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06. Mai 2012, von Michael Schöfer
Die falsche Konsequenz


Ich möchte eingangs gleich betonen, dass ich für fremdenfeindliche Gruppierungen wie Pro-NRW keinerlei Sympathie hege. Aber ich bin für die vom Grundgesetz garantierte Freiheit, Karikaturen über Jesus, Buddha oder wen auch immer zeigen zu dürfen. Ja, sogar Karikaturen über Mohammed. Das nennt man Meinungsfreiheit. Und diesbezüglich bin ich aus gutem Grund rigoros: Keine Religion steht über dem Gesetz. Es ist vielmehr umgekehrt, Religionen haben sich dem weltanschaulich neutralen Grundgesetz zu unterwerfen. Wer daran rüttelt, rüttelt letztlich an der Verfassung selbst. Die Meinungsfreiheit, das sagt auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, ist die "Grundlage jeder Freiheit überhaupt" und hat für den demokratischen Prozesses eine konstitutive Bedeutung. "Auch scharfe und überzogene Kritik entzieht eine Äußerung nicht dem Schutz des Grundrechts." [1]

Pro-NRW hat in Bonn vor der König-Fahd-Akademie demonstriert und dabei eine Mohammed-Karikatur des dänischen Zeichners Kurt Westergaard gezeigt. Salafisten haben gegen diese Demonstration mobilisiert, und es kam zu Ausschreitungen, bei denen 29 Polizeibeamte verletzt wurden. Zwei Polizisten wurden durch Messerstiche schwer verletzt. So weit, so schlimm. Doch jetzt kommt's: "Als Konsequenz aus den Angriffen will [NRW-Innenminister] Jäger erneut versuchen, Pro NRW die Provokation mit Mohammed-Karikaturen zu verbieten. Man müsse die Beamten vor den gewalttätigen Angriffen der radikalislamischen Salafisten schützen." [2]

Lebe ich in einer verkehrten Welt? Polizisten schützt man doch nicht, indem man auf ein Grundrecht, das Zeigen von Karikaturen, verzichtet. Das Verbot der Karikaturen wäre daher die völlig falsche Konsequenz. Im Grunde signalisiert man dadurch den Salafisten doch nur: Seid gewalttätig, dann könnt ihr der Gesellschaft euren Willen aufzwingen. Wohin soll das führen? Auch Christen fühlen sich schnell beleidigt, wenn man in ihren Augen Jesus beleidigt. [3] Religiöse auf der ganzen Welt sind generell ziemlich schnell beleidigt, wenn man sich kritisch mit ihrem Glauben beschäftigt oder gegen die "Gebote Gottes" handelt. Würden wir deshalb Kritik, auch wenn sie überspitzt daherkommt, verbieten? Nein, diese Zeiten haben wir ein für allemal überwunden. Wenn es um den Islam geht, dürfen wir nicht anders reagieren. Zurückweichen vor der Gewalt, in vorauseilendem Gehorsam jede auch nur denkbare Provokation vermeiden, wäre der Anfang vom Ende der Meinungsfreiheit. Das Ansinnen Jägers ist daher brandgefährlich. Nicht für Pro-NRW, sondern für uns alle.

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[1] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom vom 25. August 1994, Az: 1 BvR 1423/92
[2] WDR vom 06.05.2012
[3] siehe Unterschiedliche Reaktionen sind entlarvend vom 11.10.2010