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14. Mai 2012, von Michael Schöfer
Immer auf dem Teppich bleiben


Mutti, offiziell hört sie auf den Namen Hannelore Kraft, hat ihre Landtagswahl mit Bravour gewonnen. 39,1 Prozent für die SPD ist, nachdem die Partei 2010 bei 34,5 Prozent hängenblieb, in der Tat beeindruckend. Zumindest wenn man bedenkt, wo diese einst stolze Partei neuerdings für gewöhnlich herumdümpelt. Schon wird spekuliert, ob Hannelore Kraft nicht die bessere Kanzlerkandidatin wäre, als jemand aus der Troika Gabriel-Steinmeier-Steinbrück. Zweifellos wird Politik auch über Personen verkauft. Aber eben nur "auch". Und eine gewonnene Landtagswahl allein macht noch keinen guten Kanzlerkandidaten oder Parteivorsitzenden. Ebenso wenig wie eine Schwalbe einen Sommer macht. Gerade die SPD sollte das wissen.

Zur Erinnerung: Am 25. Juni 1993 wurde ein gewisser Rudolf Scharping SPD-Vorsitzender, nachdem er 1991 in Rheinland-Pfalz, einem ehemaligen Stammland der CDU, die SPD erstmals an die Macht brachte. Im November 1995 hat ihn Oskar Lafontaine auf dem historisch zu nennenden Parteitag in Mannheim wieder aus dem Amt geworfen. Zuvor verlor der einstige Hoffnungsträger die Bundestagswahl deutlich gegen Helmut Kohl. Der Mann aus dem Westerwald entwickelte sich für die SPD peu à peu zur Belastung, das spätere Geplansche mit seiner Lebensgefährtin im Swimming-Pool war lediglich der peinliche Tiefpunkt einer steil abstürzenden Karriere. Scharping verkörperte seinerzeit für die SPD ungefähr das, was heute Philipp Rösler für die FDP ist. Jetzt wissen auch Jüngere Bescheid.

Kurt Beck, ebenfalls aus Rheinland-Pfalz, wurde am 10. April 2006 zum Parteivorsitzenden gewählt, nachdem er im März des gleichen Jahres bei der dortigen Landtagswahl das beste SPD-Ergebnis aller Zeiten herausholte (45,6 Prozent). "Nah bei de Leut", war Kurt Becks Motto. Will heißen: Ich bin bodenständig. Doch mit Bodenständigkeit war auf Bundesebene kein Blumentopf zu gewinnen, der neue Parteivorsitzende wirkte in den Medien eher dröge. Begnadete Redner hören sich anders an, vielleicht war er auch dem Berliner Intrigenstadl nicht gewachsen. Die Pfalz ist eben ein bisschen anders. Ende 2008 ist er dann gegangen bzw. gegangen worden (um die genauen Umstände ranken sich noch die Legenden).

Was lernen wir daraus? Nicht immer sind strahlende Sieger auf Landesebene später auch gute Vorsitzende bzw. Kanzlerkandidaten. Man neigt ja generell dazu, Augenblickserfolge überzubewerten und dabei die Schwächen der Gewinner geflissentlich zu übersehen. Ich fürchte, bei Hannelore Kraft ist es ähnlich. Schließlich sagt man ihr genauso nach, sie sei "nah bei de Leut". Nüchterner betrachtet: Das Ergebnis vom 13. Mai 2012 ist zwar respektabel, allerdings hat die SPD in diesem Bundesland über Jahrzehnte hinweg mehr als 40 Prozent eingefahren (und zwar von 1962 bis 2000). Zugegeben, da gab es kein 5-Parteien-Parlament, dennoch könnte man angesichts der aktuellen Euphorie glauben, Kraft habe für die SPD die absolute Mehrheit geholt. Insofern heißt die Empfehlung: Immer auf dem Teppich bleiben, nicht gleich abheben.

Es ist wohl der Kontrast zu den miesen Umfragewerten auf Bundesebene (zwischen 26 und 28 Prozent), der Hannelore Kraft momentan für die SPD wie eine Lichtgestalt erscheinen lässt. Doch wenn sie klug ist, überträgt sie ihren Erfolg nicht automatisch auf die Bundesebene. In den nächsten fünf Jahren muss Kraft zunächst zeigen, ob sie im bevölkerungsreichsten Bundesland mit seiner schwierigen Wirtschaftsstruktur erfolgreich Politik machen kann. Ausreden (Minderheitskabinett) hat sie künftig jedenfalls keine mehr. Aber sie hat ja bereits klar gemacht, vorerst in NRW bleiben zu wollen. Sollte die SPD sie jetzt überstürzt gegen Angela Merkel ins Rennen schicken, könnte Kraft verheizt werden. Die SPD täte sich damit - siehe oben - keinen Gefallen. Krafts Zeit auf Bundesebene ist noch nicht gekommen. Das kann anders werden, aber gewiss nicht 2013. Jetzt warten auf sie erst einmal die Mühen der Ebene.