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30. Mai 2013, von Michael Schöfer
Wer im Glashaus sitzt...


...sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Die EU wirft China unfaire Handelspraktiken vor, konkret geht es um chinesische Solarmodule, die dort angeblich unter den Produktionskosten verkauft werden. "China dumpt im Solarbereich seit drei Jahren und das hat uns bis heute schon allein 30 Insolvenzen und Werksschließungen in Deutschland und 60 in Europa gekostet", beklagt Milan Nitzschke, der Präsident der Hersteller-Initiative EuProSun. [1] Die EU-Kommission will deshalb - wie die USA - Strafzölle einführen und die Einfuhr chinesischer Solarmodule demnächst mit einem Aufschlag von 47 Prozent belegen. Das Ganze könnte sich leicht zum Wirtschaftskrieg aufschaukeln, denn China hat bereits Gegenmaßnahmen angekündigt.

Durch Dumpingmaßnahmen Konkurrenten aus dem Markt drängen, ist allerdings keine chinesische Erfindung. Auch die Europäische Union, die sich gerne als Unschuldslamm präsentiert, hat es diesbezüglich faustdick hinter den Ohren. So subventioniert die EU beispielsweise den Export von Tomatenmark nach Afrika, was dort die einheimischen Produzenten ruiniert:

"Südeuropäische Konzerne exportieren Tomatenmark-Dosen nach Ghana und verkaufen sie dort für rund 29 Cent. Ghanaische Hersteller müssen die Dose für 35 Cent anbieten, wenn sie von dem Geschäft leben wollen. Weil sie teurer verkaufen als die Europäer, werden sie vom Markt verdrängt. Die Europäer könnten sich den niedrigen Preis leisten, weil die EU die Tomatenproduzenten jährlich mit 380 Millionen Euro unterstütze, erklärt Francisco Mari (Agrarexperte beim Evangelischen Entwicklungsdienst). Außerdem erhielten die Firmen für einen Teil der Exporte eine Subvention von 15 Cent pro Kilo, wenn sie den Überschuss, den sie in der EU nicht absetzen können, außerhalb Europas verkauften. Insgesamt exportieren die Europäer jährlich 400.000 bis 500.000 Tonnen ihrer Produktion von elf Millionen Tonnen. Für 135.000 Tonnen bekommen sie die Exportvergütung. 'Die Subventionen führen dazu, dass das Tomatenmark aus der EU um die Hälfte billiger angeboten werden kann, als es die Herstellungskosten erlauben', sagt Mari. Mit anderen Worten: Ohne Subventionen müssten die EU-Bauern für die Tomatenmark-Dose in Ghana 58 Cent verlangen." [2]

Die EU verkauft in Afrika auch tonnenweise subventionierte Geflügelreste. "In den letzten Jahren ist der Export aus der EU nach Afrika rapide gestiegen. (…) Angela Müller von der Organisation Mission EineWelt beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema. Sie klagt, dass durch die Importe die heimische Landwirtschaft kaputt gehe, denn vor allem zu Beginn der Importe seien die Preise so billig, dass die heimischen Betriebe, inklusive Vermarktung und Schlachtung, nicht mehr produzieren könnten." [3] "Ein Kilogramm Geflügel aus der EU koste den Verbraucher in Benin 1,40 Euro, für Fleisch aus lokaler Produktion müsse er aber 2,10 Euro zahlen." [4] Kein Wunder, wenn afrikanische Produzenten da nicht mithalten können. 2011 zahlte die EU für Geflügelfleisch Ausfuhrerstattungen in Höhe von 61 Mio. Euro aus [5], derzeit bekommt man von ihr pro 100 Kilogramm einen Zuschuss von 10,85 Euro überwiesen [6].

Zwar hat die EU die Abschaffung der Exportsubventionen zugesagt, ihr Versprechen bislang aber nicht eingelöst. Die Zusagen seien vom Abschluss der Doha-Runde abhängig gemacht worden, heißt es, doch die Verhandlungen treten trotz jahrelanger intensiver Bemühungen immer noch auf der Stelle. Unterdessen fließen eben weiterhin Exportsubventionen.

Den Daten von Eurostat zufolge sind die Nahrungsmittelexporte der Europäischen Union nach Ghana zwischen 2003 und 2012 von 143 Mio. Euro auf 392 Mio. Euro gestiegen, das ist ein Plus von 174 Prozent. Im gleichen Zeitraum kletterten die Nahrungsmittelexporte nach Benin von 151 Mio. Euro auf 294 Mio. Euro (= +94,7 %). Insgesamt wuchs die Ausfuhr von Lebensmitteln nach Afrika von 6,6 Mrd. Euro auf 15,1 Mrd. Euro (= +128 %). [7] Unfaire chinesische Handelspraktiken anprangern, ob zu Recht oder zu Unrecht ist im vorliegenden Zusammenhang irrelevant, aber das Gleiche andernorts gegenüber schwächeren Partnern trotz gegenteiliger Bekundungen sogar noch ausweiten - das ist leider bittere Realität. Zweifellos ein Akt der Heuchelei. Nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz betrugen die Agrarexporterstattungen der EU im Jahr 2011 164 Mio. Euro. [8] Gewiss, sie sinken kontinuierlich, aber ihre vollständige Abschaffung ist auf EU-Ebene nach wie vor umstritten. [9] Davon abgesehen darf man nicht unterschlagen, dass die Europäische Union in diesem Jahr rund 57 Mrd. Euro für den Agrarsektor ausgeben wird, davon 44 Mrd. an Direktbeihilfen für landwirtschaftliche Betriebe. [10] Die hiesige Landwirtschaft ist somit auch ohne Exporterstattungen hochsubventioniert. Ähnliches können sich afrikanische Länder mangels Haushaltsmittel gar nicht erlauben.

China hat wenigstens den Vorteil, dass es ökonomisch erheblich stärker ist als Ghana oder Benin und insbesondere das stark exportorientierte sowie äußerst einflussreiche Deutschland Angst vor Gegenmaßnahmen hat (die Volksrepublik ist momentan - noch vor den USA - unser drittwichtigster Handelspartner). Inzwischen haben 18 Mitgliedstaaten bei der EU-Kommission gegen die von ihr geplanten Strafzölle protestiert. Die Exporte der EU nach China betrugen im vergangenen Jahr 143,9 Mrd. Euro. Allerdings wurden sie durch die Importe aus dem Reich der Mitte (290 Mrd. Euro) deutlich übertroffen, weshalb der Saldo der Handelsbilanz ein dickes Minus von 146 Mrd. Euro aufweist. [11] Kurzum, auch China hätte durch den drohenden Wirtschaftskrieg viel zu verlieren. Natürlich sollte man das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten. Subventionen sind nicht per se schlecht, so gäbe es ohne sie in Europa etwa weder eine wettbewerbsfähige Flugzeugindustrie (Airbus) noch einen stark ansteigenden Anteil an regenerativen Energieträgern (Wind- und Solarenergie). Andererseits sind Dumping-Maßnahmen auf Dauer fraglos inakzeptabel. Aber es geht dabei, wie wir gesehen haben, nicht nur um chinesische Solarmodule, sondern gleichermaßen um genauso verheerend wirkende Agrarexporte.

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[1] Die Welt vom 24.05.2013
[2] Süddeutsche vom 17.05.2010
[3] Bayerischer Rundfunk vom 25.01.2013
[4] taz vom 15.04.2011
[5] BMELV, PDF-Datei mit 174 kb
[6] agrarheute.com vom 21.01.2013
[7] Eurostat, Extra-EU-Handel von Nahrungsmitteln nach Partner
[8] BMELV, Pressemitteilung Nr. 354 vom 23.11.12
[9] BMELV, Pressemitteilung Nr. 157 vom 27.05.13
[10] Europäische Kommission, Haushalt 2013 in Zahlen
[11] Eurostat, Extra-EU27-Handel nach Hauptpartner