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05. Juni 2012, von Michael Schöfer
Verschleierungstaktik


Im Grunde hat der Spiegel mit seiner aktuellen Titelgeschichte "Geheim-Operation Samson - Wie Deutschland die Atommacht Israel aufrüstet" lediglich eine alte Geschichte aus dem Jahr 2003 aufgewärmt, denn schon damals titelte das Magazin: "Deutsche U-Boote zu Atomwaffenträgern umgebaut." [1] Bereits Jahre vorher gab der "Einbau übergroßer 650-Millimeter-Torpedorohre statt der üblichen 533 Millimeter" Anlass zu der Vermutung, Israel habe die aus Deutschland gelieferten U-Boote mit Atomwaffen ausgerüstet. "Die Bundesregierung kann letztlich keine Bestückung ausschließen", antwortete 1999 das Verteidigungsministerium lapidar auf eine parlamentarische Anfrage der grünen Abgeordneten Angelika Beer. [2] Zu dieser Zeit war übrigens ein gewisser Rudolf Scharping Bundesverteidigungsminister.

Die Entrüstung von Rolf Mützenich, des außenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, ist daher entweder arg gekünstelt oder von erschreckender Unkenntnis geprägt: "Die Bundesregierung muss jetzt endlich darüber Auskunft geben, ob Informationen zutreffen, wonach die von Deutschland gelieferten U-Boote auch mit Trägersystemen ausgerüstet werden können, die atomare Sprengköpfe tragen", schießt er gezielt in Richtung Schwarz-Gelb. [3] Das hätte er aber schon 2003 Rot-Grün fragen können, mithin seine eigene Regierung. Wahrscheinlich steht hier eher die schauspielerische Leistung des SPD-Politikers im Vordergrund, denn Mützenich ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter und war sogar "von Januar bis November 2005 Sprecher der Arbeitsgruppe 'Abrüstung und Rüstungskontrolle' der SPD-Bundestagsfraktion". [4] Da er überdies 1991 mit der Arbeit "Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik – historische Erfahrungen, Rahmenbedingungen, Perspektiven" promovierte, dürfte er vom Thema durchaus Ahnung haben.

Folglich sind - mit Ausnahme der Linken - sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien gleichermaßen in die U-Boot-Lieferungen an Israel verstrickt. Alles andere ist Verschleierungstaktik. Da ist es nur konsequent, wenn sich Steffen Seibert, der Regierungssprecher Angela Merkels, ähnlich ahnungslos gibt wie einst das Verteidigungsministerium unter Scharping: "An Spekulationen über eine mögliche spätere Bewaffnung beteiligt sich die Bundesregierung nicht." Er wisse nichts über die Bewaffnung der U-Boote, sie würden ohne Waffen geliefert, versicherte Seibert treuherzig. [5] So viel Naivität wäre bei einer Regierung beängstigend, daher wissen die Verantwortlichen bestimmt über den wahren Charakter der U-Boote Bescheid. Deren Sinn ist es, Israel im Rahmen der atomaren Abschreckung die gesicherte Zweitschlagsfähigkeit zu sichern. Sofern man sich dem diabolischen Zweck der Abschreckung unterwirft, zweifellos ein Ritt auf des Messers Schneide [6], ist darin die gesicherte Zweitschlagsfähigkeit sogar als stabilisierendes Element zu werten, weil sie den Druck, als erster zu schießen, verringert.

"Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar", bekundete Angela Merkel 2008 vor der Knesset. Insgeheim ist das seit langem Richtschnur der Politik gegenüber Israel. Die Bundeskanzlerin hat es nur öffentlich wahrnehmbar gesagt. Der Satz Gaucks, die Sicherheit und das Existenzrecht Israels sei bloß "bestimmend" für die deutsche Politik, wurde allgemein als Distanzierung empfunden. Zu Recht, denn der Bundespräsident fügte hinzu, "das 'Staatsräson'-Wort könne die Bundeskanzlerin noch in 'enorme Schwierigkeiten' bringen." [7] In der Tat, doch nicht nur Angela Merkel.

Zur Erinnerung: 2008 regierten Union und SPD gemeinsam in der Großen Koalition. Protest vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier? Fehlanzeige. Im Gegenteil: Zwei Jahre zuvor sagte Steinmeier beim Festakt anlässlich des 40-jährigen Bestehens der "Deutsch-Israelische Gesellschaft" das Gleiche: Es gehöre zur "deutschen Staatsräson, an der Seite Israels zu stehen". [8] Allerdings heißt das keineswegs, dass Deutschland damit automatisch Kriegspartei an der Seite Israels wäre, falls etwa der Iran Israel angreift. Die Verschleierung dessen, was "Staatsräson" konkret bedeutet, war bislang ebenfalls kennzeichnend für die deutsche Außenpolitik. Unter dem Terminus "Staatsräson" kann man nämlich die unterschiedlichsten Dinge verstehen. Und wie man das dann einlöst, wird politisch in jedem Einzelfall entschieden. Peinlich wird es nur, wenn Israel die Zusicherung im Ernstfall als militärische Beistandsverpflichtung auslegen sollte. Doch das ist eher unwahrscheinlich, denn die israelischen Streitkräfte dürften wohl kaum auf die Bundeswehr angewiesen sein. Falls es tatsächlich zu einem Krieg kommt, wird Israel aber zweifellos politische Rückendeckung, Hilfslieferungen und finanzielle Unterstützung erwarten.

Die Frage, ob man sich mit alldem nicht zu stark an die Politik Israels kettet und den Protest gegen die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik zu leise äußert, ist gewiss berechtigt. Und die Nagelprobe, ein Krieg zwischen Israel und dem Iran, ist vielleicht näher als sich mancher wünschen mag. Es kann durchaus der Zeitpunkt kommen, an dem die übliche Verschleierungstaktik nichts mehr bringt. Dann heißt es: Hosen herunterlassen! Es wäre demzufolge ratsam, sich ähnlich vorsichtig zu äußern, wie es Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch in Israel getan hat.

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[1] Spiegel vom 11.10.2003
[2] Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/1777, PDF-Datei mit 203 kb
[3] Reuters vom 04.06.2012
[4] Wikipedia, Rolf Mützenich
[5] Frankfurter Rundschau vom 05.06.2012
[6] siehe Abschreckung vom 22.06.1983
[7] Die Welt-Online vom 29.05.2012
[8] Deutsch-Israelische Gesellschaft, Festakt anläßlich "40 Jahre Deutsch-Israelische Gesellschaft" am 21. März 2006 im Auswärtigen Amt