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19. Juli 2014, von Michael Schöfer
Unrealistische Erwartungen


Beate Zschäpe, die in München u.a. wegen der mutmaßlichen Beteiligung an der Mordserie des NSU vor Gericht steht, hat ihre Anwälte geschasst. Sie habe zu ihren Verteidigern kein Vertrauen mehr, bestätigte sie dem Gericht. Seitdem wird darüber spekuliert, ob sie nicht vielleicht doch reden will.

Zschäpes Verteidigungsstrategie, zu den Vorwürfen zu schweigen, was im Übrigen ihr gutes Recht ist, sei nicht aufgegangen. Bislang fehle es nämlich an einer "Gegenerzählung, die etwa erklärt, dass Zschäpe nichts von den Taten Böhnhardts oder Mundlos? wusste", weshalb vor Gericht vor allem die Bundesanwaltschaft Punkte gesammelt habe. "Einiges spricht deshalb für eine langjährige Haftstrafe für Zschäpe", so das Resümee der taz. [1] "Rede endlich!", fordert das Blatt am 18. Juli auf der Titelseite von Zschäpe. "Sie will vielleicht doch reden", hoffen auch die Prozessvertreter der Opfer.

Ich fürchte, dass dies leider unrealistische Erwartungen sind. Nach den heutigen Erkenntnissen hat der "Nationalsozialistische Untergrund" zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 14 Banküberfälle begangen. Hinzu kommt bei Zschäpe die Anklage wegen besonders schwerer Brandstiftung, schon allein dafür droht ihr eine Haftstrafe "nicht unter fünf Jahren" (§ 306b Abs. 2 StGB). So wünschenswert eine Aussage und die detaillierte Aufklärung der Verbrechen wäre, was hätte Zschäpe dabei zu gewinnen? Nichts!

Schweigt sie weiterhin, bekommt sie im schlimmsten Fall lebenslänglich. Wenn das Gericht keine ausreichenden Beweise für Zschäpes Tatbeteiligung an der Mordserie findet, kommt sie womöglich mit einer geringeren Strafe davon. Sagt sie jedoch aus und gesteht ihre Mittäterschaft, ist ihr lebenslänglich sicher. Mit anderen Worten: Zschäpe fehlt schlicht und ergreifend der Anreiz zu einem umfassenden Geständnis.

Das Zerwürfnis zwischen Beate Zschäpe und ihren Verteidigern ist daher wohl kaum durch einen Streit über das Aussageverhalten verursacht worden. Die Vermutung über die Ursache des Bruchs, Zschäpe wolle aussagen, die Anwälte raten ihr dagegen weiter zu schweigen, ist wahrscheinlich reines Wunschdenken. In dieser Situation würde jeder Angeklagte den Versuch machen, sich irgendwie herauszuwinden. Es sei denn, er will den Prozess als Bühne für seine politische Propaganda nutzen. Doch das haben, soweit ich mich erinnere, nicht einmal die Linksterroristen der RAF probiert - jedenfalls nicht durch Geständnisse. Warum sollte das ausgerechnet bei Beate Zschäpe anders sein?

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[1] taz vom 16.07.2014