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| Impressum 23. Januar 2013, von Michael Schöfer Reisende soll man nicht aufhalten "Geht doch, wenn ihr unbedingt wollt", lautet der allgemeine Tenor auf David Camerons Europarede, in der er für 2017 eine Volksabstimmung über die britische Mitgliedschaft in der EU ankündigte. "Wenn Großbritannien Europa verlassen will, werden wir für euch den roten Teppich ausrollen", versprach Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hämisch. [1] Die Stimmung in Europa ist gereizt. Kein Wunder, Camerons Vorschlag ist in erster Linie wahltaktischer Natur, denn er verknüpft das Referendum mit seiner eigenen Wiederwahl. Äußerst geschickt: Die Briten sollen nur abstimmen dürfen, wenn sie ihn 2015 im Amt bestätigen. Umfragen zufolge lagen die regierenden Tories zuletzt bei lediglich 29 Prozent, die oppositionelle Labour Party jedoch bei 40 Prozent. [2] In einem Mehrheitswahlsystem (in den Wahlkreisen gilt das Prinzip: the winner takes it all) riecht das nach einer desaströsen Niederlage: Wiederwahl unwahrscheinlich. Das Referendum könnte sich in Camerons Kalkül als letzter Strohhalm erweisen, denn im November 2011 bekundeten 51 Prozent der Briten, aus der EU austreten zu wollen. Der britische Premierminister plädiert seit langem für eine Begrenzung der EU auf den Binnenmarkt, eine engere politische Union lehnt er vehement ab. Er will die Vorteile der Freihandelszone ausschöpfen, die Vereinigten Staaten von Europa sind ihm dagegen ein Graus. Die britische Souveränität hat eindeutig Vorrang. Cameron will sein Land nur in der EU halten, sofern die übrigen Mitgliedstaaten den Briten abermals Sonderrechte einräumen. Maggie Thatcher ("I want my money back!") lässt grüßen. Rosinenpickerei nennen das die anderen, und so etwas werde man keinesfalls zulassen. Die Briten auf dem Weg in die "splendid isolation" (wunderbare Isolation)? Genau das ist fraglich, denn ob sich der Austritt aus der Gemeinschaft für die Briten lohnt, ist höchst ungewiss. 2011 gingen 53,2 % der britischen Ausfuhren in die Mitgliedstaaten der EU, von dort stammten wiederum 50,6 % der Einfuhren. [3] Die ökonomische Verflechtung mit den EU-Partnern ist groß, ein EU-Austritt könnte sich folglich auf die britische Wirtschaft verheerend auswirken. Ob er daher eine kluge Entscheidung ist, darf man bezweifeln. Der britische Austritt wäre für die EU ein genauso herber Einschnitt (Großbritannien ist Deutschlands viertgrößter Handelspartner), gleichwohl könnte er das engere Zusammenwachsen der EU beschleunigen. Bislang hat sich London im Geleitzug meist als Bremser betätigt und ist den anderen damit gehörig auf die Nerven gegangen. Die Briten sind eben ziemlich eigen und hatten schon von jeher eine spezielle Sicht auf Europa: "Nebel über dem Kanal, Kontinent isoliert", soll die altehrwürdige Times einst getitelt haben. Snobismus gehört bekanntlich auf der Insel zum guten Ton. Ohne die Briten wäre manches womöglich leichter, etwa die Regulierung der Finanzmärkte oder die Stärkung des Europäischen Parlaments. Außerdem hat jedes Volk natürlich das Recht, über sein Schicksal selbst zu entscheiden. Falls die Briten der EU tatsächlich Adieu sagen, müssen sie dann aber wohl oder übel auch die daraus resultierenden Folgen tragen. Reisende soll man nicht aufhalten. Wer gehen will, soll gehen. Es gibt im Übrigen keinen vernünftigen Grund und obendrein kein Mittel, die Briten gegen ihren Willen in der EU zu halten. Schottland will selbständig werden, ebenso die Basken und die Katalanen. Belgien droht sich aufzuspalten, CSU-Vorstandsmitglied Wilfried Scharnagl will sogar Bayern von Deutschland lösen (allerdings ohne damit allzu große Wirkung zu erzielen). Sezession scheint momentan en vogue zu sein. Doch ist das Volk, wenn es hart auf hart kommt, nicht immer bereit, den Forderungen nach Abspaltung zuzustimmen. So hat beispielsweise der katalanische Ministerpräsident Artur Mas bei den Regionalwahlen im November 2012 eine herbe Schlappe hinnehmen müssen. Mas, der die Abspaltung Kataloniens von Spanien fordert, stolperte über die Frage der EU-Mitgliedschaft. Anders als von ihm suggeriert, wäre nämlich ein unabhängiges Katalonien nicht automatisch weiterhin Mitglied der EU. Das hat die Wähler nachdenklich werden lassen, offenbar war vielen das Risiko ökonomischer Verwerfungen zu groß. Es ist daher noch lange nicht ausgemacht, dass die Briten wirklich aus der EU austreten. Sobald es konkret wird, wägen sie vermutlich die Vor- und Nachteile nüchterner ab, als es derzeit danach aussieht. Und wenn nicht, mon Dieu, geht die Welt auch nicht unter. ---------- [1] tagesschau.de vom 23.01.2013 [2] Die Welt vom 20.12.2012 [3] Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Länderinformation Großbritannien, PDF-Datei mit 300 kb |