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25. Juni 2013, von Michael Schöfer
Gewerkschaft der Polizei stützt sich auf dubiose Quellen


Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist angeblich nicht ganz so konservativ wie ihre Konkurrenz von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Immerhin ist sie Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Dass, politisch betrachtet, die Uhren bei der GdP trotzdem etwas anders gehen als beim traditionell sozialdemokratisch ausgerichteten DGB, belegen GdP-Publikationen immer wieder aufs Neue. Der Korpsgeist ist unverkennbar. Viele Außenstehende attestieren der Polizei, genau das laufe bei ihr falsch und müsse sich ändern.

Greifen wir exemplarisch den umstrittenen Blockupy-Einsatz am 1. Juni in Frankfurt heraus, dort wurden bekanntlich 947 Demonstranten rund neun Stunden lang eingekesselt. Und wie das bei derartigen Gelegenheiten halt so ist, gibt es mindestens zwei unterschiedliche Versionen der Geschehnisse: Die Polizei sagt, die Demonstranten seien gewalttätig gewesen und hätten gegen das Versammlungsgesetz verstoßen. Die Demonstranten wiederum beschuldigen die Polizei, brutal und unverhältnismäßig vorgegangen zu sein. Wie in einem Rechtsstaat üblich, wird die Frage vor Gericht geklärt werden, es liegen bereits entsprechende Anzeigen vor.

Zumindest das Medienecho war verheerend. Für die Polizei, wohlgemerkt. "Eine Schande für Frankfurt", titelte die Süddeutsche Zeitung. [1] Der Freitag fragte: "Wahlkampf mit Polizeiknüppel?" [2] Laut Frankfurter Rundschau gab es sogar Kritik aus den Reihen der Polizei. BFE-Beamte der Frankfurter Polizei bewerteten das Vorgehen ihrer von außerhalb kommenden Kollegen als "unprofessionell". "Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren – und wir haben jetzt den Ärger." [3] Auch die hessische Politik wurde, kurz vor den Landtagswahlen am 22. September, durch den Polizei-Einsatz kräftig aufgemischt. SPD und Grüne üben heftige Kritik und fordern Aufklärung, Innenminister Boris Rhein (CDU) hingegen verteidigt seine Beamten. Das übliche Geplänkel, das solche umstrittenen Ereignisse hervorrufen.

Bei der Debatte sollte man sich aber stets vergewissern, mit wem man ins Bett steigt. Und an diesem Punkt kehren wir zur GdP und zum Korpsgeist zurück. Im "GdP aktiv" der Kreisgruppe Mannheim titeln die Polizeigewerkschafter: "Medien-TV-Sender entlarvt politisch motivierte und einseitige Berichterstattung" [4] Der angebliche Beweis: "Ein exklusiver Videobericht von blu-TV". Das Verhalten der Zeitungen sei skandalös, heißt es dort, weil sie falsch berichten würden. Der Autor (MP) hat sich insbesondere auf die renommierte Frankfurter Rundschau eingeschossen. Doch schon die Sprache lässt den Leser aufhorchen: "Die FR ist einmal mehr im Bunde mit linken bis linksextremen Organisationen und betreibt eine Kampagne in deren Namen. Spätestens jetzt sollte sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gehörig dafür schämen, dieses linksradikale Propagandablatt vor dem verdienten Bankrott gerettet zu haben." (Seite 2)

Die Frankfurter Rundschau und linksradikal? Da muss man schon ziemlich weit rechts stehen, um zu einer solch skurrilen Einschätzung zu gelangen. Der bekannteste Journalist der FR war Karl-Hermann Flach, Anfang der siebziger Jahre Generalsekretär der FDP, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und Co-Autor der "Freiburger Thesen". Die FR hat eine linksliberale Ausrichtung, ihr Herausgeber war bis 1973 der Sozialdemokrat Karl Gerold, dessen Wirken die FR bis heute prägt. Damit Sie wissen, was "MP" unter "linksradikal" versteht.

Wer sich hinter dem Kürzel "MP" verbirgt, kann dem Impressum der GdP-Publikation nicht entnommen werden. Ob das noch dem Landespressegesetz Baden-Württemberg entspricht, sei dahingestellt. In § 8 Abs. 2 steht nämlich geschrieben: "Auf den periodischen Druckwerken sind ferner Name und Anschrift des verantwortlichen Redakteurs anzugeben. Sind mehrere Redakteure verantwortlich, so muß das Impressum die in Satz 1 geforderten Angaben für jeden von ihnen enthalten. Hierbei ist kenntlich zu machen, für welchen Teil oder sachlichen Bereich des Druckwerks jeder einzelne verantwortlich ist." Das Impressum von "GdP aktiv" benennt entgegen dem Wortlaut des Gesetzes überhaupt keinen Verantwortlichen.

Und wer ist für den ominösen Sender "blu-TV" verantwortlich? Kennen Sie den? Nie davon gehört, werden wohl die meisten antworten. Recherchiert man im Internet, gelangt man schnell auf die Website von "blu-news". "blu steht für bürgerlich liberal unabhängig", liest man dort. Und nach kurzem Suchen landet man einen Volltreffer: Der Artikel auf Seite 2 und 3 von "GdP aktiv" ist fast vollständig "blu-news" entnommen worden. [5] Unter dem Artikel ist auch das Youtube-Video verlinkt, auf das die GdP hinweist. Doch selbst bei "blu-news" sucht man vergeblich nach Angaben, welcher Autor unter "MP" firmiert. "blu-TV" ist jedenfalls Bestandteil von "blu-news". Laut Impressum der Website ist ein gewisser Christian Jung aus München verantwortlich. Recherchiert man bei Google mit "Christian Jung", stößt man rasch auf den bayerischen Landesverband der Partei "Die Freiheit", 2011 fungierte Jung dort als Landesvorsitzender.

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet die Partei als "rechtspopulistisch und islamfeindlich". Jung mische darüber hinaus beim islamfeindlichen Internetblog "Politically Incorrect" mit, wusste das Blatt vor zwei Jahren zu berichten. [6] Die Partei "Die Freiheit" und das Blog "Politically Incorrect" werden übrigens seit Ende März 2013 vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet, denn beide schüren nach Angaben von Innenminister Joachim Hermann (CSU) "pauschale Ängste vor Muslimen" und seien daher "extremistisch". [7]

Christian Jung ist freilich Ende 2011 bei den Freiheitlichen ausgetreten und betreibt jetzt die besagte Website "blu-news", was er auf "EuropeNews" in einem Interview ausführlich begründet. [8] Bezeichnenderweise heißt es auf "EuropeNews": "NO SHARIA, Ich unterstütze Deutschland (…) Faschismus verlangt UNGEHORSAM." Da stutzt man unwillkürlich. Wenigstens als Demokrat. Wie diese Website politisch einzuordnen ist, kann sich daher jeder denken. Christian Jung mag die Plattform gewechselt haben, seine Gesinnung offenbar nicht. Außerdem sind bei "blu-news" laut seiner eigenen Aussage viele "Ex-Freiheitler" engagiert. Das Ziel von "blu" ist klar: "Wir müssen als Islamkritiker raus aus der Bloggosphäre [sic!], raus aus der Isolation, rein in die Gesellschaft, Teil der Auseinandersetzung werden." Und ausgerechnet die Gewerkschaft der Polizei ist ihm dabei auch noch behilflich.

Wenn eine Polizeigewerkschaft glaubt, Arm in Arm mit erkennbar rechtslastigen Zeitgenossen die altehrwürdige Frankfurter Rundschau verunglimpfen und den umstrittenen Polizei-Einsatz rechtfertigen zu müssen, geht der Schuss definitiv nach hinten los. Wer sich auf derart unseriöse Quellen stützt, erscheint selbst als unseriös. Der vermeintliche "Medien-TV-Sender" entpuppt sich zudem bei genauem hinsehen als eine Ansammlung von ein paar Videofilmchen auf Unterseiten von "blu-news". Das kann mittlerweile jeder - ohne sich gleich hochtrabend "Medien-TV-Sender" nennen zu dürfen. Vermutlich stammt die Bezeichnung ohnehin von der GdP, bei "blu-news" habe ich sie zumindest nicht gefunden. Wahrscheinlich wollte die Polizeigewerkschaft damit die Bedeutung ihrer Quelle aufhübschen. Ein Potemkinsches Dorf, wenn Sie so wollen.

Ob man sich im DGB nicht langsam darüber wundert, wem die GdP in ihren Publikationen ein Forum bietet? War es Absicht oder nur Fahrlässigkeit? Vielleicht hat die GdP bloß versäumt, vorher Informationen darüber einzuholen, wem sie vertraut. "Copy & Paste" - es ist heutzutage ja so leicht, aber eben mitunter auch fatal. In Zeiten, in denen in der Öffentlichkeit viel über den haarsträubenden Umgang der Sicherheitsbehörden mit der Terrorzelle NSU spekuliert wird, sollte man allerdings jeden Anschein von Kumpanei mit rechtslastigen Kreisen vermeiden. Polizeibeamte müssen unmissverständlich klar machen, dass sie sich für die Demokratie engagieren. Nicht nur pro forma, sondern aus innerer Überzeugung. Das "GdP aktiv" lässt daran leider Zweifel aufkommen. "Right or wrong - my police!", eine Haltung, die ich kürzlich im Zusammenhang mit Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, kritisiert habe, darf für Polizisten keine Richtschnur sein. [9]

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[1] Süddeutsche vom 03.06.2013
[2] Der Freitag vom 02.06.2013
[3] Frankfurter Rundschau vom 04.06.2013
[4] GdP Mannheim, GdP aktiv, Ausgabe Nr. 14 vom 12.06.2013, PDF-Datei mit 775 kb
[5] blu-news vom 02.06.2013
[6] Süddeutsche vom 13.06.2011
[7] Die Welt-Online vom 12.04.2013
[8] EuropeNews vom 30.01.2012
[9] siehe Amoklauf gegen den Rechtsstaat
vom 09.06.2013

Nachtrag (29.06.2013):
Nachdem mehrere Medien über den bedenklichen Artikel in "GdP aktiv" berichtet haben, u.a. die FR, die taz und der Hessische Rundfunk, hat sich die GdP in ihrer Ausgabe Nr. 16 vom 27.06.2013, Seite 5, von bestimmten Formulierungen distanziert: "Der Gewerkschaft der Polizei liegt es (...) fern, die Berichterstattung der 'Frankfurter Rundschau' und die der 'taz' anzugreifen oder Redakteure der beiden Blätter zu diffamieren. Auch distanzieren wir uns davon die 'Frankfurter Rundschau' als 'linksradikales Propagandablatt' zu bezeichnen", schreiben die Polizeigewerkschafter. Das ist allerdings nur ein halbes Dementi, denn es fehlt nach wie vor der Hinweis, dass es sich bei "blu-news" um eine Website vom rechten Rand des politischen Spektrums handelt und der "Medien-TV-Sender" alles ist, bloß kein TV-Sender. Wer hier folglich was "entlarvt" hat, dürfte deutlich geworden sein.