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27. Dezember 2013, von Michael Schöfer
Sprache ist ja so verräterisch


"Es gibt keinen Grund zur Sorge, die deutsche Armee wird sich für Deutschland und die Deutschen opfern und jene, die euch schaden wollen, von der Erdoberfläche tilgen." Ist das eine Passage aus einer Rede Kaiser Wilhelms kurz nach Kriegsbeginn im August 1914? Oder hört sich das wie eine Durchhalteparole von Joseph Goebbels kurz vor der Eroberung Berlins durch die Rote Armee an? Ich würde auf Letzteres tippen, denn die Redewendung "von der Erdoberfläche tilgen" passt mehr zum fanatischen Stil des Reichspropagandaministers als zu dem des Monarchen mit dem gezwirbelten Schnurrbart. Goebbels propagierte bekanntlich den totalen Krieg (den er dann auch prompt bekam), zu Wilhelm zwo passt wohl eher die zackige Frage "Hamse jedient?" (Antwort: Hacken zusammenschlagen und laut "Jawoll" rufen).

Aber ich will Sie, liebe Leserinnen und Leser, nicht länger auf die Folter spannen. Die Auflösung lautet: Weder noch, denn dieser Satz stammt vom ägyptischen Armeechef Abdel-Fatah al-Sisi. Wortlaut im Original: "Es gibt keinen Grund zur Sorge, die ägyptische Armee wird sich für Ägypten und die Ägypter opfern und jene, die euch schaden wollen, von der Erdoberfläche tilgen." [1] Von mir wurden lediglich die fett gedruckten Wörter ausgetauscht. Das Zitat belegt, wes Geistes Kind die Putschisten vom 3. Juli 2013 sind. Sprache ist ja so verräterisch.

Vor einem halben Jahr haben sich die Hardliner des früheren Establishments die Macht gewaltsam zurückerobert. Unterdrückt werden aber nicht nur die Muslimbrüder, die aus den ersten freien Wahlen Ende 2011/Anfang 2012 als Sieger hervorgegangen sind, sondern ebenso die säkular ausgerichteten Aktivisten, die 2011 mit ihren Massendemonstrationen auf dem Tahrir-Platz den Sturz Husni Mubaraks herbeiführten. Die Übergangsregierung hat die Muslimbrüder inzwischen offiziell als Terrororganisation eingestuft - und damit ist vermutlich der Rubikon überschritten, denn für einen wie auch immer gearteten politischen Kompromiss ist es nun wahrscheinlich zu spät. Jetzt schlägt die Stunde der Konfrontation. Ägypten droht bis auf weiteres unter der Repression der Machthaber zu verkümmern und/oder im Terror der radikalen Islamisten zu versinken.

Das alte Establishment hat die Chance, die Fehler der Muslimbrüder-Regierung rechtsstaatlich aufzuarbeiten und damit die Demokratie zu festigen, vertan. Demokratie war sicherlich auch nie das Ziel der Privilegierten. Namentlich die Armee, die zahlreiche Unternehmen besitzt (deren Anteil unterschiedlichen Schätzungen zufolge auf 8 bis 30 Prozent des BIP taxiert wird), hatte durch die Demokratie nichts zu gewinnen, konnte jedoch langfristig vieles verlieren. Die Armee sei Ägyptens größtes Wirtschaftsimperium, heißt es. [2] "Die Generäle betreiben Hühnerfarmen, Bäckereien und Konservenfabriken; Müllverbrennungsanlagen und Baukonzerne; Krankenhäuser und Kegelbahnen; ein landesweites Tankstellen-Netz. Und sie verdingen sich als Gesellschafter von 5-Sterne-Hotels: Viele Ferienanlagen auf der Sinai-Halbinsel entstanden auf Armeeparzellen, und sie machten die Armeebosse reich." [3]

Für die Privilegierten waren daher sowohl die Muslimbrüder als auch die säkularen Demokraten eine ernstzunehmende Gefahr. Gut möglich, dass die Armee von Anfang an geplant hat, beide gegeneinander auszuspielen. Dass sogar die einst verhasste Polizei kurz nach dem Sturz Mohammed Mursis Beifall bekam, zeigt, dass dies offenbar gelungen ist. Die nationalistische Propaganda funktioniert (frei nach Wilhelm zwo: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!"). Ägypten steht mittlerweile unter der Knute einer Militärdiktatur, die jede Bedrohung, woher sie auch kommen mag, beseitigen will. Das, was al-Sisi (siehe oben) in Richtung Muslimbrüder äußerte, gilt deshalb für alle Gegner seiner Clique. Jeder, der die Macht der Armee in Frage stellt, muss damit rechnen, als Feind Ägyptens gebrandmarkt zu werden. Vielleicht wird sich das Militär einer zivilen Marionettenregierung bedienen, um gegenüber dem Ausland den Schein zu wahren. Die Rückkehr zur Demokratie ist hingegen unwahrscheinlich. Jedenfalls vorerst.

Demokratie ist ein zähes Geschäft und mit vielen Rückschlägen behaftet, bei uns in Europa folgte ja auf die Französische Revolution erst einmal die Restauration. Doch der Freiheitsgedanke ist nicht auszumerzen, und am Ende wird er sich hoffentlich auch in den arabischen Staaten durchsetzen (obwohl dort die kulturellen Voraussetzungen vergleichsweise ungünstig sind). Insofern ist das letzte Wort über die weitere Entwicklung Ägyptens noch lange nicht gesprochen - selbst wenn Armeechef Abdel-Fatah al-Sisi Drohungen im Stile Joseph Goebbels' ausstößt.

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[1] Süddeutsche vom 27.12.2013
[2] Arte-Journal vom 07.06.2013
[3] Spiegel-Online vom 05.07.2013