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| Leserbriefe | Impressum 27. Januar 2013, von Michael Schöfer Darf man jemand, der rassistisch argumentiert, einen Rassisten nennen? An diesem Wochenende haben sich im Haus der Burschenschaft Normannia Heidelberg die Deutschen Burschenschaftler zu einer Versammlung getroffen, angeblich hielten dort "rund 30 Teilnehmer von 15 Burschenschaften eine Fortbildung zu Thema wie 'Umgang mit den Medien' oder 'Die Zukunft der Deutschen in Europa' ab." Referenten waren "Michael Paulwitz, Mitglied im Landesvorstand der Republikaner sowie Bruno Burchhard, Alter Herr der Burschenschaft Olympia Wien. Diese war zwischen 1961 und 1973 verboten, weil Mitglieder in rechtsextremistische Anschläge in Südtirol verwickelt waren." [1] Vor dem Haus versammelten sich rund 100 Gegendemonstranten. Die Deutschen Burschenschaften, ohnehin im Verdacht, ziemlich rechtslastig zu sein, sind zuletzt noch viel mehr in Verruf geraten. Kai Ming Au, ein Mannheimer Burschenschaftler, dessen Eltern aus China stammen, war etlichen Burschenschaftsbrüdern offenbar nicht deutsch (oder darf man sagen "nicht arisch"?) genug. "Die in der Burschenschaftlichen Gemeinschaft organisierten rechtsnationalistischen Verbindungen hatten beim Burschentag, der Versammlung von Delegierten aller Mitgliedsverbindungen der Deutschen Burschenschaft, versucht, eine Burschenschaft ausschließen zu lassen, die einen Studenten mit chinesischen Eltern aufgenommen hatte. Zudem sollte über eine Art 'Ariernachweis' sichergestellt werden, dass Studenten mit nichtdeutschen Eltern nur in Ausnahmefällen aufgenommen würden." [2] Kai Ming Au sei Angehöriger einer "außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung" und stamme nicht von der deutschen "geschichtlichen Schicksalsgemeinschaft" ab, hieß es. [3] Norbert Weidner, ehedem Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter, musste zurücktreten, weil er "den NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als Landesverräter und dessen Hinrichtung als 'juristisch gerechtfertigt' bezeichnet hatte." [4] Weidners Machwerk ist auch heute noch auf der Website "Sezession im Netz" nachzulesen. Er wurde dafür vom Bonner Amtsgericht wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt, das Urteil gegen den ehemaligen Skinhead und jetzigen Burschenschaftler ist allerdings noch nicht rechtskräftig. [5] Sein Nachfolger bei den Burschenschaftlichen Blättern ist besagter Michael Paulwitz von der Burschenschaft Normannia Heidelberg. Paulwitz schreibt darüber hinaus u.a. für die rechtslastige Website "Politically Incorrect" und die "Junge Freiheit", über die bei Wikipedia nachzulesen ist: "Politikwissenschaftler ordnen sie als zentrales Sprachrohr der Neuen Rechten mit 'Scharnier-' oder 'Brücken'-Funktion zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus ein." Bei "Sezession im Netz", einem anderen rechten Weblog, ist Paulwitz ebenfalls als Autor aktiv. Kein Wunder, wenn er Norbert Weidner in Schutz nimmt: "Weidner wägt seine Worte durchaus, seine medial verkürzte Bewertung steht eingebettet in eine lange und differenzierte Argumentation zum Unterschied zwischen Hochverrat, als in gewissen Umständen legitimes Mittel zum Widerstand, und Landesverrat." [6] Distanzierung sieht anders aus. Bei "Sezession im Netz" veröffentlicht Paulwitz auch Teile seines Buches (Deutsche Opfer, fremde Täter), darin ist u.a. zu lesen: "Deutschland steht, städtisch punktuell sowie in manchen Westregionen flächendeckend, vor der Gefahr, keine deutsche Zukunft mehr zu haben. (...) Deutschland teilt diese Schwäche mit den anderen weißen Völkern und Nationen..." Und: "...jede Geburten-Politik muß die Deutschen bevorzugen." [7] Die typische Überfremdungsthese, die man schon von Thilo Sarrazin gewohnt ist, die aber trotz ständiger Wiederholung nicht stichhaltiger wird. [8] Paulwitz argumentiert eindeutig rassistisch, denn seit wann gehört Deutschland zu den "weißen" Völkern und Nationen? Ist man nicht Deutscher, egal welche Hautfarbe man hat? Genau diese skurrile Gesinnung hat sich an Kai Ming Au festgebissen: Ein Asiatischstämmiger kann gar kein richtiger Deutscher sein. Das wussten wir doch schon seit langem, ein richtiger Deutscher muss selbstverständlich "blond wie Hitler, groß wie Goebbels und schlank wie Göring" sein (= politischer Witz zur Zeit des Nationalsozialismus). Rasse ist hierzulande seit 1945 kein Kriterium mehr für die Volkszugehörigkeit. Zum Glück. Hinter seiner Forderung "Geburten-Politik muß die Deutschen bevorzugen" steckt die gleiche ethnische Separierung. Gilt das Grundgesetz etwa bloß für Deutsche? Nein, das Grundgesetz atmet einen anderen Geist: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." (Artikel 3 Abs. 1) Alle "Menschen" wohlgemerkt, nicht bloß alle "Deutschen". Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist übrigens, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Da steht einschränkend weder etwas von "populationsgenetischer Gruppierung" noch von "Migrationshintergrund". Paulwitz liegt mit seiner Forderung auf einer Linie mit Thilo Sarrazin. Nach Aussage von Emina Benalia hat nämlich der ehemalige Berliner Finanzsenator und Bundesbanker am 10. Dezember im Amsterdamer Debattiertheater De Balie ihr gegenüber geäußert: "Die Menschenrechte sollten in Deutschland nur für Deutsche gelten. Für Migranten sollten die Gesetze ihres Herkunftslandes gültig sein." [9] Das ist, sofern es tatsächlich stimmt, zweifellos verfassungswidrig, weil Menschenrechte (siehe oben) bekanntlich unteilbar sind und ohne Ausnahme für alle gelten. Der Gleichheitsgrundsatz gehört zum Fundament jeder Demokratie. Kurioserweise, und da hat Sarrazin seine Worte vermutlich nicht zu Ende gedacht, würde das obendrein bedeuten, dass zum Beispiel Migranten aus Saudi-Arabien in Deutschland nach den rigiden religiösen Vorstellungen ihres Heimatlandes leben dürften. Laut Sarrazin müsste für sie die Scharia gelten. Etwas, wovor Xenophobe seit langem eindringlich warnen. Ach, es ist eben zuweilen verdammt schwer mit der Logik... Darf man jemand, der rassistisch argumentiert, einen Rassisten nennen? Darf man Burschenschaftler, die Menschen (Asiaten) nicht als vollwertige Deutsche betrachten, Rassisten nennen? Meiner Meinung nach ja! Es ist deshalb verständlich, wenn Demonstranten die Burschenschaft Normannia Heidelberg dem rechten Sumpf zuordnen (laut Rhein-Neckar-Zeitung "die einzige der vier Heidelberger Burschenschaften, die noch Mitglied im Dachverband ist"). Oft hört man von Burschenschaftlern, bei denen viel von "Ehre - Freiheit - Vaterland" die Rede ist, sie seien Patrioten. "Als Patriotismus wird eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation bezeichnet. Im Deutschen wird anstelle des Lehnwortes auch der Begriff 'Vaterlandsliebe' synonym verwendet", erläutert Wikipedia. [10] Man könnte jetzt kurz und prägnant mit Gustav Heinemann antworten: "Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!" Doch wenn schon Patriotismus, dann Verfassungspatriotismus, denn der "beruht (…) auf gemeinsamen politischen Werten wie Demokratie und Meinungsfreiheit" und ist mir deshalb viel sympathischer. [11] Das ganze Abstammungsgesülze hingegen, diese krude Blut- und Bodenideologie, ist mir zutiefst zuwider. ---------- [1] Rhein-Neckar-Zeitung-Online vom 26.01.2013 [2] Frankfurter Rundschau vom 16.07.2011 [3] Spiegel-Online vom 18.06.2011 [4] Stern-Online vom 24.11.2012 [5] General-Anzeiger vom 16.01.2013 [6] Sezession im Netz, Lageignoranz und Politikunfähigkeit: Nachlese zur "Causa Weidner" [7] 15 Thesen für den Beginn der Debatte, siehe Punkt 1, 2 und 12, Seite 148 und 151, PDF-Datei mit 104 kb [8] vgl. Thilo Sarrazin hat unrecht 13.10.2009 oder Konsequent an den Fakten vorbei 27.08.2010 oder Migrationshintergrund vom 14.03.2012 [9] Carta vom 24.12.2012 [10] Wikipedia, Patriotismus [11] Wikipedia, Verfassungspatriotismus |