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05. Mai 2013, von Michael Schöfer
Sparen wird zum Wahn


Ein gewisser Uli Hoeneß hat im Interview mit der Zeit eingestanden, jahrelang an der Börse gezockt zu haben. "Das war der Kick, das pure Adrenalin", beschreibt er seine Gefühle. [1] Die Zockerei habe bei Hoeneß Suchtcharakter angenommen, erläutern uns kundige Beobachter. Und das gehe Zehntausenden ähnlich.

Wir sind ohnehin von zahlreichen Süchten umgeben: Alkoholsucht, Nikotinsucht, Drogensucht. Schauspieler, die sich mal wieder in die Schlagzeilen bringen wollen, gestehen dem erstaunten Publikum ihre Sexsucht. Doch mal ehrlich: Tragen wir nicht alle tief in uns den Wunsch nach ausschweifenden Orgien? Leider sind unsere diesbezüglichen Möglichkeiten im Vergleich zu den Hollywood-Stars etwas geringer. Was, so behaupten renommierte Soziologen, vor allem daran liegt, dass wir in Wanne-Eickel von Montag bis Freitag zwischen 7.30 und 16.00 Uhr gezwungenermaßen einem stinklangweiligen Bürojob nachgehen müssen. Zeit, um abends am Sunset Strip die verruchtesten Clubs aufzusuchen, haben wir dadurch natürlich kaum.

Eine Sucht, die freilich gerne übersehen wird, ist die Sparsucht. Und die kommt, allen anderweitigen Gerüchten zum Trotz, keineswegs nur bei schwäbischen Hausfrauen vor. Wie man an der Schuldenbremse sehen kann, hat diese Sucht inzwischen unser gesamtes Staatswesen erfasst. Kennen Sie den obdachlosen Alkoholiker, der morgens um sieben am Kiosk schon die zweite Flasche Bier an den Hals setzt? Wirklich? Na, dann wissen Sie ja, was Alkoholsucht anrichten kann. Um hingegen die Auswirkungen der Sparsucht zu begutachten, empfiehlt sich eine Reise nach Athen oder Lissabon. Zumindest vorerst, denn die Bestrebungen, diese Krankheitssymptome nach Deutschland zu holen und uns dadurch leichter zugänglich zu machen, haben bislang noch nicht gefruchtet. Aber Angela Merkel arbeitet daran. Mit aller Kraft, wie ich Ihnen versichern darf. Mittlerweile ist derartiges Anschauungsmaterial schon vereinzelt in Frankreich gesichtet worden, bis zu dessen Eintreffen in Deutschland kann es somit nicht mehr allzu lange dauern.

Vorreiter der pathologischen Form der Sparsucht haben sich allerdings bereits in einer Münchner Zeitungsredaktion eingenistet. Aufmerksamen Lesern der Süddeutschen ist das nicht entgangen. In der aktuellen Wochenendausgabe gab das Blatt unter der Überschrift "Ganz billig und doch so teuer" skurrile Spartipps zum Besten. Ein Beispiel: "To go. Am liebsten täglich. Auf dem Weg zur Arbeit oder nach dem Mittagessen mit Kollegen. Oder beides. Latte, Cappu, Espresso, gerne auch Macchiato. Seit die italienischen Heißgetränke in Mode sind, machen sie uns arm. Wenn man, ganz konservativ, von nur einem Cappuccino täglich für realistische 2,50 Euro ausgeht, und das auch nur an Werktagen, kostet der wöchentliche Kaffeegenuss bereits 12,50 Euro. Wahrscheinlich ist er sogar teurer, trifft man am Wochenende noch Freunde im Café oder nimmt auch beim samstäglichen Einkaufsbummel zwischendurch die Kaffeespezialität im Pappbecher mit. Je nach Laden zahlt man dann gerne vier Euro und mehr, lässt sich dafür den Milchschaum mit Sirup, Sahne oder Schokopulver veredeln. Doch selbst wenn es bei 12,50 Euro pro Woche bleibt, kommen 650 Euro im Jahr zusammen. Es gibt Reiseportale, die dafür eine zweiwöchige Pauschalreise nach Italien für zwei Personen anbieten." [2] Diagnose: Schwere Form der Sparsucht! Die Redakteure bereiten sich offenbar allesamt auf ihr Noviziat im Schweigekloster vor.

Aber da die Sparsucht anscheinend hochinfektiös ist, hat sie mich kurz nach dem Lesen ebenfalls erfasst. Mir fiel nämlich prompt ein neues Beispiel ein, das ich der Redaktion sogleich per E-Mail übermittelte: "Ich weiß noch etwas, bei dem man viel Geld sparen kann", schrieb ich denen. "Täglich die SZ - muss das sein, wo doch sowieso fast alles kostenlos im Netz steht? 51,90 Euro pro Monat x 12 = 622,80 Euro pro Jahr. Dafür bekommt man bei manchen Reiseveranstaltern 14 Tage Mallorca angeboten. 'All inclusive', wohlgemerkt. Und es bleibt sogar noch etwas übrig, um es arbeitslosen Journalisten zu spenden." Die begeistere Rückmeldung der SZ ist bislang ausgeblieben, aber ich bin da ganz zuversichtlich, das können die gar nicht ignorieren. Die Redaktion wird bestimmt demnächst unter der Rubrik "Abo & Service" den warnenden Hinweis "Ganz billig und doch so teuer" anbringen. Denn was der Coffee Company billig ist, muss der Süddeutschen teuer sein. Oder so ähnlich...

Sorry, ein nicht ganz ernstgemeinter Vorschlag. Jetzt mal ohne Witz, was ich damit sagen will: Sparen ist manchmal gut, doch die Wirtschaft lebt bekanntlich vom Ausgeben. Wenn jeder spart, geht mangels Abonnenten irgendwann auch die beste Zeitung zugrunde. Außerdem machen die kleinen Dinge, selbst wenn sie sich übers Jahr hinweg summieren, unser Leben etwas schöner. Das gilt für die Artikel in der SZ ebenso wie für den "Coffee to go". Geld ist nämlich, zumindest solange man welches hat, nicht das Allerwichtigste.

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[1] Die Zeit-Online vom 01.05.2013
[2] Süddeutsche vom 04.05.2013