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26. Mai 2013, von Michael Schöfer
Drohnenkriege sind unethisch


Man stelle sich vor, Xi Jinping, der neue Präsident der Volksrepublik China, würde in Indien Mitglieder der tibetischen Exilregierung durch Kampfdrohnen liquidieren lassen. Oder der Oligarch Boris Abramowitsch Beresowski wäre in London nicht eines natürlichen Todes gestorben, sondern vom Kreml per Fernsteuerung direkt aus Moskau um die Ecke gebracht worden. Xi Jinping und Wladimir Putin gälten fast überall als Persona non grata. Ausgenommen natürlich bei den üblichen Verdächtigen: Nordkorea, Iran, Syrien, Simbabwe oder Sudan. Ein Krieg gegen China oder Russland käme dennoch nicht in Frage, aber Baschar al-Assad müsste sogar damit rechnen. Begänne der syrische Despot, Exil-Syrer in Istanbul aus der Luft töten zu lassen, könnte er seine restlichen Tage gewiss an einer Hand abzählen.

Und was ist mit US-Präsident Barack Obama? Trotz seines Drohnenkrieges, dem bislang Tausende zum Opfer fielen, ist er der allseits respektierte Führer der westlichen Wertegemeinschaft. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Mit Wertegemeinschaft sind nicht Sachwerte in Shopping-Malls gemeint, sondern ideelle Werte wie Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit etc. Kürzlich muss Obama selbst eingesehen haben, dass er mit seinem Drohnenkrieg dem Ansehen der USA Schaden zufügt. Die Luftschläge sollen zwar nicht eingestellt werden, aber künftig zumindest nach strikteren Regeln erfolgen. Dürfen wir jetzt Beifall klatschen? Ich meine, nein, denn diese Form des Drohnenkrieges ist trotzdem unethisch. Einen x-beliebigen Mörder, der verspricht, in Zukunft behutsamer zu töten, würden wir wohl kaum gewähren lassen. Doch auf der Bühne der Diplomatie gelten offenbar andere Maßstäbe.

Die amerikanische Regierung hat jetzt eingeräumt, vier US-Bürger mithilfe von Drohnen getötet zu haben. Einer davon, der Al-Kaida-Prediger Anwar al-Awlaki, sei absichtlich liquidiert worden. Unter den drei anderen befand sich al-Awlakis 16-jähriger Sohn, dieser sei schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, seine Tötung mithin unabsichtlich erfolgt. Sorry Jungs, nicht krummnehmen, kann halt mal vorkommen. Gilt das auch für die anderen Kinder, die Drohnenangriffen zum Opfer fielen? In Pakistan sollen zwischen 2004 und 2013 bei insgesamt 368 Luftschlägen schätzungsweise 168 bis 197 Kinder getötet worden sein. [1] Würde Barack Obama Kinder missbrauchen, müsste er sicherlich auf der Stelle zurücktreten. Aber er tötet sie bloß. Ach so, na dann...

Der Chef des Weißen Hauses darf weiterhin rechtswidrig (außergerichtliche Hinrichtung) auf der Grundlage nicht näher definierter Kriterien gezielt töten lassen. Bei ihm macht man eben eine Ausnahme. Er kann per Eigenermächtigung Ankläger, Richter und Henker in einem spielen und steht somit über dem Gesetz. Der US-Präsident beteuert, er gehe verantwortungsvoll mit seiner Macht um (etwas, das - beiläufig gesagt - jeder andere Politiker ebenfalls von sich behauptet). Dennoch lässt er sie nicht durch ein Gericht kontrollieren, denn "dies widerspreche der Gewaltenteilung". [2] Das ist eine recht eigentümliche Auslegung des Prinzips der Gewaltenteilung - zumal wenn man, wie Barak Obama, in Harvard Jura studiert hat.

Das Gegenteil ist richtig: Gewaltenteilung beruht gerade auf der Kontrolle der Regierung durch die Gerichte. Schließlich hat man sie eingeführt, weil Regierungen einst jeglicher Kontrolle enthoben waren. Alles andere führt erfahrungsgemäß zu Exzessen und zu Despotismus. Gewaltenteilung bedeutet die gegenseitige Kontrolle der Legislative, Exekutive und Judikative. Jedenfalls galt das, seitdem John Locke und Montesquieu diese Grundsätze vor rund 300 Jahren entwarfen. "Checks and Balances" nennt man das Prinzip im angelsächsischen Bereich, und kurioserweise wurde es 1787 erstmals in der Verfassung der Vereinigten Staaten festgeschrieben. Dort steht es übrigens noch immer, aber Papier ist ja bekanntlich geduldig.

Obama versichert, die Drohnenangriffe seien "bisher immer angemessen, effektiv und legal gewesen". Und: "Die Tötung von US-Bürgern ohne einen Prozess verstoße zwar gegen die amerikanische Verfassung. Andererseits dürfe für US-Bürger, die das Land verließen, um gegen die USA Krieg zu führen, 'die Staatsbürgerschaft nicht als Schild dienen'." [3] Das heißt: Die Tötungen verstoßen zwar gegen die Verfassung, aber niemand dürfe sich hinter den Rechten verschanzen, die ihm die Verfassung garantiert (übrigens jedem, auch Kriminellen). Sobald man sich auf den Schutz der Verfassung beruft, kann sie außer Kraft gesetzt werden. Derart krude Argumente muss man wirklich zweimal lesen, und kann es dann immer noch nicht glauben. Der Friedensnobelpreisträger ist offenbar ein zynischer Machtmensch, der George Orwells Roman "1984" entsprungen sein könnte. Darin wird ja durch "Neusprech" der Sinn der Sprache modifiziert und ins genaue Gegenteil verkehrt: Das "Ministerium für Wahrheit" ist für Propaganda zuständig, das "Ministerium für Frieden" für Krieg, das "Ministerium für Überfluss" für Rationierungen und das "Ministerium für Liebe" für Unterdrückung und Folter.

Es ist schier nicht zu fassen, zu was der einstige Hoffnungsträger imstande ist. Zugegeben, wären die Republikaner an der Macht, wäre alles noch wesentlich schlimmer. Aber ist das wirklich eine Entschuldigung? Keiner zwingt ihn, so zu handeln. Nichtsdestotrotz tut er es. Der mächtigste Mann der Welt lädt Schuld auf sich, braucht sich jedoch um Sühne nicht zu sorgen. So sind halt die realen Machtverhältnisse. Doch was sagt uns gemeinhin unser Gewissen? Dass wir manche Dinge selbst dann nicht tun dürfen, wenn wir sie - ohne Strafe fürchten zu müssen - tun könnten. Allein deswegen, weil wir sie für falsch halten. Im Allgemeinen fällt das unter die Rubrik Ethik. Davon ist Barack Obama bedauerlicherweise weit entfernt. Er taugt daher zu allem, bloß nicht zum Vorbild.

In seinem Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" lässt Milan Kundera seine Hauptfigur die Frage nach der Schuld mit der Sage des Ödipus beantworten. "Ödipus wusste nicht, dass er mit der eigenen Mutter schlief, und als ihm klar wurde, was geschehen war, fühlte er sich dennoch nicht unschuldig. Er konnte den Blick auf das Unglück, das er unwissend verursacht hatte, nicht ertragen, stach sich die Augen aus und verließ Theben als Blinder. (…) Es gibt keine Ausrede. Niemand war in seinem Inneren unschuldiger als Ödipus. Und trotzdem hat er sich selbst bestraft, als er einsah, was er getan hatte." [4] Die selbstauferlegte Strafe ist zweifellos barbarisch und wenig empfehlenswert. Die Crux ist indes, dass sich heute keiner mehr schuldig fühlt, egal was er anrichtet. Auch dann nicht, wenn er am anderen Ende der Welt Kinder bombardiert. Der Krieg gegen den Terrorismus rechtfertigt angeblich alles.

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[1] The Bureau of Investigative Journalism, Stand: 26.05.2013
[2] Süddeutsche vom 25.05.2013
[3] Spiegel-Online vom 23.05.2012
[4] Milan Kundera, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Frankfurt am Main 1987, Seite 169 und 209