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| Impressum 11. Oktober 2012, von Michael Schöfer Linken-Bashing en vogue Man mag zur der Linken stehen wie man will, aber das Linken-Bashing in der deutschen Presse nimmt langsam bizarre Züge an. "Riexinger steht voll hinter Athens Linksradikalen", titelt pflichtbewusst die zum Hause Springer gehörende Welt. "Union und FDP warfen Riexinger vor, Politik gegen deutsche Interessen zu machen. 'Herr Riexinger bricht bewusst mit außenpolitischen Gepflogenheiten und verschärft die Lage vor Ort, weil er und seine Partei die marktwirtschaftliche Grundidee Europas und den Kurs der Konsolidierung konsequent ablehnen', schimpfte FDP-Generalsekretär Patrick Döring in der 'Passauer Neuen Presse'." [1] Man wittert Vaterlandsverrat. Wo Döring in Griechenland angesichts der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und dem fortschreitenden Kollaps der Wirtschaft einen "Kurs der Konsolidierung" sieht, bleibt wohl sein Geheimnis. Und wer die Lage vor Ort verschärft hat, dürfte ebenfalls klar sein. Inzwischen scheint ja auch der IWF endlich gemerkt zu haben, dass man sich buchstäblich zu Tode sparen kann: "Laut der Analyse des IWF in seinem halbjährlichen Weltwirtschaftsausblick wurde der Multiplikator-Effekt von Einsparungen im Haushalt auf das Wachstum in bisherigen Modellen meist bei rund 0,5 angesetzt. Das bedeutet, wenn der Haushalt um ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gekürzt wird, fällt die Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent. Eine empirische Studie verschiedener Volkswirtschaften des IWF habe aber ergeben, dass der Multiplikator-Effekt tatsächlich viel höher liege, und zwar zwischen 0,9 und 1,7." [2] Mit anderen Worten: Die rigide Sparpolitik, die man den südeuropäischen Staaten aufzwingt, ist kontraproduktiv. Sie verschärft die Lage anstatt sie zu mildern. Übrigens genau das, worauf die LINKE schon lange hinweist. Schön, wenn das jetzt auch die "Experten" des IWF so sehen. Um von der eigentlichen Misere abzulenken, werfen die deutschen Regierungsparteien Bernd Riexinger also vor, "Politik gegen die Interessen des eigenen Landes zu machen". Bloß weil er in Griechenland eine Rede halten wollte. Ausgerechnet in der Wiege der Demokratie, die ja bekanntlich etwas mit Redefreiheit zu tun hat. Es ist wirklich perfide, wie Riexinger den deutschen Interessen schadet: "Wir haben unseren Tag mit dem Besuch in einem Athener Kinderkrankenhaus begonnen. Der Chef unserer griechischen Freunde von Syriza, Alexis Tsipras, hat Frau Merkel aufgefordert, dasselbe zu tun. Und vielleicht hätte sie der Aufforderung nachkommen sollen. Dann hätte sie gesehen, was ich gesehen habe: ein gut organisiertes Kinderkrankenhaus, in dem Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Ärztinnen und Ärzte und das Verwaltungspersonal hochmotiviert für das Wohl ihrer kleinen Patientinnen und Patienten sorgen. Und das, obwohl ihr Lohn um 40 Prozent gekürzt wurde, obwohl auf 800 ausgeschiedene Beschäftigte gerade mal acht Neueinstellungen kamen, obwohl immer mehr Menschen in den Notaufnahmen stranden, obwohl das Geld für alles, auch für die notwendigsten Medikamente fehlt, obwohl die Zahl der Pfleger so dezimiert ist, dass sie die Sicherheit der Kinder nicht mehr als gewährleistet ansehen." [3] In der Tat: Es schadet den deutschen Interessen ungemein, auf die Not der Griechen hinzuweisen. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Not der Griechen in deutschem Interessen liegt? Offensichtlich. Wie soll man die Vorwürfe in Richtung Riexinger sonst interpretieren? Sogar in der angeblich so fortschrittlichen taz stand ein absolut dämlicher Kommentar über Riexingers Reise. Linken-Bashing ist offenbar en vogue: "Linke-Chef Bernd Riexinger nimmt an den Anti-Merkel-Demonstrationen in Athen teil, und sogleich sind deutsche Regierung und Boulevard ganz außer sich. Völlig zu Recht – den Griechen geht es nun wahrlich schon schlecht genug, da muss man ihnen nicht auch noch den Besuch einer Figur wie Riexinger zumuten." [4] Die sachliche Art des Kommentators und seine bestechenden Argumente sind bemerkenswert. (Achtung: Ironie!) Fazit: Fast schlimmer als die Springer-Presse. Wenn schon die taz auf Merkel-Linie einschwenkt, ist Europa so gut wie verloren. Die Krise wird bald auch die letzten Wohlstandsinseln erreichen. Deutschland tut ja alles Erdenkliche dafür, den Karren an die Wand zu fahren. Freilich am Ende auch zum eigenen Nachteil. Oder sagen wir, zum Nachteil der meisten Deutschen. Denn wie wir gerade vor kurzem lesen durften, geht es den oberen Zehntausend blendend. "Die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte besitzen 53 Prozent des gesamten Nettovermögens", während die untere Hälfte der Haushalte lediglich über ein Prozent des Nettovermögens verfügt. [5] Es ist beschämend, wie wenig Volksvertreter sich auf die Seite des Volkes stellen. Die griechischen Politiker haben zwar sämtliche Wahlversprechen gebrochen (es werde keine neuen Sparrunden, Lohnkürzungen und Rentensenkungen geben), schuld ist aus deutscher Sicht trotzdem allein Riexinger, denn er - nicht die griechische Regierung oder die Sparkommissarin Angela Merkel - verschärft die Lage vor Ort. Dieser Realitätsbezug liegt ungefähr auf der Linie Marie Antoinettes: "Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen." Mit einem Wort: Beängstigend. Man muss sich als Wähler fragen, ob wir im nächsten Jahr wirklich nur zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün wählen sollen. Den Bock abermals zum Gärtner machen? Beide Lager haben uns doch in der Vergangenheit mit ihrer Politik erst in die prekäre Lage gebracht, aus der sie uns nun wieder herausführen wollen. Das ist so unglaubwürdig wie die Kritik an Bernd Riexingers Reise nach Griechenland. Ich sage: Gut, dass er dort war. ---------- [1] Die Welt-Online vom 10.10.2012 [2] Financial Times Deutschland vom 11.10.2012 [3] Neues Deutschland vom 09.10.2012 [4] taz vom 10.10.2012 [5] Financial Times Deutschland vom 18.09.2012 |