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05. August 2012, von Michael Schöfer
Hysterischer oder sachgerechter Umgang?


Sportreporter haben offenbar außer dem Sportgeschehen nicht viel auf ihrem geistigen Radarschirm, so sprach etwa ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 davon, dass für Miroslav Klose sein Tor beim Auftaktsieg gegen Australien ein "innerer Reichsparteitag" gewesen sein muss. Das ist bestenfalls völlig unsensibler Sprachgebrauch. Der eigentliche Zündstoff liegt aber darin, dass Katrin Müller-Hohenstein die politische Brisanz ihrer Äußerung zunächst gar nicht auffiel. Es stellt sich daher die durchaus berechtigte Frage: Welche Qualifikationen müssen Sportreporter mitbringen? Gehört bei ihnen politisches Basiswissen zur notwendigen Grundausstattung? "Es gab ein verbales Eigentor im ZDF, doch beim Moderieren wird nun einmal viel Blödsinn erzählt. Da sollte man nicht alles auf die Goldwaage legen. Ein einfaches Sorry von Frau Müller-Hohenstein und ihres Sportchefs reicht. Damit sollte man es dann auch gut sein lassen. Und damit die Kirche im Dorf", kommentierte damals die Süddeutsche. [1] Jetzt titelt das Blatt: "Nazi-Verdacht erschüttert deutsches Olympia-Team." [2] Was ist passiert? Die deutsche Ruderin Nadja Drygalla ist angeblich mit einem Neonazi liiert, der der Kameradschaft "Nationale Sozialisten Rostock" und der NPD angehören soll. So weit, so schlimm.

Doch nun drohen sich die Sportreporter selbst im politischen Gestrüpp zu verheddern. Ob nämlich Drygalla die politischen Ansichten ihres Freundes teilt, ist überhaupt nicht bekannt. Michael Vesper zufolge, dem Missions-Chef des deutschen Olympia-Teams und Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat sich Drygalla "von der rechtsextremen Szene distanziert". Er habe mit ihr darüber ein 90-minütiges Gespräch geführt. Vesper "glaube nicht, dass ein rechtsextremer Hintergrund bei der Athletin vorliege, auch zweifle er nicht, dass sie 'auf dem Boden des Grundgesetzes und der olympischen Werte' stehe." [3] Was wirklich stimmt, lässt sich einstweilen schwer sagen. Umso heftiger wird darüber spekuliert. Der zum Axel-Springer-Konzern gehörenden Berliner Morgenpost liegen "Unterlagen vor, wonach die Ruderin durchaus Sympathien für die Gesinnung des Freundes" hege. "Auf einem Foto, das Mitglieder der 'Nationalen Sozialisten Rostock' bei einer Demonstration im August 2009 in Malchow zeigt, soll auch Drygalla abgebildet sein." Sie habe sich außerdem auf "umstrittenen Seiten getummelt" oder diese "zumindest gesichtet". [4]

Ohne den Vorfall verharmlosen zu wollen, muss man dennoch differenzieren: Nach wie vor sollte man Menschen allein danach beurteilen, wovon sie selbst überzeugt sind und wie sie selbst handeln. Für die politischen Ansichten von anderen ist man schließlich nicht verantwortlich - auch wenn man mit ihnen befreundet ist. Man muss die Ansichten des Lebenspartners ja nicht unbedingt teilen. Der bloße Besuch von Webseiten ist ebenfalls kein Hinweis auf die persönliche politische Überzeugung, denn wenn es danach ginge, müsste meine eigene Gesinnung eine ziemlich große Spannbreite haben - und zwar über das gesamte politische Spektrum hinweg. Genauso wenig wie jeder, der ein Buch von Karl Marx oder Henry Kissinger im Regal stehen hat, zugleich Marxist oder Republikaner ist, sagen Besuche auf Webseiten etwas über die Gesinnung des Betrachters aus. Um es mal in Frageform zu kleiden: Bin ich ein Konservativer, wenn ich im Netz die FAZ lese? Bin ich Sozialist, wenn ich dort das Neue Deutschland besuche? Und was bin ich, wenn ich beides gleichzeitig mache? Wie man unschwer erkennt, können voreilige Schlussfolgerungen falsch sein. Schwerer wiegt zweifellos der Verdacht, Drygalla habe sich 2009 an einer Demo der "Nationalen Sozialisten Rostock" in Malchow beteiligt. Auf dem Bild, das die Welt präsentiert, ist eine hellblonde Frau zu sehen. "Ist Nadja Drygalla die blonde Frau mit dem weißen Pullover rechts?", fragt das Blatt. [5] Doch das Bild ist zu unscharf, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen.

Es wäre gewiss hilfreich, wenn Nadja Drygalla zu den Vorwürfen öffentlich Stellung nehmen würde. Kann sie glaubhaft versichern, kein rassistisches Gedankengut zu vertreten und nicht an der Demo der Neonazis in Malchow beteiligt gewesen zu sein, darf man ihr m.E. aus ihrer persönlichen Beziehung mit einem Neonazi keinen Strick drehen. Treffen die Vorwürfe, sie teile die Ideologie ihres Freundes, allerdings zu, sollte sie künftig im deutschen Kader keine Berücksichtigung mehr finden. Kann man dem Sportbund deswegen Vorwürfe machen? Da sollte man, um mit der Süddeutschen zu sprechen, die "Kirche im Dorf" lassen. Es ist sicherlich nicht die Aufgabe von Sportverbänden, Gesinnungsschnüffelei zu betreiben. Und die Sportler sind ja keineswegs verpflichtet, über ihre politischen Auffassungen oder privaten Beziehungen Auskunft zu geben. Die Grundrechte gelten schließlich auch im Sport. Der Rubikon ist erst überschritten, wenn sich eine menschenverachtende Gesinnung in Wort oder Tat äußert.

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[1] Süddeutsche vom 14.06.2012
[2] Süddeutsche vom 03.08.2012
[3] Süddeutsche vom 03.08.2012
[4] Berliner Morgenpost vom 05.08.2012
[5] Die Welt-Online vom 05.08.2012