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22. April 2013, von Michael Schöfer
Verbindliche Geschlechterquote führt zu absurden Ergebnissen

Die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir (1908-1986) war mit ihrem Buch "Das andere Geschlecht" (1949) eine Vorkämpferin der modernen Frauenbewegung. Man wird, so ihre These, nicht als Frau geboren, sondern erst durch die Gesellschaft dazu gemacht, und auf diese Weise perpetuiere sich die Unterdrückung der Frau. Inzwischen haben sich Frauenquoten zumindest in der Politik erfolgreich durchgesetzt. Den Beginn machten 1979 die Grünen, 1988 folgte die SPD, 1996 die CDU und bedauerlicherweise erst 2010 die CSU. Die Linke hat seit ihrer Gründung im Jahr 2007 natürlich ebenfalls eine. Nur die FDP hat noch keine Frauenquote in die Satzung aufgenommen. So sehr sich die Frauenquoten im Detail unterscheiden, von einer verbindlichen 50-Prozent-Regelung bis zur unverbindlichen Empfehlung, haben sie sich doch alle, was die Beteiligung des weiblichen Geschlechts angeht, positiv ausgewirkt.

Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg will mit der Novellierung des Landespersonalvertretungsgesetzes (LPVG) erstmals eine "verbindliche Geschlechterquote" einführen. Allerdings schießt sie dabei übers Ziel hinaus, denn es soll bei Personalratswahlen - anders als in der Politik - nicht lediglich um eine Geschlechterquote bei der Listenaufstellung, sondern vielmehr um eine bei der Vergabe der Mandate gehen. Mit unter Umständen kuriosen Auswirkungen.

Der Gesetzentwurf sieht Folgendes vor (Auszug): "Frauen und Männer sind bei der Bildung des Personalrats entsprechend ihrem Anteil an den Beschäftigten der Dienststelle sowie in jeder Gruppe (Arbeitnehmer / Beamte) entsprechend ihrem Anteil im Personalrat zu berücksichtigen. (…) Der Wahlvorstand muss feststellen, wie hoch der Anteil an Frauen und Männern bei den Beschäftigten insgesamt und in den einzelnen Gruppen ist. Er hat die Verteilung der Sitze auf die Gruppen und innerhalb der Gruppen auf die Geschlechter nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu errechnen und im Wahlausschreiben bekannt zu geben." [1]

Das bedeutet: Die Wahlvorschläge sollen quotengerecht (je nach dem Anteil der Geschlechter unter den Wahlberechtigten) eingereicht werden. Dagegen ist zunächst einmal überhaupt nichts einzuwenden. Die verpflichtende Geschlechterquote gilt aber auch nach der Wahl, wenn es um die Verteilung der Personalratssitze geht.

Nun gibt es im öffentlichen Dienst bekanntlich Beamte und Arbeitnehmer, und außerdem Behörden, in denen eine der beiden Gruppen einen besonders hohen Frauen- oder Männeranteil aufweist. Manchmal hat diese Gruppe im Vergleich zur anderen auch noch eine wesentlich kleinere Anzahl an Beschäftigten. Die Brisanz ergibt sich aus der Kombination dieser beiden Gegebenheiten. Das hat Auswirkungen, von denen ich nicht weiß, ob sie unter nachfolgend geschilderten Umständen noch dem Wählerwillen entsprechen.

Personalratssitze werden nach dem d’hondtschen Höchstzahlverfahren ausgezählt. Nehmen wir als Beispiel eine (tatsächlich existierende) Dienststelle, bei der in der Gruppe der Arbeitnehmer 130 Frauen (= 80,25 %) und 32 Männer (= 19,75 %) arbeiten. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf würden daher bei insgesamt zwei Personalratssitzen für diese Gruppe beide Sitze an Frauen gehen, erst bei fünf Personalratssitzen käme ein Mann zum Zuge. Und das, wohlgemerkt, unabhängig vom konkreten Stimmergebnis.

Auszählungsverfahren nach d’Hondt
Divisor Frauen Männer
1
130 (1) 32 (5)
2
65 (2) 16
3
43,33 (3) 10,66
4
32,5 (4) 8
Ermittlung der Höchstzahlen (die roten Werte in Klammern
entsprechender Vergabereihenfolge der Mandate)

Nehmen wir der Einfachheit halber die Zahlen der letzten Personalratswahl im Jahr 2010: Die Liste der Gewerkschaft X bekam 89,75 % der Wählerstimmen, so dass die Gewerkschaft Y mit ihren 10,25 % bei den Arbeitnehmern keinen Personalratssitz erobern konnte. Innerhalb der Liste der Gewerkschaft X sah die Stimmverteilung wie folgt aus:

Geschlecht Stimmen Prozent
Mann A 185 72,8 %
Frau A 18 7,1 %
Mann B 15 5,9 %
Frau B 12 4,7 %
Mann C 5
2,0 %
Mann D 5
2,0 %
Mann E 4
1,6 %
Mann F 4
1,6 %
Mann G 2
0,8 %
Mann H 2
0,8 %
Frau C 1
0,4 %
Mann J 1
0,4 %

Gewählt wurden "Mann A" und "Frau A" (blau hinterlegt). So weit, so gut. Das entsprach eindeutig dem Wählerwillen.

Nach der geplanten Novellierung des LPVG würde die Wahl allerdings - bei identischer Stimmabgabe durch die Wahlberechtigten - ganz anders ausfallen, gewählt wären dann "Frau A" und "Frau B". Das hieße: "Mann A", obgleich von den Wählerinnen und Wählern mit 185 Stimmen (72,8 %) bedacht, könnte kein Personalratsmitglied werden. Er hätte nicht den Hauch einer Chance. Im Personalrat säßen hingegen "Frau A" und "Frau B" mit zusammen 30 Stimmen (11,8 %), die aber nicht ausreichen, um auch nur annähernd an das Ergebnis von "Mann A" heranzureichen. Wäre das nicht eine grobe Verfälschung des Wahlergebnisses?

Geschlecht Stimmen Prozent
Mann A 185 72,8 %
Frau A 18 7,1 %
Mann B 15 5,9 %
Frau B 12 4,7 %
Mann C 5
2,0 %
Mann D 5
2,0 %
Mann E 4
1,6 %
Mann F 4
1,6 %
Mann G 2
0,8 %
Mann H 2
0,8 %
Frau C 1
0,4 %
Mann J 1
0,4 %

Auch der dritte und vierte Sitz, die es freilich aufgrund der geringen Anzahl an Gruppenangehörigen nicht gibt, gingen nach d’Hondt an eine Frau. Erst bei fünf Personalratssitzen würde in der Gruppe der Arbeitnehmer der erste Mann in den Personalrat einziehen, weil Männern nach den Grundsätzen der Verhältniswahl erst jetzt ein Sitz zustünde.

Ich weiß daher nicht, ob die von Grün-Rot geplante "verpflichtende Geschlechterquote" wirklich noch den Wählerwillen widerspiegelt, schließlich wurde zumindest "Mann A" ja auch überwiegend von Frauen gewählt. Noch schlimmer: Da ein Mann unter den gegebenen Bedingungen unabhängig von seinem Stimmergebnis allein aufgrund seines Geschlechts überhaupt nicht gewählt werden kann, ist die Geschlechterquote in dieser Form wahrscheinlich sogar verfassungswidrig. Im vorliegenden Beispiel ist den Männern nämlich das passive Wahlrecht faktisch entzogen.

Gleichstellung kann doch nicht bedeuten, dass "Frau B" mit zwölf Stimmen das Mandat bekommt, während "Mann A" mit 185 Stimmen leer ausgeht und bestenfalls als Ersatzmitglied fungiert. Künftig ist es Männern unter den vorgenannten Bedingungen fast unmöglich, in den Personalrat einzuziehen. Selbstverständlich kann es bei spiegelbildlichen Verhältnissen genauso gut passieren, dass Frauen gegen die Übermacht der Männer von vornherein vollkommen chancenlos sind. Ist das der tiefere Sinn der verbindlichen Geschlechterquote? Und dient das den Interessen der Beschäftigten?

Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin für Frauenquoten und halte sie für unverzichtbar, um der echten Gleichberechtigung näherzukommen. Natürlich sind Frauen in der Gesellschaft immer noch benachteiligt. Aber das darf meiner Ansicht nach nicht dazu führen, vom Wählerwillen so stark abzuweichen, dass von einer repräsentativen Wahl schlechterdings gar nicht mehr gesprochen werden kann. Wenn Gleichstellung bedeutet, die Diskriminierung der Frauen durch eine Diskriminierung der Männer zu ersetzen, läuft etwas grundlegend falsch. Gleichstellung muss heißen, das Gleichheitsprinzip zu verwirklichen, nicht die Ungleichheit unter umgekehrten Umständen fortzuführen.

In Baden-Württemberg ist die Personalratswahl eine Persönlichkeitswahl, die Wählerinnen und Wähler können deshalb panaschieren (mehrere verfügbare Stimmen auf Kandidaten unterschiedlicher Wahllisten verteilen) und kumulieren (mehrere verfügbare Stimmen auf einen Kandidaten vereinigen). Durch die verbindliche Geschlechterquote würde die Persönlichkeitswahl jedoch konterkariert, weil es - siehe oben - nur noch begrenzt auf den Wählerwillen ankäme. Der richtige Weg wäre daher, bei der Listenaufstellung eine verbindliche Geschlechterquote einzuführen, etwa nach dem Reißverschlusssystem. Wer aber dann letztlich gewählt wird, sollte man wie gehabt den Wählerinnen und Wählern überlassen, alles andere wäre in meinen Augen undemokratisch.

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[1] Innenministerium, Novellierung des LPVG, Eckpunkte, Schreiben vom 30.11.2012