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24. Juni 2012, von Michael Schöfer
Zahlungswilliger Leser sucht Online-Abo


Die Bundesregierung will auf Druck der Zeitungsverleger ein Leistungsschutzrecht einführen, das Bundesjustizministerium hat jetzt zu diesem Zweck den Referentenentwurf vorgelegt. Darin wird "den Presseverlagen das ausschließliche Recht eingeräumt, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Presseverlage können somit auch die Unterlassung unerlaubter Nutzungen verlangen und gewerbliche Nutzer müssen für die Nutzung Lizenzen erwerben." Das bedeutet schlicht nichts anderes als ein staatlich garantiertes Monopol auf Nachrichten. Unerhört!

Das Leistungsschutzrecht ist eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit, weil jede mittelbare oder unmittelbare gewerbliche Nutzung von Nachrichten entweder gebührenpflichtig wird oder von den Presseverlagen untersagt werden kann. Als gewerblich definiert der Referentenentwurf wiederum "jede Nutzung, die mittelbar oder unmittelbar der Erzielung von Einnahmen dient". Angeblich soll die private Nutzung von Presseerzeugnissen nicht beeinträchtigt werden, aber durch die unpräzisen Formulierungen des Gesetzes könnten auch private Blogger vom Leistungsschutzrecht betroffen sein, etwa wenn sie selbst oder ihr Provider ein Werbebanner einblenden. Unmittelbare oder mittelbare Erzielung von Einnahmen! Rechtliche Unsicherheit ist jedenfalls Trumpf. Es ist folglich mit einer Abmahnwelle zu rechnen, die viele Blogger zum Aufgeben zwingen wird, denn wer kann sich horrende Anwalts- und Gerichtskosten leisten. Kaum jemand. Der "fliegende Gerichtsstand" (Stichwort: bekannt klägerfreundliche Gerichte, wie z.B. das Hamburger Landgericht) tut hier sein Übriges. Den Abmahnwahn kennen wir ja bereits, wenn es ums Filesharing geht, mittlerweile spricht man sogar von einer regelrechten Abmahnindustrie. Doch jetzt sind nicht nur Eigentumsinteressen tangiert, sondern vielmehr der Kern unserer Demokratie: die Meinungsfreiheit.

Welch groteske Blüten das Ganze treibt, zeigt folgendes Beispiel: "Ist z.B. ein Blogger hauptberuflich als freiberuflicher Journalist tätig und setzt er sich auf seinem Blog mit seinem Schwerpunktthema auseinander, dann handelt er, wenn er hierbei Presseerzeugnisse von Dritten nutzt, zu gewerblichen Zwecken." Journalisten sind also demnächst als Privatpersonen in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt, weil bei ihnen juristisch der Privatbereich mit dem Beruf verschmolzen wird. Über das, was als Schwerpunktthema anzusehen ist, befinden die Gerichte in Einzelfallentscheidungen. Privat bloggende Journalisten gehen deshalb ein hohes Risiko ein, abgemahnt zu werden. Das ist kompletter Nonsens und vermutlich verfassungswidrig. Da bereits kleine Teile des Presseerzeugnisses unter das Leistungsschutzrecht fallen, wird nahezu alles von ihm erfasst. Selbst Überschriften sind dann geschützt, von kurzen, einleitenden Textpassagen ganz zu schweigen. Man muss schon fast dankbar dafür sein, künftig wenigstens noch zitieren zu dürfen (§ 51 UrhG).

Ich habe hier nur die wichtigsten Punkte angerissen, eine viel detailliertere und sachkundigere Analyse finden Sie zum Beispiel bei Till Kreutzer. [1] Der Gesetzentwurf hat aber nicht nur in der "Netzgemeinde" harsche Kritik geerntet, sondern ebenso beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). "Der Wirtschaftsverband BDI lehnt den Gesetzentwurf des Justizministeriums ab, die Regelungen seien 'unscharf', Firmen drohe eine 'unkalkulierbare Lizenzierungspflicht', selbst für kleinste Zitate aus Medien." [2] Aus den Reihen der Union gibt es ebenfalls Widerstand: "'Das Leistungsschutzrecht hemmt Innovation. Es fördert sie nicht', betitelte der CDU-nahe Verein cnetz einen Beitrag, in dem die Initiative der schwarz-gelben Regierungskoalition scharf kritisiert wird. Ein Leistungsschutzrecht dürfe nicht das Grundrecht auf Informationsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung tangieren, fordert der im April gegründete Verein für Netzpolitik." [3]

Ursprünglich sollten nur Anbieter wie Google vom Leistungsschutzrecht erfasst werden. Mario Sixtus hat diesen Unsinn bereits Ende 2010 vortrefflich auf den Punkt gebracht und die Verlage mit der Absurdität ihres Anliegens konfrontiert: "News-Aggregatoren sollen zahlen. Also Angebote wie Google News. Dafür, dass sie diese Textschnipselchen anzeigen, die als Hyperlinks dienen, die zu euren Verlagsangeboten führen. Google spült euch die Hälfte eurer Besucher auf die Seiten und jetzt sollen sie dafür bezahlen? Das ist in etwa so, als würde ein Restaurantbesitzer Geld von den Taxifahrern verlangen, die ihnen Gäste bringen." [4] Aber wie man sieht, sind jetzt unter Umständen auch Privatpersonen betroffen. Sixtus hat sich damals getäuscht, es kommt noch viel schlimmer, als er vor eineinhalb Jahren glaubte. Unsinn hoch drei.

Wie immer stellt sich zwangsläufig die naheliegende Frage: Was tun? Manche Blogger empfehlen, Zeitungsverlage einfach nicht mehr zu verlinken. Weniger Klicks bedeuten bei den Verlegern weniger Einnahmen aus ihrer Online-Präsenz. [5] Immerhin ein charmanter Vorschlag, den man in Erwägung ziehen sollte. Geld ist bekanntlich bei den meisten Menschen der wunde Punkt. Und Verlage sind auch bloß Menschen.

Meine Zeitung, die Frankfurter Rundschau, ist eindeutig pro Leistungsschutzrecht. Außerdem klagt sie gegen die Tagesschau-App der ARD. "Die Klage von acht Zeitungsverlagen – darunter auch der Verlag M. DuMont Schauberg, dem die Frankfurter Rundschau gehört – gegen ARD und NDR wurde im Juni 2011 bei der Wettbewerbskammer des Landgerichts Köln eingereicht. Die Verleger sehen in der kostenlosen App eine zu 'textlastige' Berichterstattung und beklagen durch die gebührenfinanzierten Angebote einen unfairen Wettbewerb." [6] Kuriosum am Rande: Die privaten Fernsehsender kritisieren die ARD von der anderen Seite aus, die "Tageswebschau" soll nach dem Willen des öffentlich-rechtlichen Senders junge Zuschauer ködern - genau die bevorzugte Zielgruppe der Privatsender. Die Tageswebschau ist letzteren aber nicht zu "textlastig", sondern es sind dort zu viele Filmchen zu sehen. Der Branchenverband VPRT (Verband Privater Rundfunk und Telemedien e.V.) will klären lassen, ob das neue Online-Angebot der ARD überhaupt mit dem Rundfunkstaatsvertrag zu vereinbaren ist. [7] Mit anderen Worten: Den Privaten (Zeitungsverlegern wie Sendern) wäre es offenbar am liebsten, wenn die ARD ihren Laden kurzerhand dichtmachen würde.

Ich habe ihr, weil die FR damit beharrlich gegen meine Interessen als Staatsbürger, Blogger und Nachrichten-Konsument verstößt, mit der Kündigung des Abos gedroht. In ihrer Antwort hat sie wie folgt reagiert: "Vielleicht aber kann ich Sie ja davon überzeugen, dass unsere Arbeit, die Arbeit die bei Ihrer Rundschau geleistet wird, ihren Preis hat. Denn darum allein geht es bei dem Versuch der Zeitungsverlage, die Leistungen der Redaktion und Journalisten zu schützen. Die Verlage wollen die wirtschaftliche Basis erhalten, die eine freie Presse erst ermöglicht. In diesem Anliegen stehen wir alle auf einer Seite, bei allen sonstigen Unterschieden zwischen Verlagen und Zeitungen in Weltanschauung, publizistischer Ausrichtung, Qualität der Zeitung oder auch der wirtschaftlichen Lage. Das Leistungsschutzrecht betrifft ausschließlich gewerbliche Anbieter, die mit den von anderen hergestellten Inhalten (Werbe-)Einnahmen erzielen. Privatleute, Blogger, kurz Jedermann kann auf seiner Homepage weiterhin verlinken oder verweisen, wo und wie er es möchte. Erst in dem Moment, wo daraus ein Gewerbe gemacht wird, mit den Verweisen auf die Arbeit anderer also gewerblich Geld verdient wird, erst dann soll er einen Teil der Einnahmen an die weitergeben, mit deren Produkten er Geld verdient. Und, so traurig es ist, Idealismus allein macht keine gute Zeitung. Dafür bedarf es Geld für Gehälter, Druckkosten, Lieferkosten. Die müssen verdient werden und deswegen möchten wir unseren Anteil daran, wenn jemand anders mit unserer Arbeit Geld verdient."

Argumente, die ich nachvollziehen kann, die aber meiner Meinung nach (siehe oben: unzureichende Abgrenzung von privat und gewerblich) nicht stichhaltig sind. Ich verstehe zwar, dass Journalismus seinen Preis hat, aber ich wies die FR in meiner Entgegnung darauf hin, dass es schließlich ganz einfach sei, sich bei Google-News austragen zu lassen. Die Verleger bräuchten lediglich bei ihrer Website eine klitzekleine Codeänderung vorzunehmen (noindex-Metatag) - schon werden sie von Google & Co. nicht mehr "ausgebeutet". Meine Abo-Kündigung bei der FR folgte auf dem Fuße, leider hat man ja als Konsument nur begrenzte Einflussmöglichkeiten.

Seit kurzem besitze ich ein iPad von Apple und kann daher ständig und von jedem Ort aus das Netz nach Nachrichten abgrasen. Ohnehin besteht der Großteil einer Zeitung aus der Wiedergabe von Agenturmeldungen, die im Netz überall nachzulesen sind. Ich könnte mich jetzt genau so verhalten, wie es die Zeitungsverleger lauthals beklagen: Ohne irgendeine Zahlung an sie zu entrichten deren Websites besuchen und nur noch online lesen. Doch ich will mich gar nicht "parasitär" verhalten, denn in einem haben die Zeitungsverlage vollkommen recht: Journalismus kostet Geld. Und wenn niemand zu zahlen bereit ist, wird der professionelle Journalismus womöglich irgendwann aussterben - mit den entsprechenden Folgen für die Pressefreiheit. Blogger können Zeitungen nie ersetzen, höchstens ergänzen. Insofern bin ich durchaus am Überleben möglichst vieler Presseverlage interessiert. Das Leistungsschutzrecht ist allerdings ein untaugliches Mittel, deren Überleben zu sichern. Hierzu sind rechtsstaatlich unbedenklichere Geschäftsmodelle notwendig. Ich werde deshalb, obgleich das von der Informationsbeschaffung her gar nicht erforderlich wäre, ein Online-Abo abschließen. Viele Zeitungen bieten ja inzwischen eine App fürs iPad oder zumindest ein ePaper an.

Doch bei welcher Zeitung soll ich zugreifen? Die FR schreibt wohl nicht zu Unrecht, dass in puncto Leistungsschutzrecht alle Verlage und Zeitungen ungeachtet ihrer publizistischen Ausrichtung einer Meinung wären. Ich suche demzufolge eine Zeitung, die gegen das vorgeschlagene Leistungsschutzrecht ist und darüber hinaus nicht gegen die Tagesschau-App klagt. Ein Monopol auf Nachrichten darf es nicht geben. "Zahlungswilliger Leser sucht Online-Abo", könnte mein Motto lauten. "Ernstgemeinte Bewerbungen bis 31.07. an..." Viele Verlage suchen ihrerseits händeringend nach Abonnenten, von daher ist der Abschluss eines Vertrages sicherlich kein Problem. Doch ich gebe mein Geld nur einer Zeitung, die wenigstens grob meine Interessen wahrt und habe deshalb per E-Mail bei zwei Blättern angefragt, wie sie es denn mit dem Leistungsschutzrecht halten. Selbstverständlich bei Zeitungen, die sich üblicherweise jenseits des publizistischen Mainstreams bewegen. Antworten bekam ich bedauerlicherweise noch keine. Mal abwarten.

Das könnte, neben dem "Nicht-mehr-verlinken" eine weitere Möglichkeit sein, auf die Haltung der Verlage Einfluss zu nehmen. Rennen ihnen nämlich die Abonnenten weg bzw. wechseln diese zu Konkurrenten, die in Bezug auf das Leistungsschutzrecht eine andere Auffassung vertreten (Achtung: attraktives Geschäftsmodell für darbende Blätter), würden sich Zeitungsverleger, die das Leistungsschutzrecht fordern, wirtschaftlich ins eigene Fleisch schneiden. Falls wider Erwarten keine Zeitung in dem von mir gewünschten Sinne antwortet - ich kann auch ohne Abo leben und grase dann eben im Internet die Websites diverser Zeitungen ab. Das ist zum Glück nicht verboten. Wie gesagt, ich will das gar nicht, aber wenn ich buchstäblich dazu gezwungen werde, sehen die Leistungsschutzrecht-Befürworter von mir keinen Cent mehr.

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[1] iRights.info vom 14.06.2012, Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht: Eine rechtspolitische Analyse
[2] Spiegel-Online vom 21.06.2012
[3] Die Welt vom 22.06.2012
[4] Carta vom 29.12.2010
[5] Indiskretion Ehrensache vom 19.06.2012, Thomas Knüwer, Der Wahnsinn Leistungsschutzrecht – und warum ich nicht mehr auf Verlage verlinke
[6] Frankfurter Rundschau vom 20.06.2012
[7] Handelsblatt vom 04.06.2012