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18. Januar 2013, von Michael Schöfer
Gerechtfertigt, aber keine Lösung

Religionen sind gefährlich, das weiß man nicht erst seit fanatische Islamisten mit Passagierflugzeugen in die Türme des World Trade Centers gerast sind. Und Fanatismus ist keineswegs auf radikale Strömungen im Islam beschränkt, wie kürzlich erst wieder die menschenverachtende Hetze auf dem Portal "kreuz.net" belegt hat, das angeblich von Personen betrieben wird, die der katholischen Kirche nahestehen oder sogar Ämter in ihr ausüben sollen. Dennoch machen uns derzeit zweifellos die Islamisten am meisten Sorgen, unter anderem im westafrikanischen Mali.

Die Islamisten, die in dem von ihnen eroberten Nordteil einen Steinzeitislam praktizierten, wie wir ihn bereits von den afghanischen Taliban kannten, wollten offenbar auch den Rest des Landes erobern. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich leistete daraufhin einem Hilferuf der Regierung in Bamako Folge und entsandte Truppen, die die Islamisten zurückschlagen und den Norden zurückerobern sollen. So lautet zumindest die offizielle Version. Wie immer in militärischen Konflikten ist die Wahrheit kaum aus einem Wust an Propaganda herauszufiltern.

Neben Gold gibt es in Mali insbesondere größere Uran-, Bauxit- und Phosphatvorkommen. Frankreich soll überdies ein Drittel seines Uranbedarfs aus dem Nachbarland Niger beziehen. Ob das militärische Engagement Frankreichs also wirklich dem Kampf gegen den Terrorismus geschuldet ist oder es bei alledem wie gehabt bloß um Rohstoffe geht, ist offen. Erfahrungsgemäß werden Militäreinsätze gerne mit humanistischen Motiven bemäntelt, die aber andernorts erstaunlicherweise wenig Relevanz besitzen.

Vielleicht spielten auch die sinkenden Popularitätswerte des französischen Präsidenten eine Rolle, bei François Hollande ist ja schon ein gewisser Thatcher-Effekt (Falklandkrieg) zu beobachten. "Seine Zustimmungswerte sanken zuletzt um vier Punkte auf 37 Prozent", hieß es vor kurzem. [1] 75 Prozent der Franzosen unterstützen den Kriegseinsatz, der in Umfragen arg gebeutelte Sozialist wird nun selbst von konservativen Zeitungen gelobt. Es wäre beileibe nicht das erste Mal, dass ein Politiker aus innenpolitischen Gründen auf einen militärischen Konflikt im Ausland setzt.

Wie auch immer, trotz alldem darf man die Gefahr durch die Islamisten weder verharmlosen noch verkennen. Tatsächlich hätte die malische Regierung den Rebellen wenig entgegenzusetzen gehabt, ein Szenario à la Somalia wäre also durchaus denkbar gewesen - mitsamt den negativen Begleiterscheinungen für die gesamte Region. Zwar keine direkte militärische Bedrohung für Westeuropa, aber eine nicht zu leugnende Gefahr für die Nachbarstaaten Malis. Insofern scheint das militärische Vorgehen Frankreichs gerechtfertigt zu sein. Legal ist es durch den Hilferuf der malischen Regierung ohnehin, Paris handelt - anders als seinerzeit George W. Bush im Irak - im Einklang mit dem Völkerrecht.

Einerseits erscheint vor diesem ernsten Hintergrund die Unterstützung durch Frankreichs Partner, Deutschland schickt lediglich zwei Transportflugzeuge, erbärmlich. Andererseits kann der Militäreinsatz - wenn überhaupt - nur eine vorübergehende Entspannung bringen. Die Lösung liegt nämlich nicht im Militärischen, sondern vielmehr im Politischen. Die Arabellion hat fraglos einiges durcheinander gebracht. Jetzt muss es darum gehen, den Wandel, der durch die Revolte gegen autokratische Herrscher wie Ben Ali, Gaddafi oder Mubarak ausgelöst wurde, weiterhin zu unterstützen und ihn dadurch in die richtigen Bahnen zu lenken. Auch wenn das Ganze ein langer und zäher Prozess ist, bei dem es mit Sicherheit zu Rückschlägen kommen wird, dreht sich die eigentliche Frage darum, wie man die betroffenen Staaten allmählich demokratisieren kann. Und da das Volk von Demokratie allein nicht leben kann, spielt dabei die ökonomische Entwicklung zweifelsohne die Hauptrolle. Freie Wahlen und Pressefreiheit sind für Menschen mit leerem Magen zweitrangig. Beklagenswert, aber verständlich. Demokratie muss dort als Chance begriffen werden, die ökonomische Situation dauerhaft zu verbessern.

Die Islamisten kann man mit einem Militäreinsatz temporär zurückdrängen, besiegen kann man sie jedoch nur, wenn ihnen der Nachwuchs ausgeht. Doch solange sich aus den armen und perspektivlosen Massen der islamischen Welt genug neue Kämpfer rekrutieren lassen, dürften die Islamisten zumindest einen langen Atem haben. Einen - siehe Afghanistan - womöglich längeren als westliche Demokratien. "It's the economy, stupid!", wie Bill Clinton einmal festgestellt hat. Leider hat der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, den Fokus in der Vergangenheit viel zu sehr auf das Militärische gelegt. Hinzu kamen die haarsträubenden Verstöße gegen die eigenen Prinzipien, etwa Guantanamo oder die geheimen CIA-Folterlager. Die Lehrmeister der Demokratie entpuppten sich allzu oft als habgierige Machiavellisten. Ein, wie Obamas rechtswidriger Drohnenkrieg in Pakistan zeigt, keineswegs abgeschlossenes Kapitel. Im Gegenteil, dessen Intensität hat sich zuletzt sogar gesteigert, es wird bloß weniger darüber berichtet.

Mali wird wohl noch lange nachhallen. Und womöglich wird es demnächst noch mehr Fälle wie diesen geben, Kandidaten dafür gibt es ja genug. Militärische Gewalt mag beim entschlossenen Entgegentreten gegen die Islamisten zuweilen unvermeidlich sein, langfristig hilft allerdings nur eine kluge politische und ökonomische Strategie. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Nordamerika und Europa (die sozialen Verwerfungen in den USA, Portugal, Spanien oder Griechenland) ist dafür jedoch das schlechteste Beispiel. Wer zu Hause die eigene Bevölkerungsmehrheit mies behandelt, von dem ist in der Fremde nicht viel Gutes zu erwarten. Wenn es sich rechnet, triumphiert bekanntlich der Zynismus. Und bedauerlicherweise lohnt es sich oft. So spielt etwa in Nigeria, wo die islamistische Gruppierung Boko Haram ihr Unwesen treibt, der Ölmulti Shell eine unrühmliche Rolle. Terroristen fallen nicht vom Himmel, sie sind stets - ebenso wie alles andere - in einen politischen Kontext eingebettet. Ein Aspekt, der bei der Ursachenforschung des Terrorismus gerne übersehen wird.

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[1] RTL.de vom 13.01.2013