dem Motto: Der oder die meint das doch nicht so ernst. Doch Intoleranz und Rassismus äußern sich keineswegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen. Wie wichtig sind daher Sensibilität und ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung, wann Abwertung beginnt. Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit stehen oft am Anfang eines Prozesses der schleichenden Verrohung des Geistes. Aus Worten können Taten werden." [1] In der Aufzählung Angela Merkels, wo "der Kampf gegen Vorurteile, Verachtung und Ausgrenzung täglich geführt werden" muss, fehlt allerdings: "in den Behörden". Dort gäbe es durchaus Anlass, genauer hinzuschauen, denn in den Amtsstuben sind Intoleranz und Rassismus keineswegs unbekannt. Jüngst stachen zwei Beispiele aus den Reihen der bayerischen Polizei unrühmlich hervor. So veröffentlichte der Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) einen Kalender, der in meinen Augen höchst fragwürdige Karikaturen enthält. "Konkret geht es zum Beispiel um eine Karikatur mit einem festgenommenen Farbigen mit überzeichneten dicken roten Lippen, der sich gegen den Griff eines Polizeibeamten wehrt und in gebrochenem Deutsch schreit: 'Was heiß' hie' Ve'dunklungsgefah'....?!'" Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft, Hermann Benker, verharmlost: Es handle sich bloß um "Polizistenjargon", behauptet er. [2] Aha, na dann... Benkers Reaktion belegt, wie wenig er von alldem begriffen hat. Bedauerlicherweise. Es kommt aber noch schlimmer: Die umstrittene Karikatur wurde keineswegs aus dem Netz entfernt, jetzt trägt sie lediglich den Zusatz: "Nur wer Schlechtes denkt, glaubt etwas Böses zu sehen." Mit anderen Worten: Schuld ist der missgünstige Betrachter, die eigentlichen Verursacher waschen - wie so oft - ihre Hände in Unschuld. Immer noch keine Einsicht also. Wenigstens wird jetzt der Kalender aus den Diensträumen der Polizei entfernt: "Bayerische Polizeipräsidien distanzieren sich von dem in die Kritik geratenen Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Nach München gibt es auch in den meisten anderen Präsidien die Anordnung, den umstrittenen Karikaturen-Kalender nicht mehr aufzuhängen." [3] Zweites Beispiel: Wes Geistes Kind der Kriminalhauptkommissar Alfred Berger ist, lassen diese Karikaturen zumindest ahnen. Sie sind primitiv, widerlich und rassistisch. Die Website des "Künstlers" ist übrigens seit kurzem offline. Nicht ohne Grund. Beschreibung der Karikaturen:
Alfred Bergers Lebenslauf ist noch im Google-Cache verfügbar, dort kann sich jeder anhand der Beschreibung selbst ein Bild von ihm machen. Das Schlimme ist freilich, dass diese Karikaturen offenbar monate-, wenn nicht sogar jahrelang vollkommen unbeanstandet blieben. Erst jetzt, nachdem die Presse darüber berichtet, zeigt man sich bei der Polizei erschrocken. Glaubwürdigkeit klingt anders. Es ist genau dieser Alltagsrassismus, den Angela Merkel bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer der Zwickauer Terrorzelle angeprangert hat: "Gefährlich sind nicht nur Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung erzeugen." Und die Polizei, die ja die Einhaltung der Gesetze zu überwachen hat, sollte diesbezüglich mit gutem Beispiel vorangehen. Das gelingt, wie wir leider feststellen müssen, nicht immer. Aber hoffentlich in Zukunft immer öfter. ---------- [1] Berliner Morgenpost vom 23.02.2012, Merkels Rede zur Gedenkveranstaltung im Wortlaut [2] Die Welt-Online vom 29.02.2012 [3] Die Welt-Online vom 29.02.2012 |