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14. Januar 2014, von Michael Schöfer
Intellektuelle Genügsamkeit


Zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen homosexuelle Politiker als erpressbar galten. Und mittlerweile kann man sich sogar für die Grundrechte von Homosexuellen einsetzen, ohne im gleichen Atemzug selbst als homosexuell bezeichnet zu werden. Schwule und Lesben sind heute rechtlich gesehen nahezu gleichberechtigt, die Gesellschaft ist zum Glück viel toleranter geworden. Die ganze Gesellschaft? Nein, in Baden-Württemberg leisten einige noch hartnäckigen Widerstand. Zur Zeit geht es darum, was Schüler im "Ländle" über Sexualität erfahren dürfen. Und Hans-Ulrich Rülke, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der FDP im baden-württembergischen Landtag, suhlt sich dabei geradezu in seiner spießbürgerlichen Intoleranz.

Rülke tritt zwar angeblich für Toleranz gegenüber Homosexuellen ein, hält aber die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft dennoch für weniger wertvoll. Dazu sagt er in der SWR-Landesschau wörtlich: "Die gesellschaftlich wertvollste Lebensform ist die Familie mit Kindern. Wenn eine Gesellschaft das nicht mehr deutlich macht, stirbt sie aus." [1] Dieser furchtbar dumme Satz stammt wohlgemerkt von einem Liberalen.

Bloß zur Erinnerung: Der Ursprung des Liberalismus findet sich in der Aufklärung, sein Kern ist die Freiheit des Individuums. "Dabei wird unter Freiheit zunächst vor allem die Abwesenheit jeglicher Gewalt und jedes Zwangs verstanden, insbesondere von staatlicher Seite." [2] Zur individuellen Freiheit gehört, dass es weder Staat noch Kirche zu interessieren haben, wie und mit wem erwachsene Menschen leben, solange andere dadurch nicht geschädigt werden. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Aber eben erst dort. Insofern ist die Sexualität eine reine Privatangelegenheit, die Außenstehende überhaupt nichts angeht. Bestimmte Lebensformen abzuwerten bedeutet jedoch, sie zu diskriminieren. Das ist im Grunde das Gegenteil von Liberalismus, der schließlich die Gleichheit der Menschen propagiert. Alle sollen als gleich frei und als Freie gleich behandelt werden.

Außerdem sitzt Rülke einem alten Vorurteil auf: Man wird nicht homosexuell, bloß weil man etwas über Homosexualität erfährt. Man ist es. Oder man ist es nicht. Aber man wird nicht zu einem Homosexuellen gemacht. Schon gar nicht durch Sexualkundeunterricht. Der FDP-Fraktionsvorsitzende tut gerade so, als ob Schülerinnen und Schüler durch einen Lehrplan, der sie über die Vielfalt des Sexuellen informiert, massenhaft "umgepolt" würden. Wenn man Menschen etwas über Mercedes, BMW und Toyota erzählt, werden sie vielleicht dazu verführt, ein japanisches Auto zu kaufen. Und wenn das viele machen, stirbt womöglich die deutsche Autoindustrie aus. So etwas soll vorkommen. Allerdings wird kein Heterosexueller durch Informationen homosexuell. Rülkes Aussage vom drohenden Aussterben der Gesellschaft ist deshalb kompletter Unfug.

Man weiß wirklich nicht, was man zu dieser intellektuellen Genügsamkeit sagen soll. Zum Glück krebst die FDP ohnehin an der Bedeutungslosigkeit herum. Und zwar, weil sie nicht mehr liberal ist. Liberal im ursprünglichen Sinne. Kein Wunder, wenn sie Menschen wie Hans-Ulrich Rülke zu Fraktionsvorsitzenden macht. Früher hatten Liberale wenigstens noch Niveau. Das Einzige, was hoffentlich bald aussterben wird, ist die FDP. Wegen mangelndem Wählerzuspruch. Immerhin: Sie ruhe in Frieden. Man ist ja nicht nachtragend. Oder doch?

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[1] SWR, Landesschau aktuell Baden-Württemberg vom 14.1.2014, ab 00:36, Video-Datei mit 13,8 MB
[2] Wikipedia, Liberalismus