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| Impressum 19. November 2013, von Michael Schöfer Ernüchternde Bilanz Ungefähr seit Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts diskutiert eine breitere Öffentlichkeit über die drohende Klimakatastrophe. Und vor 20 Jahren habe ich mich zum ersten Mal eingehender mit diesem Thema befasst. [1] Zeit, um eine kurze Zwischenbilanz zu ziehen. Eines gleich vorweg: Die Bilanz sieht ziemlich düster aus, denn im Grunde wurde fast gar nichts erreicht. Zwar gibt es etwa in Deutschland beeindruckende Fortschritte bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien, doch haben diese auf das Wachstum des globalen CO2-Gehalts bislang keinen spürbaren Einfluss ausgeübt. Die Energieeffizienz pro Produktionseinheit in unseren Fabriken mag gewachsen sein, sie wurde allerdings durch das viel höhere Wachstum der weltweit produzierten Einheiten zunichte gemacht. Die Natur interessiert sich aber nicht für die Energieeffizienz pro Produktionseinheit, für die Ökosphäre sind allein die absoluten Emissionswerte von Bedeutung. Die geben freilich kaum Anlass zu Optimismus. Im Gegenteil, die Menschheit rast offenbar ungebremst der Klimakatastrophe entgegen. Die Zahlen sind ernüchternd: Der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre, der am Mauna Loa Observatorium auf Hawaii/USA aufgezeichnet wird, ist zwischen 1959 und 2012 um 24,6 Prozent gestiegen. Es wird wohl nicht lange dauern, bis im Jahresmittel die Schwelle von 400 ppm (parts per million / Teile von einer Million) überschritten wird. Der vorindustrielle Wert lag bei 280 ppm. Wenn wenigstens eine Verlangsamung des Anstiegs zu erkennen wäre, doch bedauerlicherweise ist genau das Gegenteil der Fall, das jährliche Wachstum des CO2-Gehalts nimmt sogar zu. Schuld ist der rasant steigende Energieverbrauch der Menschheit. So hat der globale Primärenergieverbrauch zwischen 1965 und 2012 um satte 232 Prozent zugenommen (der Anteil der regenerativen Energieträger ist nach wie vor gering). Die anthropogenen CO2-Emissionen sind demzufolge im gleichen Zeitraum um 194 Prozent gestiegen. Es dürfte wohl dem effizienteren Umgang mit Energie zu verdanken sein, dass sie nicht noch höher ausfielen. Aber wie oben bereits erwähnt, entscheidend für die Erwärmung der Erdatmosphäre ist allein deren Gesamtsumme. Die Kurve, wie sich die globale Oberflächentemperatur seit 1850, dem Beginn der Industrialisierung, entwickelt hat, bedarf eigentlich keiner näheren Erläuterung, sie spricht für sich. Man muss blind sein, um die Brisanz der Lage, in der sich die Menschheit befindet, zu ignorieren. Und wer sie leugnet, handelt unverantwortlich. Der Eispanzer Grönlands schmilzt, der Permafrostboden taut auf, der Meeresspiegel steigt, die Waldflächen schrumpfen und die CO2-Emissionen erreichen von Jahr zu Jahr Rekordniveau. Klimakonferenzen bringen dennoch keinen Fortschritt. Deshalb kann man das Ziel, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, praktisch abhaken. Es wäre nur noch bei einer drastischen Umkehr zu erreichen, doch dafür fehlt den Nationen die Kraft. Wir sind Gefangene eines Wirtschaftssystems, das ohne permanentes Wachstum gar nicht überleben kann. Das Hemd ist den Menschen näher als der Rock. Will heißen: Man schiebt die Vermeidung der Klimakatastrophe lieber auf die lange Bank. Warum sich heute einschränken, wenn die Auswirkungen unseres Handelns hauptsächlich die armen Länder und kommende Generationen treffen. In der Verfilmung von H. G. Wells "Zeitmaschine" mit Rod Taylor gibt es eine Szene, in der der Zeitreisende durch sprechende Ringe über längst vergangene Ereignisse informiert wird: "Ich bin der Letzte, der Ihnen überliefern kann..." [YouTube-Video] So weit wird es sicherlich nicht kommen, die Spezies Homo sapiens hat sich als äußerst zäh und anpassungsfähig erwiesen, aber die klimatischen Verhältnisse auf unserem Planeten werden sich in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten drastisch ändern - mit allen daraus resultierenden Folgen. Gerne hätte ich eine positivere Bilanz gezogen, doch die nackten Zahlen sagen etwas anderes aus. Die Lage ist zwar nicht vollkommen hoffnungslos, aber es gibt momentan wenig Grund, zuversichtlich zu sein. Der Welt-Energieverbrauch soll nach Angaben der US Energy Information Administration (EIA) bis 2040 um 56 Prozent steigen, entsprechend wächst der energiebedingte CO2-Ausstoß auf 45 Mrd. Tonnen. [2] Wenn durch Techniken wie Fracking bislang unzugängliche Erdöl- und Erdgasfelder erschlossen werden, wird sich der Trend also eher noch verschärfen. Jede Tonne Öl, die wir mühsam aus den Gesteinsschichten herauspressen, landet schließlich am Ende in der Atmosphäre. Ökonomisch - und kurzfristig gedacht - vielleicht sinnvoll, ökologisch - und langfristig gedacht - ein Desaster. Den gleichen Wahnsinn erleben wir, bloß unter umgekehrten Vorzeichen, in Deutschland: Der ökologisch sinnvolle Ausbau regenerativer Energieträger soll aus ökonomischen Gründen gedeckelt werden. Grund: Die Erneuerbaren Energien waren erfolgreicher als ursprünglich angenommen. Früher hieß es, sie würden fossile Energieträger nie ersetzen können, heute will die Politik künstliche Schutzzäune um veraltete Kraftwerkstechniken errichten. Es ist zum Haare ausraufen. Ich fürchte daher, dass meine Bilanz nach weiteren 20 Jahren ähnlich pessimistisch ausfallen wird wie heute.
[Quelle: Wikipedia, Oberflächentemperaturen 1850-2012, CC BY-SA 3.0-Lizenz, Urheber: Theon] ---------- [1] siehe Die Zukunft der Menschheit vom 18.11.1993 [2] Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) vom 26.07.2013 [3] U.S. Department of Commerce, National Oceanic and Atmospheric Administration [4] U.S. Department of Commerce, National Oceanic and Atmospheric Administration [5] BP Statistical Review of World Energy June 2013, Excel-Datei mit 1,5 MB [6] BP Statistical Review of World Energy June 2013, Excel-Datei mit 1,5 MB |