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30. Juli 2013, von Michael Schöfer
Der Obama des Vatikan


Klappern gehört zum Handwerk. Will heißen: Ein bisschen Selbstdarstellung (neudeutsch: Public Relations) gehört zum Geschäft. Das wissen Unternehmen, Sportler, Politiker und natürlich auch die Kirchen. Letztere ganz besonders, denn ohne die Einhaltung einer bestimmten Liturgie, die Befolgung von mehr oder minder rigiden Lebensregeln und die dazugehörige Kostümierung der Priesterschaft ist Religion kaum denkbar. Fatal ist nur, wenn Anspruch und Wirklichkeit spürbar auseinanderklaffen.

Nehmen wir beispielsweise den Internetriesen Google, der mit dem Slogan "don't be evil" (sei nicht böse) groß geworden, aber mittlerweile als Datenkrake schwer in Verruf geraten ist. Oder US-Präsident Barack Obama: Ein begnadeter Redner, der anfangs geradezu wie ein Erlöser bejubelt wurde. Die "Obamania" ist jedoch inzwischen stark abgeflaut und einer herben Enttäuschung gewichen, weil der Chef im Weißen Haus in vielen Bereichen die Politik seines Vorgängers nicht nur fortgesetzt, sondern sogar noch verschärft hat. Stichwort: Drohnenkrieg, Überwachung der Telefon-/Internet-Kommunikation. Mit anderen Worten: Ein bisschen Substanz hinter der Public Relations kann nie schaden, sonst ist der Lack vielleicht rasch ab.

Seit März diesen Jahres ist Jorge Mario Bergoglio Oberhaupt der katholischen Kirche. Papst Franziskus hat mit seiner bescheidenen Lebensführung und seinem kommunikativen Charakter viele Herzen im Sturm erobert. Er ist momentan unbestreitbar der Liebling der Medien. Fast könnte man behaupten, die "Obamania" sei im Vatikan angekommen. Die könnte aber fast genauso schnell wieder abflauen, denn bis auf die Außendarstellung hat sich bislang faktisch nichts geändert. Nehmen wir beispielsweise seine jüngsten Äußerungen zur Homosexualität. "Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht - wer bin ich, über ihn zu urteilen?", fragte er. "Homosexuelle sollten nicht an den Rand gedrängt werden. Sie sind unsere Brüder." [1]

Er ist gegen Diskriminierung - immerhin ein Fortschritt. Gleichzeitig machte er aber klar, dass sich an seinem Urteil nichts grundlegend geändert hat. Homosexuelle Handlungen verurteilt Franziskus nach wie vor als Verstoß "gegen das natürliche Gesetz", sie seien "auf keinen Fall zu billigen". [2] "Als Argentinien die gleichgeschlechtliche Ehe 2010 legalisierte, kritisierte er dies gegenüber der Regierung als 'echten und bitteren anthropologischen Rückfall' und erklärte gegenüber kirchlichen Kreisen, es sei kein politischer Konflikt, sondern 'eine destruktive Anmaßung gegen den Plan Gottes' und 'eine Intrige vom Vater der Lügen, welche die Kinder Gottes zu verwirren oder zu täuschen versucht'." [3] Wie es mit anderen Fragen der kirchlichen Sexualmoral aussieht, steht ebenfalls noch in den Sternen. Franziskus - der Obama des Vatikan? Man muss befürchten: Da macht einer auf liberal, ist es aber in Wahrheit gar nicht.

Zugegeben, für ein endgültiges Urteil ist es noch viel zu früh, schließlich ist er gerade mal gut vier Monate im Amt. Doch der neue Papst wird sich letztlich nicht an seinen salbungsvollen Worten messen lassen müssen, sondern an seinen Taten. Vermeintliche Volksnähe allein reicht auf Dauer nicht aus. Mit anderen Worten: Wer von ihm grundlegende Kirchenreformen erwartet, könnte bitter enttäuscht werden. Frauen als Priesterinnen? "Diese Tür ist geschlossen", sagt Franziskus. Voilà! Ein "Papst der Armen" will er sein, außerdem geißelt er die ungerechte Verteilung der Güter, angeblich will er eine gerechtere Kirche. "'Wir müssen an der Seite der Armen sein, zur Not auch im Widerspruch zu den Mächtigen', fasst Leonardo Boff, in einem Interview mit dem Spiegel, die Position von Papst Franziskus zusammen." [4] Hehre Ansprüche, auf deren Einlösung man gespannt sein darf. In Deutschland ist die katholische Kirche nach Staat und Adel der größte Grundbesitzer. [5] "Insgesamt besitzen die zur katholischen Kirche gehörenden Institutionen ein Vermögen von 270 Milliarden Euro", behauptete der Sozialwissenschaftler und Kirchenkritiker Carsten Frerk im Jahr 2002. [6] Allein in Deutschland, wohlgemerkt. Transparenz gibt es leider keine, deshalb lassen sich solche Schätzungen kaum überprüfen. Arm ist diese Kirche jedenfalls nicht.

Von daher bleibt die eigentlich interessante Frage, ob Franziskus seine vollmundig verkündete Nähe zu den Armen realisiert, indem er den kirchlichen Reichtum veräußert, um das Geld den Armen zu schenken oder es wenigstens für sie zu verwenden. Die Chancen dafür tendieren meiner Ansicht nach gegen null. Wird die Kirche hierzulande auf die Sonderrechte, die ihr das Grundgesetz zubilligt (Artikel 140], verzichten und die kirchlichen Mitarbeiter künftig wie alle anderen Arbeitgeber auch allein nach den gesetzlichen Vorschriften behandeln? Oder müssen sie weiterhin mit Sanktionen bis hin zum Jobverlust rechnen, wenn sie ihr Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wahrnehmen? Fragen, mit denen sich Franziskus auseinandersetzen muss, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu beschädigen. Entpuppen sich seine Absichtserklärungen als Lippenbekenntnisse und sein neuer Führungsstil als Schmierentheater, geht der Schuss für die Kirche gewiss nach hinten los.

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[1] Spiegel-Online vom 29.07.2013
[2] Süddeutsche vom 29.07.2013
[3] Wikipedia, Franziskus (Papst)
[4] Diözesanbildungswerk vom 11.04.2013
[5] Publik-Forum vom 03.12.2011
[6] Spiegel-Online vom 06.04.2010


Nachtrag (31.07.2013):
In der Süddeutschen stolperte ich über zwei sich widersprechende Angaben: "Im Übrigen stehe, was über den Respekt gegenüber Homosexuellen zu sagen sei, im Katechismus. Das Kompendium der katholischen Lehre verbietet die Diskriminierung von Schwulen und Lesben; ihnen sei 'mit Mitgefühl und Takt' zu begegnen. Homosexuelle Handlungen aber verurteilt es als Verstoß 'gegen das natürliche Gesetz'; sie seien 'auf keinen Fall zu billigen'." [7]

Ich habe das so interpretiert, dass sich der Papst mit dem ausdrücklichen Verweis auf den Katechismus dessen Aussagen indirekt zu eigen mache. Heute konnte man dagegen in der SZ lesen: "Beim näheren Hinsehen fällt auf, dass Franziskus alles umgeht, was der bisherigen Lehre der katholischen Kirche widersprechen würde. Die Frage zum Beispiel, wie er praktizierte Homosexualität bewerte, beantwortet er nicht - weder wiederholt noch korrigiert er also die Lehrmeinung, schwuler und lesbischer Sex sei 'widernatürlich'." [8]

Auf meine Frage, was denn nun stimme, antwortete mir Matthias Drobinski: "Ich habe mir den Mitschnitt des Pressegesprächs angehört - die Frage, wie er nun zu praktizierter Homosexualität steht, hat er erkennbar bewusst unter den Tisch fallen lassen. Er hätte da noch einmal explizit zwischen der nicht sündhaften Orientierung und der sündhaften Handlung unterscheiden können, das hat er nicht getan." Insofern ist meine oben getroffene Aussage "Gleichzeitig machte er aber klar, dass sich an seinem Urteil nichts grundlegend geändert hat. Homosexuelle Handlungen verurteilt Franziskus nach wie vor als Verstoß 'gegen das natürliche Gesetz', sie seien 'auf keinen Fall zu billigen'" nicht haltbar, weil es den ursprünglich von der SZ berichteten Verweis auf den Katechismus zumindest in dieser Form nicht gab. "Die katholische Lehre verbiete zudem eine Diskriminierung von Homosexuellen und fordere deren Integration, betonte Franziskus unter Verweis auf den Katechismus der katholischen Kirche", gibt die FAZ Franziskus' Aussage wieder. [9] Diese Formulierung kann man so interpretieren, als habe sich der Papst nur auf das dortige Diskriminierungsverbot bezogen. Wie er zu den anderen Passagen des Katechismus steht, muss also vorerst offen bleiben.

[7] Wer bin ich, über ihn zu richten?, Süddeutsche vom 29.07.2013
[8] Rätselhafte Papstworte, Süddeutsche vom 31.07.2013
[9] FAZ.Net vom 30.07.2013