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| Impressum 10. November 2012, von Michael Schöfer Reden und Handeln sind bei den Kirchen oft zweierlei Vom 11. bis 25. November 2012 finden in der Metropolregion Rhein-Neckar/Mannheim die "6. Kurpfälzer Sozialtage" statt, die vom Referat Arbeitnehmerseelsorge und dem Verband KAB (Katholische Arbeitnehmer-Bewegung) veranstaltet werden. Die Sozialtage stehen unter dem Leitwort: "Arbeit braucht Würde. Gute Arbeit: Gerecht - Solidarisch - Nachhaltig". Wenn sich auch die Kirchen für eine gerechte Arbeitswelt einsetzen, ist das zu begrüßen. Allerdings sollten sie dabei mit dem Finger nicht nur auf andere zeigen, sondern insbesondere vor der eigenen Haustür kehren. Getreu dem Bibelspruch "Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge? Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!". [1] Im deutschen Arbeitsrecht beanspruchen nämlich die Kirchen eine Sonderstellung - nicht immer zum Vorteil ihrer Beschäftigten. Zwei Beispiele: "Die Mitarbeiter der [römisch-katholischen] Caritas in Baden-Württemberg wollen mehr Geld – doch es geht ihnen auch um Gerechtigkeit. (…) Die Arbeitgeberseite will zwar die Löhne erhöhen, aber die Geringverdiener ausnehmen. (…) Tarifverhandlungen laufen bei den Kirchen anders als im Öffentlichen Dienst und in Privatunternehmen. Gewerkschaften sind für die kirchlichen Betriebe tabu. Sie genießen Tendenzschutz und sie müssen auch keinen Betriebsrat haben." [2] Die Caritas-Mitarbeiter wollen nicht von der Tarifentwicklung abgekoppelt werden und deshalb den von Bund und Kommunen Anfang des Jahres abgeschlossenen Tarifvertrag übernehmen. Die Caritas will den Tarifabschluss zwar für die mittleren und höheren Lohn- und Gehaltsgruppen übernehmen, nicht jedoch für die unteren. Ausgerechnet. Es sei "ein eklatanter Widerspruch, sich einerseits für die Armen und Schwachen zu engagieren, aber andererseits zuzulassen, dass die sowieso mit rund 1500 bis maximal 1850 Euro brutto gering verdienenden Pflegehelfer, hauswirtschaftlichen Hilfs- und Reinigungskräfte leer ausgehen sollen – wie bereits in der letzten Runde", empört sich ein Mitarbeitervertreter der Caritas. Die evangelische Diakonie streitet ebenfalls über das kirchliche Arbeitsrecht. "Der Vorsitzende des Diakonischen Dienstgeberverbandes Niedersachsen (DDN), Hans-Peter Hoppe, forderte den Ausschluss der 'Diakonie Himmelsthür' in Hildesheim, weil sie einen Tarifvertrag mit Verdi abgeschlossen hat. Dies sei ein Angriff aufs kirchliche Arbeitsrecht. (...) Mit dem Tarifvertrag sollen die 2000 Beschäftigten wieder mehr Geld erhalten." [3] Durch den Tarifvertrag mit Verdi werde der sogenannte "Dritte Weg" unterlaufen, meint Hoppe. Beim "Dritten Weg" sind keine Verhandlungen mit den Gewerkschaften vorgesehen, die Arbeitsbedingungen werden vielmehr in einer paritätischen Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhandelt. Wikipedia: "Der Dritte Weg findet seine Grundlage und Legitimation im verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 3 Weimarer Reichsverfassung)." [4] Streiks seien mit der kirchlichen Arbeit unvereinbar, behaupten die Kirchen, die Druckmittel der kirchlichen Mitarbeiter sind entsprechend gering. Eine Haltung, die vollkommen zu Recht mehr und mehr auf Kritik stößt. Von den Vorschriften, die bei den Mitarbeitern bis in die intimsten Details ihres Privatlebens hineinreichen (z.B. "Kirche will lesbischer Erzieherin kündigen") [5], ganz zu schweigen. Wohl wahr, "Arbeit braucht Würde. Gute Arbeit: Gerecht - Solidarisch - Nachhaltig". Aber das sollte für alle gelten, also auch für die kirchlichen Mitarbeiter. Die Kirchen haben hier noch viel aufzuarbeiten. Es ist freilich kaum zu erwarten, dass sie freiwillig auf ihre anachronistischen Privilegien verzichten. Das ist demzufolge die Aufgabe des Gesetzgebers. ---------- [1] Martin Luther, Die Bibel, Matthäus, Kapitel 7, 3 und 5 [2] Badische Zeitung vom 27.09.2012 [3] Süddeutsche vom 03.11.2012 [4] Wikipedia, Dritter Weg [5] Süddeutsche vom 15.06.2012 |