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02. August 2014, von Michael Schöfer
Lügenpack


Anfang des Jahres kam es bei einer Anhörung im US-Kongress zu Tumulten. Gegner des Drohnenkriegs protestierten lautstark gegen die ihrer Meinung nach illegalen Einsätze. CIA-Chef John O. Brennan versicherte dem Geheimdienstausschuss des Senats, "alle Einsätze hätten eine legale Grundlage, basierten auf eindeutigen Geheimdiensterkenntnissen und durchliefen einen Genehmigungsprozess, der 'so streng wie möglich' sei." [1] Aussagen, die offenbar gelogen sind. Mit der Wahrheit haben Geheimdienstchefs bekanntlich von jeher große Probleme.

James R. Clapper, in den USA Direktor der nationalen Nachrichtendienste, hat in einer öffentlichen Anhörung den Kongress belogen. Im März 2013 beteuerte er vor dem Geheimdienstausschuss des Senats, die NSA würde keine Daten von US-Bürgern sammeln. Die Enthüllungen Edward Snowdens brachten wenig später die Wahrheit ans Tageslicht. Die NSA sammelt doch, wie Clapper angesichts von veröffentlichten Dokumenten kleinlaut zugeben musste. Lügen vor dem Kongress sind zwar strafbar, dennoch durfte Clapper weiter im Amt bleiben. Er genießt nach wie vor das Vertrauen des US-Präsidenten.

Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, warf der CIA im März 2014 vor, gegen die Verfassung zu verstoßen: "Ich habe große Sorge, dass die (...) CIA gegen das in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankerte Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen haben könnte". Grund: Die CIA bespitzelte den Senat, also ausgerechnet jene Instanz, die den Geheimdienst laut Verfassung kontrollieren soll. Außerdem hätte die CIA dem Ausschuss Informationen vorenthalten und dessen Ermittlungen durch das Löschen von Daten behindert. CIA-Chef John Brennan wies die Beschuldigungen damals entrüstet zurück. "Der Geheimdienst habe nichts Falsches gemacht und habe versucht, so gut wie möglich mit dem Senat zu kooperieren." [2]

Liebe Leserinnen und Leser, Sie ahnen es bereits: Das war gelogen. "Der US-Geheimdienst CIA hat sich für das Ausspähen der Computer von Mitarbeitern des Senats entschuldigt. Der Direktor der Spionagebehörde, John Brennan, räumte ein, dass sich CIA-Mitarbeiter 'unlauteren' Zugang zu Rechnern verschafft hätten." [3] Und was Sie bestimmt ebenfalls schon ahnen: Auch Brennan darf im Amt bleiben und genießt weiterhin das Vertrauen des US-Präsidenten.

Das Vertrauen eben jenes Barack Obama, der selbst massive Probleme mit der Wahrheit hat. Ein Beispiel: Obama versicherte, vom Lauschangriff auf das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel nichts gewusst zu haben. Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der US-Präsident wirklich nichts vom Lauschangriff auf die Regierungschefin eines seiner wichtigsten Verbündeten wusste? Und hat er sich nie Berichte über die aus dem Lauschangriff gewonnenen Erkenntnisse vorlegen lassen? Niemals? Das wäre, um es milde auszudrücken, sehr ungewöhnlich. "Politifact.com, ein Projekt, das mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde", hat ausgewertet, wie viel Prozent der Wahlkampfaussagen von Obama im Präsidentschaftswahlkampf anno 2012 tatsächlich wahr waren. Das Ergebnis: "14 Prozent vom Obamas Aussagen sind (...) komplett falsch, weitere 12 Prozent überwiegend falsch. 22 Prozent entsprechen der Wahrheit und 26 Prozent, der größte Anteil, sind Halbwahrheiten." [4] Da ist es wenig tröstlich, wenn sein Konkurrent Mitt Romney seinerzeit noch ein Quäntchen mehr gelogen hat.

"Nach unseren Werten zu leben, macht uns nicht schwächer, es macht uns sicherer und stärker. Daher kann ich heute Abend hier stehen und ohne Ausnahme und Mehrdeutigkeit sagen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht foltern", sagte Obama Anfang 2009 vor dem US-Kongress. [5] "Kein Amerikaner darf irgendwo auf der Welt foltern. Wer sagt, wir foltern, sagt etwas Falsches", hatte schon sein Vorgänger George W. Bush behauptet. [6] "Die USA foltern nicht", versicherte auch die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice. [7] Dabei hat sie in ihrer Zeit als Sicherheitsberaterin "bei einem Treffen mit dem damaligen CIA-Chef George Tenet im Juli 2002 dem Geheimdienst" höchstpersönlich "grünes Licht für 'harsche' Praktiken bei Verhören" gegeben. [8] Selbstverständlich sagte auch der ehemalige CIA-Chef Tenet mehrfach: "Wir foltern keine Leute." [9] Nebenbei bemerkt: Rice sitzt heute im Verwaltungsrat des Cloudanbieters Dropbox. Aber keine Angst, Ihre Daten sind dort trotzdem sicher aufgehoben. Sagt jedenfalls Dropbox...

"Wir haben einige Leute gefoltert. Wir haben einige Dinge gemacht, die unseren Werten widersprochen haben", gestand Barack Obama dieser Tage ein. Die USA hätten "eine Grenze überschritten" und "müssten Verantwortung übernehmen, damit sich so etwas in Zukunft nicht wiederhole". [10] Darüber, ob nun George W. Bush und seine Spießgesellen vor Gericht gestellt werden, verlor Obama kein Wort. Er habe die Folter nach seinem Amtsantritt gestoppt, beteuert er zumindest.

Dafür die Hand ins Feuer legen, dass das wirklich stimmt, ist allerdings wenig ratsam, denn die eingangs erwähnten Drohnenangriffe sind nach Auffassung der meisten Völkerrechtler rechtswidrig und durchlaufen keineswegs, wie uns CIA-Chef John Brennan weismachen will, einen strengen Genehmigungsprozess. Nach Angaben des Journalisten Glenn Greenwald und der Dokumentarfilmerin Laura Poitras nutzen die USA vielmehr Handydaten und Handyortung zur Zieleingabe. "Ob die Handys tatsächlich in den Händen der Zielpersonen seien, werde jedoch nicht mehr von Agenten vor Ort geprüft. Deshalb seien bereits mehrfach Unschuldige bei US-Luftangriffen getötet worden." [11] So viel zur Sorgfalt der Geheimdienstarbeit. Obama hat auf der Harvard Law School Jura studiert und 1991 den Titel Juris Doctor (Gelehrter des Rechts) erworben. Gesamtbewertung: magna cum laude (mit großem Lob, sehr gut, eine besonders anzuerkennende Leistung). Er kann sich somit wohl kaum darauf berufen, ihm seien die juristischen Einwände gegen den Drohnenkrieg nicht bekannt.

Immerhin steht nach Ansicht des US-Außenministeriums eines fest: Der russische Präsident Wladimir Putin ist ein Lügner. Es hat schon vor ein paar Monaten die zehn größten Lügen Putins im Zusammenhang mit der Ukraine dokumentiert. [12] Und das Gute daran: Die Behauptung, Putin sei ein Lügner, ist nicht einmal falsch. Das US-Außenministerium vergaß bloß, auch die anderen Lügner zu nennen. Es hätte wenigstens mit den eigenen anfangen können, denn so eine Liste zu erstellen macht zugegebenermaßen furchtbar viel Arbeit. Ein halbes Jahr zuvor bezichtigte Putin US-Außenminister John Kerry der Lüge. [13] So geht das hin und her.

Köstlich: Es ist immer wieder schön mitzuerleben, wenn Lügner andere Lügner mit gespielter Entrüstung als Lügner bezeichnen. Natürlich ist es vollkommen überflüssig zu erwähnen, dass jeder seine Hände in Unschuld wäscht. Lügen? Ich doch nicht! Nur das, was aufgrund erdrückender Beweise einfach nicht mehr zu leugnen ist, wird zugegeben. Insofern ist das Eingeständnis Obamas, die USA hätten gefoltert, keine heroische Leistung, er will es nur als solche verkaufen. Schließlich hat sein Geheimdienst versucht, die dahingehenden Ermittlungen des Senats zu behindern. Entweder hat Obama von den Vertuschungsversuchen gewusst und sie gebilligt, oder die Geheimdienste haben ein Eigenleben entwickelt und entziehen sich mittlerweile jeglicher Kontrolle. Ich überlasse es dem Urteil meiner geneigten Leserschaft, was schlimmer ist.

Der Schriftsteller Hans Krailsheimer (1888-1958) soll einmal gesagt haben: "Das Gefährliche an Halbwahrheiten ist, dass immer die falsche Hälfte geglaubt wird." Wie wahr, wie wahr! Entschuldigend fügte der Kabarettist Oliver Hassencamp (1921-1988) hinzu: "Wer lügt, hat die Wahrheit immerhin gedacht." Es ist zu hoffen, dass John O. Brennan und James R. Clapper die Wahrheit wenigstens gedacht haben. Aber es gibt bekanntlich auch Menschen, die sogar ihre eigenen Lügen glauben. Wahrheit und Lüge sind nämlich in einer total verlogenen Welt nicht immer akkurat auseinanderzuhalten. Vor allem für diejenigen, die quasi berufsmäßig lügen müssen. Kurios: Derjenige, der entscheidend dazu beitrug, das Lügengebäude der Nachrichtendienste zum Einsturz zu bringen, Edward Snowden, wird vermutlich ein Leben lang dafür büßen müssen, während die Täter später seelenruhig ihre Pension genießen dürfen. Die Welt ist nicht nur verlogen, sie ist auch höchst ungerecht.

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[1] Wirtschaftswoche vom 08.02.2014
[2] Golem.de vom 11.03.2014
[3] Süddeutsche vom 31.07.2014
[4] Augsburger Allgemeine vom 17.10.2012
[5] Reuters vom 25.02.2009
[6] Der Standard vom 01.02.2006
[7] taz vom 07.12.2005
[8] Zeit-Online vom 13.06.2009
[9] tagesschau.de vom 04.04.2014
[10] Zeit-Online vom 02.08.2014
[11] Spiegel-Online vom 10.02.2014
[12] Focus-Online vom 06.03.2014
[13] DiePresse.com vom 04.09.2013