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28. Januar 2014, von Michael Schöfer
Ratgeber Peter Hartz


Das, was linke Kritiker des französischen Präsidenten Hollande befürchtet hatten, scheint nun tatsächlich auf der Agenda des Élysée-Palastes zu stehen: Frankreich steht vor einer sozialpolitischen Wende à la Gerhard Schröder. Der Mann, der der deutschen Reform seinen Namen verlieh, Peter Hartz, soll Medienberichten zufolge François Hollande beraten. [1] Zwar nicht offiziell, aber zumindest insgeheim. Hartz habe damals den "kranken Mann Europas" (Deutschland) wieder flott gemacht, und das wird er heute bestimmt auch mit Frankreich schaffen, liest man in den Kommentarspalten der hiesigen Gazetten zwischen den Zeilen heraus. Endlich. Frankreich sei schließlich in einer ähnlichen Situation wie ehedem die Bundesrepublik.

An der Legende, Gerhard Schröders Umbau des Sozialstaats (Kernstück: das Arbeitslosengeld II alias Hartz IV) habe Deutschland gerettet, wird also munter weitergestrickt. Die Negativseiten, beispielsweise die drastische Ausweitung der prekären Beschäftigungen, sinkende Reallöhne und die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Langzeitarbeitslose seitdem leben müssen, werden entweder konsequent ausgeblendet oder als unvermeidbares Opfer der Gesundung bezeichnet. Zweifellos könnte eine "deutsche" Sozialreform Frankreich helfen und das Land wieder wettbewerbsfähiger machen. Doch nur um den Preis einer sich noch weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich. So wie bei uns. Ob das die Lösung für die Probleme der Industriegesellschaft ist, darf bezweifelt werden. Vor allem, wenn es alle machen. Letzteres führt bloß zu einer sozialen Abwärtsspirale, bei der sich die Völker am Ende auf niedrigerem Niveau erneut begegnen. Überall die gleichen Probleme: Armut des Staates, zurückgehende Investitionen, verfallende Infrastruktur, krasse Umverteilung von unten nach oben.

Okay, alles nichts Neues, das wird der Politik schon seit nahezu drei Jahrzehnten vorgehalten, ohne dass sich bislang etwas grundlegend geändert hätte. Im Gegenteil, die Situation verschärft sich. Die Sozialdemokraten scheinen mittlerweile mit ihrem Latein am Ende zu sein. Wenn sie, wie François Hollande, unter dem ökonomischen Druck nach kurzer Zeit einknicken (müssen), haben sie offenbar die falschen Rezepte. Oder gibt es wirklich nur noch den neoliberalen Weg, der jedoch stetigen Sozialabbau notwendig macht. Eigentlich unmöglich. Unaufhörlicher Sozialabbau ist ebenso wenig die Lösung wie in einer endlichen Welt permanentes Wirtschaftswachstum. Kein Rezept, das die Gesellschaft auf Dauer zusammenhalten wird. Nicht umsonst mehren sich die Krisen, die zu einem wirtschaftlichen Kollaps führen könnten. Seit 2007 taumeln wir bekanntlich ganz nah am Abgrund entlang. Und die Intervalle werden immer kürzer.

Was allerdings derzeit fehlt, sind brauchbare linke Rezepte. Hauptproblem: Wie schafft man es, dauerhaft gute Wirtschafts- und Sozialpolitik zu betreiben, wenn man zum Beispiel die Mehrheit der Europäischen Union gegen sich hat? Gegen den Strom zu schwimmen, kann sich offensichtlich nicht einmal die Grande Nation erlauben. Von kleineren Ländern ganz zu schweigen. Den Sozialdemokraten fehlt momentan eindeutig der Wille und die Durchsetzungskraft für tiefgreifende Reformen. Reformen, die ihren Namen verdienen, versteht sich. Schon allein das, was sie theoretisch zu bieten haben, ist lediglich Stückwerk, das bei der erstbesten Belastung auseinanderfliegt. Bestes Beispiel: Die Flucht der SPD in die Große Koalition (neudeutsch: GroKo). So gesehen würde ein Berater namens Peter Hartz durchaus ins Bild passen.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 28.01.2014