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| Impressum 16. März 2014, von Michael Schöfer Grüne versagen erneut Aufgabe von Oppositionsparteien ist, kühlen Kopf zu bewahren und die Politik der Regierung zu hinterfragen bzw. zu kritisieren. Zumal wenn es um die Frage von Krieg und Frieden geht. Vor 100 Jahren, kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges, bekundete Kaiser Wilhelm II. auf dem Höhepunkt der Kriegseuphorie: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!" Anlass war die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten, das Einschwenken der "vaterlandslosen Gesellen" auf den nationalistischen Kriegskurs der Reichsregierung. Übrigens gegen den erklärten Widerstand von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. An diese Art von Burgfriedenspolitik erinnert das aktuelle Verhalten der Grünen. Dabei hätten die Grünen eigentlich vorgewarnt sein müssen. Kurz nach Amtsübernahme der rot-grünen Bundesregierung (27.10.1998) stand das erste Kabinett Gerhard Schröder vor der folgenschweren Entscheidung über Krieg oder Frieden. Bekanntlich entschied sich Rot-Grün seinerzeit für die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovokrieg. Den völkerrechtswidrigen Militäreinsatz begründete der frischgebackene Außenminister Joschka Fischer mit den Worten: "Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz." [1] Das war natürlich Propaganda, denn Verbrechen gab es im Kosovo nicht bloß auf Seiten der Serben, sondern auch auf Seiten der UCK. Doch in der Öffentlichkeit wurde fälschlicherweise der Eindruck erweckt, als sei das Böse ausschließlich bei den Serben zu finden, während die Kosovo-Albaner selbstverständlich nur für das Gute - ihre Unabhängigkeit - kämpfen würden. Ähnlichkeiten mit der aktuellen Krim-Krise sind rein zufällig (Achtung: Ironie!). Heute holt die Grünen die Geschichte von damals wieder ein. Und erneut begehen sie den gleichen Fehler. Gerhard Schröder hat kürzlich auf einer Veranstaltung der Wochenzeitung "Die Zeit" Folgendes gesagt: "'Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht, ein Verstoß gegen das Völkerrecht' (...). Dennoch wolle er Putin, der seiner Ansicht nach 'Einkreisungsängste' hat, nicht verurteilen. Er selbst habe als Kanzler beim Jugoslawienkonflikt ebenfalls gegen das Völkerrecht verstoßen. 'Da haben wir unsere Flugzeuge (...) nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der Nato einen souveränen Staat gebombt - ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.' Insofern sei er vorsichtig mit dem erhobenen Zeigefinger." [2] Das Eingeständnis, 1999 selbst gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben (was ihm Kritiker schon seit langem vorwerfen), kam ihm zum ersten Mal über die Lippen. Was war die Reaktion der Grünen? Sie beantragten zusammen mit den Konservativen im EU-Parlament eine Resolution, in der sie Gerhard Schröder einen Maulkorb verpassen wollten: "Das Europaparlament bedauert die Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder über die Krise in der Ukraine, betont, dass er keine öffentlichen Aussagen zu Themen machen sollte, die Russland betreffen, da er sich aufgrund seiner Beziehungen zu dem Unternehmen Gazprom, das eines der bedeutendsten außenpolitischen Instrumente Russlands darstellt, in einem eindeutigen Interessenkonflikt befindet." [3] Ausgerechnet die Grünen, die angeblich einen "verantwortungsvollen Liberalismus" vertreten [4] und sich obendrein gegen jegliche Zensur aussprechen, wollten Schröder aus fadenscheinigen Gründen den Mund verbieten. Schade, dass sie das Geständnis des Ex-Bundeskanzlers nur zur Unterdrückung einer Meinungsäußerung, aber nicht zum Nachdenken über ihre eigene Rolle angeregt hat. Im Nachhinein beteuert zwar Rebecca Harms, die grüne Spitzenkandidatin zur Europawahl, der Antrag sei "sehr unglücklich formuliert" gewesen, natürlich wolle man "niemandem den Mund verbieten" [5], aber von einem Innehalten bei der Bewertung der Krim-Krise ist weit und breit nichts zu sehen. Im Gegenteil, die Grünen lieben anscheinend die billige Polemik und kriechen hierbei der schwarz-roten Bundesregierung buchstäblich in den Hintern. Reinhard Bütikofer hat auf seinem Twitter-Account ein Plakat mit dem Text "Jetzt neu: Linkspartei erstmals für Auslandseinsätze" veröffentlicht. Er fand es seinen Worten zufolge unerträglich, "mit welchem kühlen Zynismus Sahra Wagenknecht um Verständnis für die russische Krim-Aggression wirbt". [6] Auf dem Plakat ist Sahra Wagenknecht abgebildet, hinter ihr stehen vermummte Soldaten. Russische Soldaten soll das wohl suggerieren. Nochmal: Den Kurs der Regierung infrage zu stellen ist die ureigenste Aufgabe von Oppositionsparteien. Stattdessen glänzen die Grünen mit peinlicher Anbiederung à la Burgfriedenspolitik von Wilhelm zwo. Wenn der Einwand von Bütikofer wenigstens sachlich begründet wäre, doch er ist noch nicht einmal das. Erstens hat sich die Haltung der Linken zu Auslandseinsätzen nicht geändert. Und zweitens verurteilt auch die Linke das Vorgehen Russlands - nur eben ein bisschen differenzierter als die anderen Parteien. Das, was Bütikofer als "unerträglich kühlen Zynismus" bewertet, liest sich nämlich so: "n-tv: War es ein Bruch
des Völkerrechts, dass Putin auf der Krim einmarschiert ist?
Wagenknecht: Natürlich war das völkerrechtswidrig. Nur: Es reiht sich ein in die Serie der Völkerrechtsbrüche, die in den letzten Jahren vor allem die USA und Europa begangen haben (…). n-tv: Sie kritisieren zwar Russland, aber dahinter kommt immer ein großes 'aber'. Warum eigentlich? Wagenknecht: Dahinter kommt kein großes 'aber'. Natürlich muss man die russische Politik kritisieren. Putin ist ganz sicher kein Linker. Nur: Wenn wir in Europa Frieden und Zusammenarbeit wollen, dann sollte man schon Wert darauf legen, Russland einzubeziehen. (… ) Wir als Linke lehnen militärisches Eingreifen und Kriegseinsätze generell ab." [7] Linkenchef Bernd Riexinger machte ebenfalls unmissverständlich klar: "Die Russen haben das Völkerrecht gebrochen, aber das Zündeln der Amerikaner ist gefährlich." Auch "der Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Stefan Liebich, sagte, was Russland auf der Krim tue, sei ein Bruch des Völkerrechts." [8] Gregor Gysi wiederum, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag, vertrat seine Haltung gleichfalls unzweideutig: "Ich bleibe (...) der Meinung, dass die Abtrennung der Krim völkerrechtswidrig wäre, genauso wie die Abtrennung des Kosovo völkerrechtswidrig war." [9] Ist es unerträglich kühler Zynismus, in Bezug auf Russland und den Westen die gleichen moralischen und juristischen Maßstäbe anzulegen? Wohl kaum, es ist vielmehr konsequent. Bei der kollektiven Heuchelei, der Rechtfertigung von Doppelstandards ("wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe"), stehen die Grünen den Regierungsparteien in nichts nach. Katrin Göring-Eckardt im Deutschen Bundestag: "Wenn an diesem Wochenende das Referendum auf der Krim den Ausgang nimmt, den wir im Moment vermuten, dann muss man deutlich sagen: Es handelt sich um keine Abstimmung über Unabhängigkeit, sondern um eine ungültige Legitimation für eine völkerrechtswidrige Annexion. Das muss man so nennen. Das muss man so sagen. Das muss auch Frau Wagenknecht verstehen, die Verständnis dafür aufbringt. Ich, meine Damen und Herren, kann dafür kein Verständnis aufbringen." [10] Offenbar hat Göring-Eckardt die Äußerung von Sahra Wagenknecht schlicht und ergreifend nicht zur Kenntnis genommen. Oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Dummdreiste Verdrehungen, billige Polemik, Maulkorberlasse und unkritisches Nachbeten der Regierungspolitik - ist das wirklich die Rolle der Grünen anno 2014? Hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges? Wenn die Grünen aus der differenzierten Betrachtung eines Konflikts Verständnis für Putins Kurs herauslesen, strapazieren sie damit den Intellekt ihrer Zuhörer. Mein Fazit: Die Partei hat offenbar überhaupt nichts aus der Geschichte respektive aus der fatalen Rolle, die sie beim Kosovokrieg gespielt hat, gelernt. Sie enttäuscht daher abermals ihre Wählerinnen und Wähler. Wer, wenn es hart auf hart kommt, den Verstand ausschaltet, darf nicht auf Nachsicht hoffen. Und schon gar nicht auf Wählerstimmen. ---------- [1] Wikipedia, Joschka Fischer, Kosovokrieg [2] FAZ.Net vom 09.03.2014 [3] Spiegel-Online vom 13.03.2014 [4] Der Freitag vom 21.10.2013 [5] Bündnis 90/Die Grünen, Wir wollen niemandem den Mund verbieten [6] Der Tagesspiegel vom 16.03.2014 [7] n-tv vom 13.03.2014 [8] Neues Deutschland vom 13.03.2014 [9] Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 20. Sitzung vom 13. März 2014, PDF-Datei mit 3 MB [10] Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 20. Sitzung vom 13. März 2014, PDF-Datei mit 3 MB |