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10. Dezember 2012, von Michael Schöfer
Der Schmidt'sche Imperativ


"Warum genießt Helmut Schmidt wie kein anderer ein so hohes Vertrauen und eine so große Verehrung in Deutschland? Nicht nur, weil die Menschen spüren, dass hier jemand etwas von dem versteht, von dem er spricht, sondern auch, weil sie spüren, dass er einen Kompass hat, der ihn sein ganzes Leben geleitet hat. Die Bürger spüren, dass da jemand auf der Grundlage sittlicher Überzeugungen - in Krisen genauso wie im politischen Alltag - Politik gemacht hat", behauptete Peer Steinbrück in seiner Parteitagsrede. [1] "Und deswegen darf er im Fernsehen auch rauchen", fügte er verschmitzt hinzu. Schmidt holte prompt eine Menthol-Zigarette aus der Anzugtasche heraus und begann demonstrativ zu rauchen. Mitten im Saal. Und der Parteitag jubelte.

Im antiken Rom war es Brauch, siegreichen Feldherren beim Triumphzug einen Lorbeerkranz über den Kopf zu halten. Ein Sklave flüsterte ihnen währenddessen ständig die Mahnung ins Ohr: "Bedenke, dass du sterblich bist." Es ist unschwer zu erkennen, was damit gesagt werden sollte: Obgleich du jetzt verehrt wirst wie kaum ein anderer, flippe ja nicht aus, denn du bist trotz allem kein Gott, sondern nur ein Mensch. Die Sklaverei ist schon seit langem abgeschafft, aber es hat sich bedauerlicherweise kein anderer gefunden, der dem Ex-Kanzler einen Lorbeerkranz über den Kopf halten und die besagten Worte ins Ohr flüstern wollte. Angesichts der Steinbrück'schen Lobhudelei hätte er es gewiss nötig gehabt.

Helmut Schmidt hat neben seinem Spitznamen "Schmidt Schnauze" sorgsam das Image eines Intellektuellen zu pflegen gewusst. Es ist bekannt, dass er sich dabei gerne auf Immanuel Kant bezog. Vermutlich sind das die erwähnten sittlichen Überzeugungen, auf deren Grundlage er laut Steinbrück lebenslang gehandelt haben soll. Die Ethik Kants lässt sich zum Glück in einem einzigen Satz darstellen: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Der berühmte "Kategorische Imperativ". Nichts anderes als die "Goldene Regel", die man schon bei Konfuzius (551–479 v. Chr.) findet. Hierzulande werden Kinder bereits im Vorschulalter spielerisch, ohne jemals etwas von Kant gehört zu haben, mit dem Kategorischen Imperativ konfrontiert: "Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu." Leider, wenn man sich die gesellschaftliche Realität ansieht, ohne große Wirkung zu hinterlassen. Wie bei Helmut Schmidt.

Was soll eigentlich der öffentliche Rauchgenuss des Ex-Kanzlers aussagen? Seht her, ich werde so verehrt, dass ich mir sogar herausnehmen kann, gegen das Rauchverbot zu verstoßen, ohne dafür belangt zu werden? Offenbar, denn genau so muss man das rücksichtslose Verhalten von Schmidt interpretieren: "Gesetze gelten nicht für mich, bloß für die anderen." In Niedersachsen, wo der SPD-Parteitag stattfand, ist das Rauchen seit dem 1. August 2007 in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens verboten. Helmut Schmidt zeigte sich davon jedoch völlig unbeeindruckt. Manche sind eben tatsächlich gleicher (George Orwell). Der Mann glaubt anscheinend, ein Recht auf Privilegien zu besitzen. Jeden anderen Raucher hätte man sicherlich mehr oder weniger höflich aus der Messehalle hinauskomplimentiert - für Schmidt stand sogar ein Aschenbecher bereit. Auch das war ein Signal, das vom Parteitag ausging. Aber kein gutes.

Dieses Verhalten, für sich selbst eine Ausnahme vom allgemeinen Nichtraucherschutzgesetz zu beanspruchen, ist nämlich ebenso unethisch wie anmaßend. "Bedenke, dass du sterblich bist", möchte man Helmut Schmidt zurufen. Ihm, der von den Sozialdemokraten neuerdings fast vergöttert wird (das war, wie wir wissen, einmal anders). Irdische Gesetze können für so einen natürlich nicht gelten. Für Hinz & Kunz vielleicht, aber doch keinesfalls für den berühmten Ex-Kanzler mitsamt seiner sittlichen Überzeugung. Hochtrabend geht die Welt zugrunde. "Sagen, was man denkt. Tun, was man sagt", forderte Steinbrück in seiner Parteitagsrede. Den Schmidt'schen Imperativ ("Es ist mir egal, was irgendwo geschrieben steht. Ich rauche, wo und wann es mir passt.") kann er damit wohl kaum gemeint haben. Welch ein Vorbild für die angeblich orientierungslose Jugend.

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[1] SPD, PDF-Datei mit 231 kb