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16. August 2013, von Michael Schöfer
Die Beteiligten lügen wie gedruckt


Wenn jemand das Gesetz gebrochen hat, funktioniert das weitere Procedere grob gesagt wie folgt: Die Staatsanwaltschaft ermittelt, sofern der Anfangsverdacht des Verstoßes gegen ein Strafgesetz gegeben ist, zunächst einmal den Sachverhalt. Sie erhebt dann bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts Anklage, das zuständige Gericht lässt diese zu und eröffnet anschließend das Hauptverfahren, also den eigentlichen Prozess. Dort sind die Rollen klar verteilt: Die Staatsanwaltschaft spielt den Ankläger, die Verteidigung vertritt den Angeklagten, die unparteiischen Richter entscheiden aufgrund der vorgelegten Beweise über Schuld oder Unschuld sowie ggf. über das Strafmaß.

Bei der Frage, was die Geheimdienste tatsächlich tun, wäre dieses Procedere äußerst hilfreich gewesen, stattdessen haben wir bloß ein absurdes Schauspiel erlebt. Die Geheimdienste gehören zur Exekutive, also zur Regierung. Nachdem Edward Snowden pikante Details über die Bespitzelung der Bevölkerung durch die Geheimdienste veröffentlicht hat, ermittelte die angeblich ach so unwissende Regierung, was ihre Untergebenen tun bzw. getan haben. Und die haben es ihr wahrheitsgemäß dargelegt. Behauptet zumindest die Regierung. Ob dem wirklich so war, entzieht sich freilich jeder Kontrolle.

Das ist so, wie wenn in einem Strafprozess ein Angeklagter selbst ermittelt, welchen Tatbeitrag die anderen Angeklagten (seine mutmaßlichen Kompagnons) geleistet haben. Die Opposition darf zwar fragen, muss allerdings den Auskünften glauben, Amtsräume durchsuchen und Beweismittel beschlagnahmen darf sie nicht. Ihre Rolle ist daher kaum mit der eines Staatsanwalts zu vergleichen. Richter gibt es ebenfalls keine, das erledigen die Angeklagten gleich mit. Es verwundert insofern kaum, wenn sich die Regierung von jeglicher Schuld freispricht.

So erklärte der Chef des Kanzleramtes, Ronald Pofalla (CDU), der für die Aufsicht über die Geheimdienste zuständig ist, die deutschen Nachrichtendienste leisteten "rechtsstaatliche und gute Arbeit". Außerdem würden sich die amerikanischen und britischen Nachrichtendienste in Deutschland an deutsches Recht halten, das hätten diese schriftlich erklärt. Der Vorwurf der Totalausspähung in Deutschland sei damit "vom Tisch", glaubt Pofalla. Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sieht die Vorwürfe widerlegt. "Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt", behauptet er kühn. [1] Mit einem Satz: Die Angeklagten versichern, sie seien unschuldig und erklären den Prozess kurzerhand für beendet. Würde man dieses Vorgehen bei jedem x-beliebigen Strafprozess billigen, gäbe es wahrscheinlich nie wieder Verurteilungen, weil sich die Angeklagten fortwährend selbst von jeglicher Schuld freisprächen.

Das Ganze ist aber keine Episode aus dem "Königlich Bayerischen Amtsgericht", sondern eine unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zum Himmel schreiende Posse. Was die Aussagen von Regierungen wert sind, belegen die jüngsten Enthüllungen der Washington Post. Dokumenten Edward Snowdens zufolge hat die NSA rechtswidrig US-Bürger ausgeforscht. Unlängst beteuerte Barack Obama noch das genaue Gegenteil: "Amerika hat kein Interesse daran, normale Bürger auszuspionieren." Und jetzt passiert es doch. Snowden sei kein Patriot, sagte der US-Präsident bei dieser Gelegenheit. Darüber gibt es Gott sei Dank unterschiedliche Auffassungen. Klar ist jedenfalls: Barack Obama ist ein Lügner. Oder er hat die Kontrolle über die Geheimdienste verloren. Beides ist für ihn wenig schmeichelhaft.

Obendrein erklärte der Vorsitzende Richter des FISC-Gerichts, das die Aktivitäten der US-Geheimdienste überwachen und genehmigen soll, es habe gar nicht die Kapazitäten, die vorgelegten Sachverhalte zu prüfen. "Der FISC muss sich gezwungenermaßen darauf verlassen, dass die dem Gericht vorgelegten Informationen korrekt sind." [2] Auch das hat Obama in der Vergangenheit stets anders dargestellt. Die Aktivitäten der Geheimdienste würden vom Gericht gewissenhaft kontrolliert, beruhigte er seine Landsleute.

Die Verstöße gegen die Vorschriften und den Datenschutz seien aus Versehen erfolgt, verteidigt sich die NSA. "So wurde eine große Zahl von Gesprächen in Washington abgehört, weil die Telefonvorwahl in der Hauptstadt fast identisch mit der Ländervorwahl von Ägypten ist." [3] Die Vorwahl von Washington ist 0202, die von Ägypten 0020. Sorry, shit happens! Nur ein banaler Tippfehler von Analysten, keine böse Absicht. Darüber, dass die Abgehörten kein arabisch, sondern englisch sprachen, wunderten sich die NSA-Analysten offenbar nicht. Oder haben die Tippfehler - selbstverständlich rein zufällig - ausnahmslos zu arabischsprachigen Einwohnern der amerikanischen Bundeshauptstadt geführt? Entweder ist die NSA blöd, oder sie will uns für dumm verkaufen. Ich neige eher zu letzterem.

Was lernen wir daraus? Die Beteiligten lügen wie gedruckt, man kann es ihnen aber nur schwer nachweisen. Genau deshalb sind die Dokumente Snowdens extrem wertvoll. So wie die Sachlage derzeit ist, darf man keiner Regierung und keinem Geheimdienst trauen. Die Affäre ist demzufolge noch lange nicht beendet.

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[1] Die Zeit-Online vom 16.08.2013
[2] Heise-Online vom 16.08.2013
[3] tagesschau.de vom 16.08.2013