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27. Juli 2013, von Michael Schöfer
Polizeigewerkschafter haben nichts gegen Lauscher - es sei denn...


Das Leben schreibt manchmal die schönsten Geschichten. Und die amüsantesten sind meiner Meinung nach die, bei denen sich Heuchler selbst entlarven. Das sind Menschen, die öffentlich Wasser predigen, aber heimlich Wein saufen. Oft braucht man sich bloß gemütlich zurückzulehnen und auf den richtigen Zeitpunkt zu warten.

Nehmen wir etwa den früheren Gouverneur von New York, Eliot Spitzer. Sein hartes Vorgehen gegen illegale Geschäftspraktiken von Firmen brachte ihm ehedem den Spitznamen "Sheriff der Wall Street" ein. In seiner Zeit als Justizminister und Generalstaatsanwalt von New York profilierte er sich "als unerbittlicher Kämpfer für Recht und Moral. Er sprengte der 'New York Times' zufolge 2004 mindestens zwei Prostituiertenringe und sprach mit 'Abscheu und Wut' über diese Verbrechen. Prostitution ist in New York wie in den meisten US-Bundesstaaten illegal." [1] Grund seines unfreiwilligen Rücktritts: Spitzer war jahrelang Stammkunde eines exklusiven Call Girl-Rings. Das sind die raren Momente, in denen mir die Zeitungslektüre besonderen Spaß bereitet.

Ted Haggard werden hierzulande nur wenige kennen, in den USA gelangte der Prediger und Gründer der "Association of Life-Giving Churches" jedoch zu großer Berühmtheit. "Die US-amerikanische Zeitschrift Time Magazine zählte ihn im Jahr 2005 zu den 25 einflussreichsten evangelikalen Christen in den USA." Haggard ätzte besonders gegen Homosexuelle und gegen die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. "Wir müssen nicht darüber diskutieren, was wir von homosexuellen Aktivitäten halten, es steht in der Bibel geschrieben." So ein Pech aber auch: "Nachdem der frühere Callboy und Masseur Mike Jones in den Medien verlauten ließ, Haggard habe ihn drei Jahre für Sex bezahlt, trat Haggard am 3. November 2006 von seinem Amt als Vorsitzender der National Association of Evangelicals (NAE) zurück. (…) Haggard behauptete zunächst, Jones nicht zu kennen. Am 5. November 2006 teilte er seiner Gemeinde in einem offenen Brief hingegen mit, dass er tatsächlich der 'sexuellen Unmoral schuldig' sei." [2] Bei solchen Meldung ist mein Mund gar nicht breit genug, um so zu grinsen, wie ich gerne grinsen möchte.

Heuchler findet man allerdings nicht nur in Amerika, sondern auch hierzulande. Wir kennen sie alle: Priester, die Enthaltsamkeit predigen, aber hintenherum über Kinder herfallen. Sportler, die hoch und heilig geloben, niemals gedopt zu haben, denen freilich im Nachhinein eine intensive Apotheken-Karriere nachgewiesen wird. Wirtschaftsführer, die dem gemeinen Volk "Bescheidenheit" und "Ehrlichkeit" empfehlen und gleichzeitig über millionenschwere Geheimkonten in Steueroasen verfügen. Wissenschaftler, die wegen Ruhm und Ehre Daten fälschen. Politiker, die im Wahlkampf vollmundig Versprechen abgeben, aber nach der Wahl das Gegenteil umsetzen. Akademiker, die sich mit fremden Federn schmücken, indem sie ihre Doktorarbeit abkupfern. Was lernen wir daraus? Moralapostel weisen eine enorme Fallhöhe auf.

Als ich die folgende Nachricht las, habe ich leider vergeblich gegen meine Schadenfreude gekämpft. Ich weiß, ein schlimmer Charakterfehler, aber ich konnte sie einfach nicht unterdrücken: "Ab August sollen [in Hamburg] alle Funkstreifenwagen und diverse andere Fahrzeuge mit einer GPS-Überwachung versehen und permanent überwacht werden. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) läuft dagegen Sturm. (…) Bei der DPolG ist man angesichts dieser Neuigkeiten entsetzt: 'Dieses System ist ein digitaler Leinenzwang', sagt Polizeikommissar Thomas Jungfer, Erster stellvertretender Landesvorsitzender. 'Die Kollegen werden so überall und rund um die Uhr überwacht.'" [3] Im Gegensatz zur Video- und Telefondatenüberwachung, die die DPolG seit langem befürwortet, handele es sich Jungfer zufolge bei der GPS-Überwachung "um eine dauerhafte und verdachtsunabhängige Überwachung".

Hat uns nicht vor kurzem der Bundesvorsitzende der DPolG, Rainer Wendt, überspitzt formuliert erläutert: Datenschutz ist Täterschutz, Privatsphäre ist irrelevant, Unschuldsvermutung ist hinderlich und Grundgesetz ist Pillepalle? Genau. Er wünsche sich die amerikanischen Überwachungsmethoden, die durch Edward Snowden öffentlich gemacht wurden, auch in Deutschland und Europa, erklärte Wendt. Für Kritiker, die die Totalüberwachung als unzulässigen Generalverdacht und schlichtweg als illegal bezeichnen, zeigt er wenig Verständnis. Ihnen entgegnet der Gewerkschaftschef: "Bei uns regieren völlig überzogener Datenschutz, föderaler Egoismus und wilde Überwachungsfantasien von Politikern, die den Menschen immer wieder einreden wollen, die Polizei würde sie bespitzeln und aushorchen." [4] Die dauerhafte und verdachtsunabhängige Überwachung der Bürger ist offenbar okay, doch wenn die Polizei sich selbst überwacht, wird daraus plötzlich eine unzulässige Bespitzelung und man steigt auf die Barrikaden. Sehr glaubwürdig ist das nicht, lieber Herr Wendt.

Anderer Ort, gleiches Theater: "Fast 30 Jahre lang sind im Münchner Polizeipräsidium Telefonapparate von Beamten des Kriminaldauerdienstes (KDD) überwacht worden. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurden an vier Apparaten der Kripo-Dienststelle Gespräche mitgehört und aufgezeichnet. Die Belegschaft war darüber überhaupt nicht oder nur unzureichend informiert. Die Gesprächsteilnehmer am anderen Ende der Leitung hatten keine Ahnung, dass auch sie überwacht wurden. Erst als sich ein Beamter vor zwei Wochen beschwerte und mit einer Klage gedroht wurde, flog die 'Abhöraffäre' auf." Auch hier glänzt die DPolG durch heftigen Protest: "'Wenn tatsächlich beim Kriminaldauerdienst permanent die Gespräche auf vier Apparaten mitgeschnitten wurden und die Kollegen nichts wussten, dann verurteile ich das aufs Schärfste', sagte Michael Hinrichsen, stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG)." [5] "Die Kollegen und auch die Bürger müssen vor heimlichen Aufzeichnungen geschützt werden", fügte er hinzu. [6]

Karl Marx hatte recht: Das Sein prägt das Bewusstsein. Anders ausgedrückt: Polizeigewerkschafter haben nichts gegen Lauscher - es sei denn, sie werden selbst belauscht. "Polizisten haben Angst vor totaler Überwachung", titelt die Hamburger Morgenpost. Nicht nur Polizisten, liebe DPolG, auch die Bürger, möchte man süffisant hinzufügen. Aber bei Rainer Wendt & Co. erntet man für Letzteres nur blankes Unverständnis. Warum eigentlich? Vermutlich deshalb: "Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe." Doppelmoral nennt man das gemeinhin.

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[1] Stern.de vom 11.03.2008
[2] Wikipedia, Ted Haggard
[3] Hamburger Morgenpost vom 21.07.2013
[4] Handelsblatt vom 08.06.2013
[5] Süddeutsche vom 08.07.2013
[6] Die Welt-Online vom 09.07.2013