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17. August 2012, von Michael Schöfer
Diplomatische Sackgasse?

Julian Assange soll in Schweden wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung verhört werden, dafür bittet Schweden Großbritannien um dessen Auslieferung. Assange flüchtet nach langem Rechtsstreit in die Londoner Botschaft von Ecuador und bittet um politisches Asyl, das er gewährt bekommt. Nun sitzt er dort fest. Eine ausweglose diplomatische Sackgasse? Der Vorwurf der Vergewaltigung ist keinesfalls zu vernachlässigen, denn dieses Verbrechen gehört zu den schlimmsten überhaupt. Ob er wirklich zutrifft, steht auf einem anderen Blatt, aber schließlich ist Schweden kein Unrechtsstaat à la Putins Russland. Sind die Zweifel, Assange hätte in Schweden kein faires Verfahren zu erwarten, berechtigt? Wohl kaum. Dennoch wehrt sich der Australier heftig gegen die Auslieferung, weil er angeblich die Überstellung an die USA befürchtet. Und die, das dürfte inzwischen allgemein bekannt sein, hält rechtsstaatliche Grundsätze oft nicht ein. Das belegt schon allein die unmenschliche Behandlung von Bradley Manning, der WikiLeaks Informationen zugespielt haben soll. "Der Begriff Folter ist für die Gesamtheit der Maßnahmen (...) nicht übertrieben", urteilt Telepolis. [1] Was Assange in den USA zu erwarten hätte, liegt daher auf der Hand.

Gibt es wirklich keinen Ausweg? Vielleicht doch: Das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957, das alle Mitglieder des Europarats unterzeichnet haben (demzufolge auch Schweden), bestimmt in Artikel 15 (Weiterlieferung an einen dritten Staat): "Außer im Falle des Artikels 14 Abs. 1 b darf der ersuchende Staat den ihm Ausgelieferten, der von einer anderen Vertragspartei oder einem dritten Staat wegen vor der Übergabe begangener strafbarer Handlungen gesucht wird, nur mit Zustimmung des ersuchten Staates der anderen Vertragspartei oder dem dritten Staat ausliefern." Artikel 14 Abs. 1 b ist im vorliegenden Kontext irrelevant. Mit anderen Worten: Wäre es nicht möglich, Assange mit der Auflage an Schweden auszuliefern, ihn anschließend keinesfalls an die USA zu überstellen? Gesetze und Verträge sind, vor allem für Nichtjuristen, wahre Fallgruben. Dennoch: Sollte sich im Rechtsdschungel keine gegenteilige Bestimmung finden, könnte das durchaus ein gangbarer Ausweg sein. Assange stellt sich dem Vorwurf der Vergewaltigung, kann aber sicher sein, am Ende nicht unfreiwillig in den USA zu landen. Das wäre, ganz unabhängig von der juristischen Seite, auch eine denkbare politische Lösung: Schweden versichert hoch und heilig, Assange nicht an die USA zu überstellen, wenn dieser von Großbritannien ausgeliefert wird. Der politische Flurschaden, falls Schweden wortbrüchig würde, wäre so riesig, das können sich die Skandinavier eigentlich gar nicht erlauben. Auf diese Weise könnte man beiden Prinzipien gerecht werden: Erstens dem, dass niemand über dem Gesetz steht, selbst Julian Assange nicht. Zweitens dem, dass Auslieferungen nicht rechtsmissbräuchlich ausgenutzt werden dürfen. Ob der Vorwurf der Vergewaltigung tatsächlich stimmt, muss dann die schwedische Justiz klären.

Lehnt Assange seine Auslieferung unter den oben genannten Bedingungen ab, will er sich wahrscheinlich doch eher einer etwaigen Haftstrafe wegen Vergewaltigung entziehen. Die politischen Gründe sind dann anscheinend bloß vorgeschoben. Lehnt Schweden ab, führt es offenbar Böses im Schilde und der Vergewaltigungsvorwurf ist nur vorgetäuscht. Im besten Fall stellt er sich als unbegründet heraus und Assange ist ein freier Mensch. Von wo aus er dann die USA weiter ärgern wird, ist seine eigene Sache.

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[1] Telepolis vom 11.08.2012