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| Impressum 09. April 2013, von Michael Schöfer Warum wundern wir uns eigentlich? Als sich die Amerikaner damals unter George W. Bush fragten, warum sie in der Welt so verhasst sind, konnten wir Europäer deren Larmoyanz zunächst gar nicht nachvollziehen. Denn die Vereinigten Staaten mutierten unter Bush vom "Land der Freien" zu einem Folterstaat mit Geheimgefängnissen, der überdies mithilfe haarsträubender Lügen völkerrechtswidrige Kriege entfachte und Menschen nach Gutdünken jeglicher Rechte beraubte. Eigentlich Grund genug, um gegen die USA zumindest eine Aversion zu entwickeln. Doch das konnten viele Amerikaner einfach nicht begreifen. Hatten sie denn nicht, subjektiv gesehen, das Beste im Sinn: Saddam Hussein stürzen, den Afghanen Demokratie schenken, das Heimatland verteidigen, den Terror bekämpfen? Das überstrahlte in der Wahrnehmung der meisten Amerikaner die hässliche Seite ihres Handelns vollkommen. Heute ergeht es Deutschland ähnlich. Retten wir nicht die "faulen Griechen" mit unseren hart erarbeiteten Moneten? Haben wir nicht gerade die "undankbaren Zyprioten" vor der Pleite bewahrt? Wollen wir für die Italiener, Spanier, Portugiesen und selbst für die inzwischen angeblich träge gewordenen Franzosen nicht ebenfalls das Beste und bringen ihnen deshalb das Sparen bei? Die sollten dankbar sein, liest man ständig, anstatt unsere Kanzlerin mit Hitlerbärtchen zu verunglimpfen. Nun ja, zugegeben, das mit dem Hitlerbärtchen ist tatsächlich eine höchst unsachliche Form der Kritik. Aber im Dezember 2012 lag beispielsweise in Griechenland die Arbeitslosenquote bei 26,4 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit sogar bei 58,4 Prozent. Nach einem halben Jahr Arbeitslosengeld wird man dort übrigens buchstäblich ins Nichts entlassen, Sozialhilfe gibt es in Hellas nämlich keine. Ungeachtet der Fehler, die die Griechen in der Vergangenheit zweifellos gemacht haben, können wir uns überhaupt in die prekäre Lage der Betroffenen hineinversetzen? Offenbar nicht. Denn das Credo unserer "schwäbischen Hausfrau" heißt trotz allem "sparen, sparen, sparen". Schlimm, dass die bittere Medizin nicht einmal hilft. Nachfolgend ein kurzer Blick über die Entwicklung des griechischen BIP: 2008: -0,2%, 2009: -3,1%, 2010: -4,9%, 2011: -7,1%, 2012: -6,4%, 2013: -4,4%. [1] Die Sparpolitik reißt tiefe Löcher - die Wirtschaft bricht ein, die Staatsschulden steigen, die Arbeitslosenzahlen explodieren. Und das beileibe nicht bloß in Griechenland:
---------- [1] Eurostat, Wachstumsrate des realen BIP, Veränderung gegenüber dem Vorjahr (%), 2008-2012: vorläufige Zahlen, 2013: Prognose |