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17. März 2013, von Michael Schöfer
Wo ist hierfür die Rechtsgrundlage?


Das auf dem EU-Gipfel von den Euro-Finanzministern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) beschlossene Rettungspaket für Zypern hat Vor-, aber auch gravierende Nachteile. Zunächst ist es positiv, dass nicht nur die Steuerzahler herangezogen werden, sondern auch die Geldanleger. Bis zu einer Einlage in Höhe von 100.000 Euro wird in Zypern von den Bankkunden eine Sonderabgabe von 6,75 Prozent erhoben, bei Einlagen darüber sind es 9,9 Prozent. Insgesamt will man dadurch 5,8 Mrd. Euro hereinholen.

Es fehlt allerdings eine Beteiligung der Bankeigentümer, schließlich haben die das Geschäftsmodell eines grotesk aufgeblähten Bankensektors ersonnen und davon in der Vergangenheit nicht schlecht profitiert (die Bilanzsumme der zypriotischen Banken beläuft sich ungefähr auf das Sechsfache des Bruttoinlandsprodukts). Der Bankensektor der Mittelmeerinsel soll hauptsächlich der Geldwäsche russischer Oligarchen dienen, von der Vermögensabgabe sind aber auch viele Kleinsparer betroffen. Da hätte man sich zumindest einen Freibetrag gewünscht, der das Vermögen der Kleinsparer schützt. Ist der zypriotische Rentner für den aufgeblähten Bankensektor und dessen Geschäftsmodell verantwortlich? Wohl kaum. Außerdem wird es voraussichtlich zu Steuererhöhungen kommen. Es trifft also abermals - wenigstens teilweise - die Falschen.

Irritierend ist jedoch etwas ganz anderes, und zwar die fehlende Rechtsgrundlage. Verständlicherweise haben die Zyprer sofort versucht ihre Ersparnisse zu retten und stürmten an die Geldautomaten. Eine naheliegende Reaktion. Die Geldautomaten gaben freilich bis 11 Uhr kein Geld aus. "Wer danach seinen Kontostand abfragte, musste feststellen, dass die der Abgabe entsprechende Summe bereits fehlte." [1] Da in Zypern die Genossenschaftsbanken auch samstags geöffnet haben, strömten die Kunden in die Filialen und wollten ihr Geld abheben. Bank Run nennt man das. Etwas, das jede Bank früher oder später in die Knie zwingt. Aber es gab an den Bankschaltern ebenso wenig Bargeld wie an den Geldautomaten, die Bankfilialen wurden sogar früher als üblich geschlossen. Selbst das Online-Banking hat man gekappt und somit Überweisungen unmöglich gemacht. Das Ganze dürfte also schon länger geplant gewesen sein, solche Maßnahmen setzt man nämlich nicht über Nacht um.

Vielleicht bin ich ein bisschen altmodisch, deshalb lautet die meiner Ansicht nach wichtigste Frage: Wo ist hierfür die Rechtsgrundlage? Dürfen die Euro-Finanzminister überhaupt Sparer faktisch enteignen? Noch am Wochenende soll das zypriotische Parlament ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Das heißt im Umkehrschluss, dass es bis dahin für die Verweigerung der Geldabhebung und die Schließung des Online-Bankings offenbar keine Rechtsgrundlage gibt. Und da auf den Bankauszügen die Sonderabgabe bereits abgezogen ist, dürfte das schlicht und ergreifend rechtswidrig sein. Daraus resultiert unweigerlich die Frage: Wenn die Verantwortlichen im Falle Zyperns ohne Rechtsgrundlage handeln, worauf müssen sich dann die Bürgerinnen und Bürger in der Eurozone noch gefasst machen?

Selbstverständlich wird niemand den russischen Oligarchen und ihren dubiosen Geschäften eine Träne nachweinen. Und gewiss ist die Vermögensabgabe allemal besser als ein Totalverlust, der durch den Kollaps der zypriotischen Banken entstanden wäre. Doch wohin treibt eine Gesellschaft, die in der Krise kurzerhand Grundrechte (hier das Recht auf Eigentum) außer Kraft setzt? Es wird sich zeigen, wie viel Vertrauenskapital durch diese Hauruck-Aktion zerstört worden ist. Sind demnächst in Italien oder Spanien ähnliche Sonderabgaben geplant? Das sei nicht der Fall, heißt es beschwichtigend. Aber wer kann dem jetzt noch Glauben schenken?

Um nicht missverstanden zu werden: Eine Vermögensabgabe ist als Beitrag zur Krisenbewältigung sicherlich sinnvoll. Beispiel Deutschland: Laut Bundesbank betrug Mitte 2012 allein das Geldvermögen der Privathaushalte gigantische 4,8 Billionen Euro. [2] Dabei sprechen wir noch nicht einmal über das Immobilienvermögen, das 9,5 Billionen Euro betragen soll. [3] Theoretisch ließen sich damit die Staatsschulden Deutschlands, die Ende des dritten Quartals 2012 bei rund 2,1 Billionen Euro lagen [4], locker mit einem Schlag tilgen. Insofern spricht kaum etwas gegen eine moderate Vermögensabgabe. Aber dann bitteschön vorher das dafür notwendige Gesetz beschließen. Vorher wohlgemerkt, nicht danach.

Wir kommen in Teufels Küche, wenn das Fundament der Demokratie erodiert. Und zum Fundament einer Demokratie gehört zweifellos die Rechtsstaatlichkeit, die gerade in Krisensituationen einzuhalten ist, andernfalls wäre unsere Gesellschaft lediglich eine Schönwetterdemokratie. Jedes Handeln ist an Recht und Gesetz gebunden. Und niemand steht über dem Gesetz - nicht einmal die europäischen Staats- und Regierungschefs oder deren Finanzminister. Das ist in meinen Augen der eigentliche Kritikpunkt am Rettungspaket für Zypern. Die Banken einfach pleitegehen zu lassen, wäre wegen des befürchteten Dominoeffekts ein Vabanquespiel gewesen. Wer mag schon wirklich austesten, ob Zypern systemrelevant ist oder nicht. Das Risiko wäre für die gesamte Eurozone ungleich höher gewesen und hätte für die gut 800.000 Einwohner der Republik Zypern wesentlich einschneidendere Folgen gehabt. Dennoch: Der Weg an den bestehenden Gesetzen vorbei ist höchst bedenklich.

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[1] Tageblatt.de vom 17.03.2013
[2] Deutsche Bundesbank, Pressenotiz vom 29.10.2012
[3] Deutscher Bundestag, Pressemeldung vom 22.11.2012
[4] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 019 vom 16.01.2013