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27. Dezember 2012, von Michael Schöfer
Vielen Dank, Herr Rösler


Mein lieber Philipp Rösler, ich habe mir in den vergangenen Monaten echt Sorgen um Ihre Partei gemacht. Dann kam endlich die langersehnte Wende: Die Forsa-Umfrage vom 19. Dezember 2012 sah die FDP vollkommen unerwartet bei fünf Prozent, nachdem sie zwischenzeitlich sogar auf drei Prozent abgesunken war. Fünf Prozent! Ei der Daus! Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die FDP wird doch nicht etwa den Wiedereinzug in den Bundestag schaffen? Dabei hatte alle Welt bis dahin fest mit ihrem Scheitern gerechnet. Und nun das. Die Möglichkeit, dass Schwarz-Gelb weiterregieren kann, rückt wieder in den Bereich des Möglichen. Der neoliberale Wunschtraum verspricht Wirklichkeit zu werden: Weitere vier Jahre für diese höchst erfolgreiche Koalition (Merkel: "die beste seit der Wiedervereinigung"). Der Rösler wird am Ende tatsächlich liefern, murmelte ich, kaum zu glauben.

Jetzt haben Sie mich endgültig überzeugt, Ihr fünfseitiges Strategiepapier "Wachstum und Stabilität in schwierigem Umfeld sichern" [1] hat all meine Sorgen restlos zerstreut. Mein lieber Herr Rösler, Sie sind sich damit absolut treu geblieben: Neoliberalismus as its best. "Erwirtschaften geht vor Verteilen", lautet einer Ihrer hehren Grundsätze. Das hat die FDP schon vor 30 Jahren propagiert, ein beispielloser Ausdruck von Kontinuität also. Bloß dumm, dass es in dieser langen Zeit nie fürs Verteilen gereicht hat. Jedenfalls nicht an die Arbeitnehmer. Eigentlich schade, gell? Doch das ist lediglich ein kleiner Schönheitsfehler. Ein klitzekleiner.

Ihr Optimismus, mit abgedroschenen Worthülsen Wähler zu begeistern, ist bewundernswert. Ich an Ihrer Stelle wäre nämlich zutiefst pessimistisch, da haben Sie mir zweifelsohne etwas voraus. Stellen Sie sich vor, Christian Lindner mit seinem "mitfühlenden Liberalismus" (so ein Schmarrn!) hätte in Ihrer Partei noch etwas zu sagen. Die Kontinuität und der oben erwähnte Aufschwung beim Wählerzuspruch wären sicherlich mit einem Mal hinüber. Nein, die FDP muss unbeirrt die "kaltherzig-neoliberale Steuersenkungspartei" bleiben, wer damit 2009 bei der Bundestagswahl 14,6 Prozent holte, kann gar nicht falsch liegen. Mit Ihnen, lieber Herr Rösler, ist die Partei auf dem besten Weg. Auf dem allerbesten.

Sie geißeln in Ihrem Papier die Absicht, "neue vermeintliche Wohltaten zu verteilen". Sehr richtig! Und deshalb bin ich heilfroh, dass Sie sich nicht haben ins Bockshorn jagen lassen und Ihren Standpunkt stets tapfer zu verteidigen wussten. Wie bitte? Was sagen Sie? Sie haben Anfang November im Bundestag das Betreuungsgeld (vulgo Herdprämie) gebilligt? Oh, noch so ein Schönheitsfehler. Nobody is perfect.

Sie wollen abermals eine "Reform der Unternehmensbesteuerung". Zahlen die denn überhaupt noch welche? Wenn dem so ist, müssen Sie unbedingt etwas tun. Es wäre in der Tat kaum auszuhalten, wenn deutsche Unternehmen mehr bezahlen müssten, als ein gewisser Mitt Romney in den USA (unverschämt hohe 13 Prozent). Lieber Herr Rösler, Sie halten die "weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts" für notwendig. Bravo! Die junge Generation wird für die von Ihnen geforderte Erleichterung von befristeten Beschäftigungsverhältnissen ewig dankbar sein. Wenn 2011 bei Beschäftigten bis 32 Jahre nur 45 Prozent der Neueinstellungen befristet vorgenommen wurden, hat die Mehrheit die phänomenalen Chancen, die sich ihr auf dem prekären Arbeitsmarkt bieten, eben noch nicht richtig erkannt. Es ist unstreitig wahr: Erst bei einem Anteil von 75 Prozent zieht die junge Generation ernsthaft Nachwuchs in Erwägung. Kein Wunder, wenn die Geburtenrate hierzulande so extrem niedrig ist. Lieber Herr Rösler, lassen Sie sich bitte nicht verunsichern, am wenigsten von Ursula von der Leyen.

Da Sie sich dem gesetzlichen Mindestlohn hartnäckig verweigern, heimsen Sie bestimmt auch von den 1,21 Millionen Aufstockern (Beschäftigte, die nebenbei Hartz IV beziehen) viele Wählerstimmen ein. So kommen Sie ihrem Ziel, zu liefern, peu à peu näher. Der Staat soll sich aus Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten zurückziehen, deswegen fordern Sie die Privatisierung von Staatseigentum. Zumindest Sie sagen es noch. Zumindest Sie! Alle anderen haben sich ja inzwischen durch ein paar - zugegebenermaßen unschöne - Negativbeispiele entmutigen lassen. Es wird die Bürger gewiss freuen, auch noch den letzten Rest unseres Tafelsilbers zu veräußern, um das Geld anschließend den an der Finanzkrise völlig unschuldigen Geschäftsbanken zukommen zu lassen. 1,6 Billionen Euro haben die bislang europaweit erhalten. Nicht genug, denn die Banken sind schließlich systemrelevant. Genauso wie die FDP. Hey, Rösler, ganz im Vertrauen, das ist schon verdammt clever, was Sie da vorhaben.

Vielen Dank, dass Sie sich so für die traditionellen Ziele der FDP einsetzen. Wenn Sie jetzt noch die allerletzten Querulanten, wie etwa Wolfgang Kubicki oder Dirk Niebel, in die Schranken weisen können, steht einem furiosen Wahljahr nichts mehr im Wege. Ich freue mich bereits riesig auf die Niedersachsenwahl am 20. Januar. In Ihrer Heimat, Sie kommen ja bekanntlich aus Hannover, wird man danach nur noch einen einzigen Namen rufen - den Ihren. Hundertprozentig, warten Sie es nur ab.

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[1] tagesschau.de vom 27.12.2012, PDF-Datei mit 24 kb