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19. Juni 2014, von Michael Schöfer
Wer betreibt hier Meinungsmache?


Jürgen Todenhöfer schreibt am 2. Februar 2014 auf seiner Facebook-Seite mit Blick auf Bundespräsident Joachim Gauck: "Sie fordern, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernimmt. Auch militärisch. Wissen Sie wirklich, wovon Sie reden? (…) Nach unserem Grundgesetz haben Sie 'dem Frieden zu dienen'. Angriffskriege sind nach Artikel 26 verfassungswidrig und strafbar. Krieg ist grundsätzlich nur zur Verteidigung zulässig." So, oder so ähnlich, ist es sinngemäß auch auf anderen Weblogs zu lesen: Auslandseinsätze der Bundeswehr sind verfassungswidrig. Und Albrecht Müller von den NachDenkSeiten schreibt: Gaucks "Empfehlung widerspricht der ursprünglichen und richtigen Festlegung des Grundgesetzes auf die Bundeswehr als einer Verteidigungsarmee." [1]

Das ist, gelinde gesagt, nur eine Halbwahrheit. Natürlich sind Angriffskriege gemäß Artikel 26 Grundgesetz eindeutig verfassungswidrig. Ebenso stellt der Bund gemäß Artikel 87a Grundgesetz Streitkräfte lediglich "zur Verteidigung" auf. Doch wer sich auf das dünne Eis der juristischen Auseinandersetzung begibt, sollte zumindest auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen, das hat nämlich schon 1994 über die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr geurteilt.

Tenor: "Die Ermächtigung des Art. 24 Abs. 2 GG berechtigt den Bund nicht nur zum Eintritt in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und zur Einwilligung in damit verbundene Beschränkungen seiner Hoheitsrechte. Sie bietet vielmehr auch die verfassungsrechtliche Grundlage für die Übernahme der mit der Zugehörigkeit zu einem solchen System typischerweise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die im Rahmen und nach den Regeln dieses Systems stattfinden. Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht entgegen. (…) Ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist dadurch gekennzeichnet, daß es durch ein friedensicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit begründet, der wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet und Sicherheit gewährt." [2]

Die Vereinten Nationen sind ein solches System gegenseitiger kollektiver Sicherheit, weil sie darauf angelegt sind, "Streitigkeiten unter ihren Mitgliedern auf friedliche Weise beizulegen und notfalls durch Einsatz von Streitkräften den Friedenszustand wiederherzustellen." Und: "Ausdrückliches Regelungsziel des Art. 24 Abs. 2 GG war es, ein staatenübergreifendes System der Friedensicherung zu schaffen, das der Bundesrepublik Deutschland zudem die militärische Sicherheit geben sollte, die sie damals schon mangels eigener Streitkräfte nicht gewährleisten konnte. Die Bundesrepublik baut insoweit zur Friedensicherung auf die Mitgliedschaft in einem System mit anderen Staaten. Der Begriff 'gegenseitiger kollektiver Sicherheit' sollte klarstellen, daß die Bundesrepublik Deutschland durch die Einordnung in ein solches System nicht lediglich Pflichten übernimmt, sondern als Gegenleistung auch das Recht auf Beistand durch die anderen Vertragspartner erwirbt; jeder Staat soll gleichzeitig Garant und Garantieempfänger sein."

Folglich sind nach Ansicht des höchsten deutschen Gerichts "Einsätze deutscher Streitkräfte, denen jeweils ein vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erteiltes Mandat zugrunde liegt", vom Grundgesetz gedeckt. In der Urteilsbegründung legen die Karlsruher Richter auch dar, dass bereits der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee (10. bis 23. August 1948) und der Parlamentarische Rat (1948/1949) die Beteiligung Deutschlands an einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit forderte. Diese Forderung schlug sich dann in besagtem Artikel 24 nieder. Gewiss haben damals, so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, die wenigsten tatsächlich mit Auslandseinsätzen der im Übrigen noch inexistenten Bundeswehr gerechnet. Juristisch haben die Verfassungsväter allerdings eine solche Möglichkeit in weiser Voraussicht ins Grundgesetz aufgenommen.

Die billige Polemik à la "Herr Bundespräsident, Ihre Forderungen sind verfassungswidrig" ist daher leicht auszukontern. Sie suggeriert nämlich einen Zustand, der in Wahrheit längst geklärt ist, und zwar - siehe oben - mit entgegengesetztem Ausgang: Auslandseinsätze sind unter bestimmten Umständen rechtlich zulässig. Punkt. Ob sie im Einzelfall politisch opportun sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Jürgen Todenhöfer und Albrecht Müller müssten es eigentlich besser wissen. Man fragt sich unwillkürlich, warum sie ihre Leser in die Irre führen. Betreiben sie Meinungsmache? Und das auch noch mithilfe unhaltbarer Behauptungen? Letztlich ist das Ganze eine politische Frage, keine juristische. Daher sollte sie auch politisch diskutiert werden. Man muss dabei ja nicht unbedingt zum gleichen Ergebnis kommen, wie unser Bundespräsident. Doch wer falsche Behauptungen verbreitet, schadet bloß seiner Glaubwürdigkeit. Und dadurch am Ende auch den eigenen Zielen.

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[1] NachDenkSeiten vom 18.06.2014
[2] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 12.07.1994, 2 BvE 3/92