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27. Mai 2012, von Michael Schöfer
Berufsverbot für Steffen Seibert?


Steffen Seibert, das ist der Regierungssprecher von Angela Merkel, war früher beim ZDF, wo er zuletzt den Zuschauern das heute-journal präsentierte. Im August 2010 wurde er Chef des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung und damit Regierungssprecher. Selbstverständlich wird von einem Regierungssprecher erwartet, dass er die Politik der Regierung möglichst gut verkauft. Das ist sein Job. Eine eigene Meinung einzubringen ist für den Regierungssprecher wohl nur in den seltensten Fällen - und wenn, dann allenfalls in Nuancen - möglich. Schon allein deshalb, weil er gar nicht vom Volk gewählt wurde. Der Chef des Presse- und Informationsamts ist Beamter. Und ein Beamter hat - im Rahmen der Gesetze, versteht sich - das zu tun, was sein Dienstherr will. Von allen bisherigen Regierungssprechern war diesbezüglich Klaus Bölling, zwischen 1974 und 1982 Regierungssprecher unter Helmut Schmidt, vielleicht die rühmliche Ausnahme. Bölling kultivierte das Image eines ebenso klugen wie eigenständigen Ratgebers, an Loyalität gegenüber seiner Regierung hat es ihm dennoch nie gemangelt. Seibert mit Bölling zu vergleichen wäre vermessen und ist daher vollkommen unangebracht. Bei allem Wohlwollen: Bölling spielte in einer anderen Liga.

Roberto J. De Lapuente, der das Weblog "Ad Sinistram" betreibt, ist auf Steffen Seibert nicht allzu gut zu sprechen. Lapuente plädiert dafür, "Steffen Seibert kein öffentlich-rechtliches Engagement mehr zu gewähren". Er habe sich bereits mit seiner Entscheidung, Regierungssprecher zu werden, diskreditiert. Seibert habe "allerlei Regierungsabsichten, -vorhaben, -schweinereien und -halbheiten (...) verteidigt", sei "willfährig" und "gefügig gegenüber seinem Brotgeber" gewesen. Und obendrein noch "unkritisch". Immerhin gesteht ihm Lapuente zu, dass dies "dem Aufgabenfeld eines Regierungssprechers" entspricht. "Wer für eine Regierung oder ein Unternehmen vor die Presse tritt, der glänzt nicht mit journalistischen [sic!] oder kritischen [sic!] (Sach-)Verstand - dessen Rolle ist es, mancher Hässlichkeit ein schönes Gesicht und wohlklingende Worte zu verleihen." [1]

Lapuentes Konsequenz: Er will Seiberts Rückkehr zum ZDF verhindern. "Man kann nicht 'verbieten', dass er bei privaten Fernsehsendern anheuert nach seiner Zeit als Regierungssprecher - aber bei dem öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ist es eine Angelegenheit des res publica [lat. öffentliche Sache, Anm. d. Verf.], da geht es uns alle etwas an! Seibert hat dort nichts mehr verloren!" Seibert sei künftig als Journalist durch seine Arbeit als Regierungssprecher unglaubwürdig.

Erinnern wir uns noch an das hässliche Wort "Berufsverbote"? Es gab nämlich in der Bundesrepublik einmal eine Zeit, in der tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Kommunisten die Arbeit im Staatsdienst untersagt war. Besser bekannt unter dem Terminus "Radikalenerlass", der 1972 in der Regierungszeit von Willy Brandt beschlossen wurde. "In ihm wurde auf das geltende Recht hingewiesen, dass die aktive Verfassungstreue Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst sei, und erstmals ergänzt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation in der Regel Zweifel an der Verfassungstreue begründe und mithin eine Ablehnung rechtfertige." [2] Darunter fielen dann etwa so entscheidende Schlüsselpositionen wie Briefträger oder Lokführer. Ja, ja, die gute alte Post und die Bahn waren schließlich Behörden, sprich öffentlicher Dienst. Briefträger und Lokführer waren damals Beamte, also unverzichtbare Stützen der "Freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Und die durften halt nicht gleichzeitig der DKP angehören. Brandt soll übrigens den Radikalenerlass später als Fehler bezeichnet haben.

Dass Berufsverbote den Menschenrechten widersprechen, ist mittlerweile Konsens. Welche Gesinnung Postzusteller oder Lokführer haben, ist heutzutage völlig irrelevant. Berufsverbote sind undemokratisch, weil sie faktisch die Meinungsfreiheit einschränken und die Pluralität, ein untrennbarer Bestandteil jeder Demokratie, konterkarieren. "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte am 26. September 1995 im Fall der aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der DKP aus dem Staatsdienst entlassenen und später wieder eingestellten Lehrerin Dorothea Vogt einen Verstoß gegen die Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit) fest und verurteilte die Bundesrepublik zur Zahlung von Schadensersatz." [3] Selbstverständlich sollten Bewerber in Sicherheitsbereichen (Polizei, Militär, Justiz) verfassungstreu sein. Das heißt, zu den Grundsätzen der Demokratie stehen. Davon abgesehen kann man als Staatsdiener sein, wofür man will. Auch gilt es Missverständnisse auszuräumen. Beispielsweise hat der Kapitalismus, unser Wirtschaftssystem, keinen Verfassungsrang. Man kann folglich gleichzeitig für die Demokratie und gegen den Kapitalismus sein. Kapitalismusgegner sind keine Verfassungsfeinde - selbst wenn es häufig so dargestellt wird.

Die Berufsverbote würden jedoch, jedenfalls wenn man Lapuentes Anliegen folgte, fröhliche Urständ feiern. Und das sogar in einer verschärften Form: Nicht weil Seibert Verfassungsfeind wäre, sondern lediglich weil er seinen Job getan hat und die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung so gut es eben ging verkaufte. Er könne, nachdem er Verkäufer Angela Merkels gewesen sei, nicht mehr den Erklärer (Journalist) spielen. Wenigstens nicht in öffentlich-rechtlichen Anstalten (woanders könne man ihm das ja - zu Lapuentes Leidwesen? - kaum verbieten). Ungeheuerlich, das ist in meinen Augen ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Zeiten. Wenn da einer etwas nicht trennen kann, dann ist es Lapuente selbst. Er vermag offensichtlich nicht zwischen Botschaft und Botschafter zu unterscheiden, mithin eine sehr unprofessionelle Sicht des journalistischen Gewerbes. Hinter Lapuentes Ansinnen lugt eine intolerante und autoritäre Gesinnung hervor. Nicht, dass mir Angela Merkel im Allgemeinen und Steffen Seibert im Besonderen am Herzen liegen würden, aber es geht hier schließlich um ein äußerst wichtiges demokratisches Prinzip.

Nebenbei bemerkt: Unverständlicherweise stimmen die NachDenkSeiten, die sich sonst gerne gegen jegliches autoritäre Gehabe wenden, zumindest solange es vom Establishment auszugehen scheint, einem Berufsverbot für Steffen Seibert zu. In den "Hinweisen des Tages" vom 25. Mai 2012 merkt dazu ein gewisser "MB" an: "Diese Einschätzung über den Regierungssprecher und die daraus geforderten Konsequenzen sind sicher absolut richtig." [4] Absolut richtig? Ein Berufsverbot? Sollte man das nicht noch einmal genau überdenken? Oder spiegelt diese Anmerkung tatsächlich die Haltung der NachDenkSeiten wider? Anders gefragt: Ist Albrecht Müller, einer der Herausgeber der NachDenkSeiten, als Journalist diskreditiert, bloß weil er früher Redenschreiber des Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller, Wahlkampfmanager von Willy Brandt sowie Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt gewesen ist? Zu allem Überfluss hat Müller 1985/1986 auch noch Gerhard Schröder als Wahlkampfberater gedient. [5] Richtig: Genau dem Gerhard Schröder, der uns später als Bundeskanzler mit "Hartz IV" beglückte. Und ohne "Hartz IV" gäbe es vermutlich keine NachDenkSeiten. Stimmt man der Argumentation Lapuentes zu, ist Albrecht Müller dadurch als Journalist unglaubwürdig geworden. Oder gilt die nur bei schwarz-gelben Regierungen respektive speziell in Bezug auf Steffen Seibert?

Fazit: Sie merken wohl, liebe Leserinnen und Leser, Roberto J. De Lapuente hat das Ganze wahrscheinlich nicht richtig durchdacht. Falls doch, umso schlimmer. Berufsverbote waren und bleiben undemokratisch, sie sind in meinen Augen eine Missachtung der Menschenrechte und haben demzufolge in einer Demokratie nichts zu suchen. Steffen Seibert mit einem solchen belegen zu wollen, ist billiger Populismus. Und zum Glück kommt der nicht überall gut an.

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[1] Ad Sinistram vom 24.05.2012, Kein Verklärer als Erklärer!
[2] Wikipedia, Radikalenerlass
[3] Wikipedia, a.a.O.
[4] NachDenkSeiten vom 25.05.2012, #17
[5] Wikipedia, Albrecht Müller, Leben